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Shifting Patterns | Dönüşen Paternler
Bildhauerinnen aus der Türkei in Deutschland *1932–86

mit Arbeiten von Burçak Bingöl, Gülsün Karamustafa, Evrim Kavcar, Ekin Su Koç, Azade Köker, Yasemin Özcan und Yıldız Tüzün

Soft Opening: Freitag 30. Oktober, ab 16 Uhr
19 Uhr: Begrüßung / Einführung mit Veronika Witte und Ayşe Güngör
Performance von Mehtap Baydu

Ausstellung: 31. Oktober 2020 - 16. Januar 2021, Di-Sa 12-19 Uhr

Die Ausstellung Shifting Patterns | Dönüşen Paternler stellt die Frage in den Raum, ob und in welcher Weise die Erfahrung von Aus- und Einwanderung die bildhauerischen Strategien von Künstlerinnen aus der Türkei im 20. und 21. Jahrhundert formal wie inhaltlich geprägt haben. Sie präsentiert Skulpturen, Objekte, Keramiken und Installationen als hermetische und offene bildhauerische Formen, in denen sich die wandelnde Biografie in die künstlerische Strategie und in die Materialien einschreibt.
Das sich 2021 zum 60. Mal jährende Anwerbeankommen und die besondere deutsch-türkische Geschichte sind der Anlass, sich diesem spezifischen Aspekt der künstlerischen Produktion zu widmen, der bislang wenig beachtet wurde und stellvertretend für viele durch Migration erworbene Kompetenzen von Künstlerinnen stehen kann. Ortswechsel haben sowohl „Folgen für die Protagonisten, ihre Herkunfts- und Zielländer, [denn] Bewegung und Mobilität können Verlust und Gewinn bedeuten, Heimat(en), Sprachen, Geschichten verändern sich […]“ (Burcu Doğramacı) und man kann davon ausgehen, dass Migrationserfahrungen seit jeher Energien freisetzen und zu neuen Ideen führen, was sich auch in dem von Einwanderung geprägten Bezirk Moabit immer wieder aufs Neue zeigt, in dessen Zentrum die Galerie Nord | Kunstverein Tiergarten ihre Ausstellungsräume hat. Wie beeinflusst aber der Wechsel der Geografie mit all ihren ortsspezifischen, sozialen und politischen Aspekten die Arbeitsweisen, die Themen und die Karrieren von Bildhauerinnen? Haben sich die unterschiedlichen kulturellen Codes, Geschichten und Materialien in den Werken vermischt? Wurde die Migration gar selbst zum Thema der Werke? Wie haben die Künstlerinnen über einen Zeitraum von 60 Jahren Stereotype und unterschiedlichste Zuschreibungen genutzt, unterwandert, dekonstruiert und transformiert? Gibt es Motive und Themen der Migration, sich abbildende Erinnerungskulturen und historische Referenzen, die sich aus einer nicht-deutschen oder, in diesem speziellen Fall, türkischen Herkunft erklären lassen könnten?
Die sieben ausgewählten Bildhauerinnen wurden zwischen 1932 und 1986 geboren und teilen einige Aspekte in ihrer Biografie und ihrer Kunst: die Erfahrung des Ortswechsels, die Selbstermächtigung als Künstlerin und ihre internationale Ausstellungstätigkeit. Einige von ihnen sind in den 1960er-Jahren nach Deutschland immigriert, andere haben zeitweise hier gelebt und gearbeitet oder stehen als Wandernde in engem künstlerischen Kontakt mit Deutschland. Ihre Werke fokussieren sich auf die Verwendung klassischer Materialien wie Keramik, Papier und Textilien, die sie zum Teil um zeitbasierte und zeitgenössische Medien wie Video, Film, Performance oder partizipatorische Strategien erweitern.
Das in Deutschland bislang wenig bekannte, ungegenständliche bildhauerische Werk der 1932 geborenen Bildhauerin Yıldız Tüzün bildet den chronologischen Ausgangspunkt dieser Ausstellung und überzeugt mit seiner sinnlichen und minimalistischen Strenge und Konsequenz. Die 1949 geborene Künstlerin Azade Köker gehört mit ihren großformatigen figürlichen Plastiken aus Ton und Papier neben Gülsün Karamustafa zu den erfolgreichen Ausnahmeerscheinungen und Pionierinnen einer Dekade, die sich auch aufgrund ihrer Bildung im feministischen Aufbruch der 1970er-Jahre als junge Künstlerinnen ihre Sichtbarkeit und Anerkennung erarbeitet und erkämpft haben. Sie haben gezeigt, dass Künstlerinnen trotz aller Vorurteile, Stereotypisierungen und Reduzierungen auf Geschlecht oder Ethnie an der Entwicklung der zeitgenössischen Kunst erfolgreich gearbeitet haben und damit vielen heutigen jungen international agierenden Künstlerinnen wie den ebenfalls in der Ausstellung präsentierten Burçak Bingöl, Evrim Kavcar, Yasemin Özcan und Ekin Su Koç den Weg bereiteten.
Shifting Patterns | Dönüşen Paternler bezeichnet mehr als nur eine Bewegung oder den Wandel von Mustern. Der Titel versinnbildlicht die Verschiebung, das Driften, die Umschichtung oder gar das Versetzen von Lebensmodellen und ästhetischen Handlungsmustern, die mit der geografischen Bewegung von Menschen eine hybride Vermischung eingehen und eine kulturelle Neuverortung initiieren.

Kuratiert von Ayşe Güngör und Veronika Witte