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Die Frage, ob zeitgenössische Kunst noch in der Lage ist, die spezifische Persönlichkeit eines Individuums einzufangen und abzubilden, und der aktuelle Diskurs über Identitätskonstruktion als solche (der eben diese spezifische und individuelle Persönlichkeit u.U. in Frage stelle würde) beschäftigen derzeit Künstler/innen und Kurator/innen an den unterschiedlichsten Orten der Welt. Verwiesen sei hier nur auf zwei Ausstellungen in London: "About Faces" in der Hayward Gallery, die das Genre des fotografischen Porträts um seine heutigen (oft gespenstisch manipulativen) Möglichkeiten erweitert, und "Making Faces" in der National Gallery, die den Topos "Gesicht" durch mehrere Jahrhunderte untersucht.

Die Ausstellung "Selbstporträt/Identität" im Kunstverein Harburger Bahnhof will sich innerhalb dieser Fragestellungen auf die aktuellen Strategien der Darstellung und Inszenierung von Künstler/innen selbst konzentrieren, die längst die Medien Malerei und Fotografie "gesprengt" haben. Dennoch bleibt eine Einordnung vor den Traditionen der Kunstgeschichte notwendig.

Als eines der berühmtesten und aussagekräftigsten Selbstporträts muss nach wie vor das Selbstporträt Albrecht Dürers aus dem Jahr 1500 gelten. Unerhörter Weise zeigt sich der Maler auf diesem Bild in der Ikonographie, die bislang Christus vorbehalten war; und transportiert so nicht nur sein eigenes Konterfei, sondern vor allem die geistesgeschichtliche Emanzipation des Individuums in der Renaissance und das neue künstlerische Selbstverständnis eines "creator ex nihilo". Ein solches Wissen nützt auch dem heutigen Betrachter; denn wann immer ein Kunstwerk das Abbild des Künstlers selbst enthält, muss man davon ausgehen, dass es dabei nicht vor allem um einen Ausdruck für eine persönliche biographisch-psychologische Situation geht, sondern dass in erster Linie eine Aussage getroffen wird über die Positionierung der Künstlerfigur in einem gesellschaftlichen Kontext und über das zeitaktuelle Verständnis des Individuums selbst.

In der modernen Literatur gibt es ein weiteres Schlüsselwerk zum Begriff des "Selbstporträts": "Das Bildnis des Dorian Gray" von Oscar Wilde. In dieser Erzählung ist das Abbild des Protagonisten keinem öffentlichen Blick zugänglich, und vor allem wandelt es sich stellvertretend für den, den es abbildet. Sprich: Das Bild zeigt die Spuren, die das Leben in der Persönlichkeit Grays hinterlassen hat und die sein wirkliches Gesicht genauso verschweigt wie sein Körper. Damit wird u.a. die Möglichkeit einer wahrhaftigen Aussage über einen Menschen der Kunst zugeschlagen und nicht der gelebten Realität.

Das Spannungsfeld zwischen beiden genannten kulturhistorischen Referenzen beschreibt die "Plattform", auf der die Harburger Ausstellung angesiedelt ist. Beteiligt sind Künstlerinnen und Künstler, deren Arbeiten zum einen konkrete Selbstporträts enthalten (die immer eine Befragung von privater oder öffentlicher Identität mitliefern) und zum anderen einen repräsentativen Stellvertreter für das eigene Abbild entwickeln, der möglicherweise "wahrer" sein kann als das gelungenste Porträt.

Pitt Sauerwein und Boran Burchhardt arbeiten beide im "klassischen" Porträt-Medium der Gegenwart, der Fotografie, und benutzen die Abbilder der eigenen Person. Während Pitt Sauerwein den Selbstauslöser sichtbar in der Hand hält und sich und ihre Familie vor bedeutungsaufgeladener Architektur oder in stereotypen Familien-Ikonographien inszeniert, schreibt Boran Burchhardt seine persönliche Kunstgeschichte, indem er sich in einer Serie von Selbstporträts mit verschiedenen Requisiten (Performance-Resten einer Kunst-Demonstration) ausstaffiert, die jedes für sich auf einen spezifischen Künstler verweisen, dem Burchhardt für die eigene Entwicklung Bedeutung beimisst. In den fotografischen Ausstellungsbeiträgen stehen sich also dementsprechend die Untersuchung von Rollenmodellen (die Sauerwein dem allgemeinen Vorstellungskanon entreißt und persönlich besetzt) und der Entwurf einer künstlerischen und geschichtlichen Identität (die laut Burchhardt nur noch radikal subjektiv sein kann) gegenüber.

Mathilde ter Heijne erweitert die Selbstbefragung in ihrer Video-Arbeit "Mathilde, Mathilde" um den Aspekt, ob ein gemeinsamer Vorname psychologische Ähnlichkeit oder gar identisches Schicksal bedeuten kann. Parallel zu Tonsequenzen aus französischen Filmen, in denen weibliche Figuren namens Mathilde an intensiven Liebesbeziehungen zerbrechen, inszeniert sie sich selbst im Kampf mit einer Double-Puppe. Das Puppen-alter ego vollzieht das nach, was Regisseure für ihre Mathilden vorgesehen hatten; die Künstlerin selbst entzieht sich durch ihre Inszenierung diesem Ausgang - und positioniert sich als Künstlerin und als Frau in der fiktiven wie in der realen Welt. In ihrer zweiten Arbeit "F.F.A.L. (Fake Female Artist Life)" nähert sich Mathilde ter Heijne den Konflikten dreier fiktiver Frauen auf der Suche nach der eigenen Identität. Sie lässt die drei Künstlerpersönlichkeiten - Romanfiguren verschiedener Autoren - in einem neuen Kontext erstehen, indem sie deren Identitäten auf lebensgroße Doubles von sich projiziert. Die drei Malerinnen teilten, in unterschiedlichen Kulturen und Epochen lebend, das Schicksal, Künstlerin und Frau zu sein. Indem ter Heijne die Lebensgeschichten der Malerinnen zu sich selbst in Bezug setzt, thematisiert sie einerseits die gesellschaftliche Bedeutung der Frau und Künstlerin in unterschiedlichen Zeiten und Kulturen, andererseits untersucht sie das Verhältnis von Fiktion und Realität.

Zum Stellvertreter für die eigene Person wird in Bernhard Fruehwirths Arbeit "All Burn Down" das eigene ehemalige Atelier. Dessen Versatzstücke installierte der Künstler gemeinsam mit Zeichnungen und Fotografien zu einem Arbeits- und Erinnerungsarchiv, an das er im zweiten Schritt Feuer legte. Die angekohlten "Reste" dieser inszenierten Verbrennung thematisieren die Beziehung zwischen Künstler, Arbeitsraum und Kunstwerk und werfen die Frage auf, ob der Mensch das "sein" kann, was er arbeitet, und was es für die persönliche Identitätskonstruktion bedeutet, wenn die geleistete Arbeit in einem bewussten Akt beschädigt wird.

Pressetext

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Selbstportrait / Identität

mit Boran Burchhardt, Bernhard Fruehwirth, Mathilde ter Heijne, Pitt Sauerwein