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Sehnsucht Natur – Sprechende Landschaften in der Kunst Chinas
Ab 11. September 2020 bis 17. Januar 2021 im Museum Rietberg

Die Ausstellung umfasst rund 80 Werke aus sechs Jahrhunderten
Die Kuratorinnen sind Dr. Kim Karlsson und Alexandra von Przychowski

«Sehnsucht Natur – Sprechende Landschaften in der Kunst Chinas» Ab 11. September 2020 bis 17. Januar 2021 im Museum Rietberg
Die Ausstellung umfasst rund 80 Werke aus sechs Jahrhunderten
Die Kuratorinnen sind Dr. Kim Karlsson und Alexandra von Przychowski

Wer spürt sie nicht – die Sehnsucht nach der Natur. Gerade in Krisenzeiten zieht es uns hinaus zu Bergen und Bächen und wir spüren die heilsame Wirkung der Landschaft. Dieses Gefühl findet sich seit über tausend Jahren im Zentrum vieler Werke chinesischer Künstler und Denker. Wofür die Darstellungen von Landschaften in China stehen, welchen gesellschaftlichen, wie künstlerischen oder persönlichen Wandel sie aufzeichnen, welche Sehnsüchte und Botschaften sie offenbaren, davon erzählt die umfassend angelegte Ausstellung «Sehnsucht Natur – Sprechende Landschaften in der Kunst Chinas», die vom 11. September 2020 bis zum 17. Januar 2021 im Museum Rietberg bedeutende Werke chinesischer Künstlerinnen und Künstler aus sechs Jahrhunderten versammelt. Erstmals in Europa schlägt das Museum Rietberg mit einer Gegenüberstellung von 86 Kunstwerken von den bedeutendsten Meistern der klassischen und modernen Landschaftskunst, sowie von international renommierten zeitgenössischen Künstlerinnen und Künstlern, eine Brücke zwischen Tradition und Moderne. Die Ausstellung eröffnet spannende Dialoge zwischen den Werken, offenbart unerwartete Verbindungen, aber auch konfliktgeladene Brüche.

Die Auswahl der Werke kommt einem Querschnitt der chinesischen Kunstgeschichte gleich: Zu den Ausstellungs-Highlights zählen u.a. die Werke des einflussreichen Malers und Kunsttheoretikers Dong Qichang (1555–1636), des schillernden Mönchmalers Shitao (1642–1707), sowie Fotoarbeiten, Installationen, Videos und Bilder von Gegenwartskünstlern wie z.B. Yang Fudong (geb. 1971), Lin Tianmiao (geb. 1961), der grande dame der Avantgardekunst Chinas, sowie des Malers und Nobelpreisträgers für Literatur (im Jahr 2000) Gao Xingjian.

Die Natur als Rückzugsort und Refugium in der chinesischen Landschaftsmalerei früher und heute
Schon im 11. Jahrhundert schrieb der berühmte Maler und Kunsttheoretiker Guo Xi (ca. 1000–1090): «Gebunden und gefangen im Schmutz und Lärm der Welt zu sein – das verabscheut der Mensch naturgemäss. Zwischen Quellen und Felsen ungebunden herumzustreifen, daran erfreut er sich naturgemäss». So gingen viele Künstler in China hinaus aufs Land. Die Hütte in den Bergen wurde zum geistigen Raum und Refugium, wo sie sich vor politischen, gesellschaftlichen oder persönlichen Problemen zurückzogen und im Einklang mit der Natur ihren Frieden fanden.

Waren es im alten China vor allem die Machtkämpfe am Kaiserhof oder drohende Verfolgung oder Degradierung bei Herrscherwechseln, die Künstler und Gelehrte aufs Land flüchten liessen, sind es heute häufig der berufliche Burn-Out, die Umweltverschmutzung und der grassierende Materialismus in den Städten. Auch in unserer Zeit manifestieren sich die Träume und Sehnsüchte der Künstler wieder in der Landschaftskunst und ziehen ein Publikum in ihren Bann, das dieselben Emotionen und Fragestellungen teilt.

Berge und Gewässer, Wälder und Wolken – seit Jahrhunderten stehen diese Naturmotive im Zentrum der chinesischen Kultur. Unzählige Dichter besangen ihre Naturerlebnisse und Maler hielten sie mit Pinsel und Tusche fest. Die Landschaftsmalerei wurde bald zum wichtigsten Genre in der chinesischen Kunst. «Durch Anspielungen, Referenzen, Zitate übermitteln uns die Maler eine ganze Bandbreite von Botschaften: von ihrer gesellschaftlichen Stellung, über versteckte politische Kommentare, bis hin zu philosophischen oder literarischen Betrachtungen und persönlichen Gefühlen. Diese Codes entschlüsseln wir in der Ausstellung», erläutert die Co-Kuratorin, Alexandra von Przychowski.

Natur und Kultur als westliches Konzept
Seit einigen Jahren steht ein Begriff in der öffentlichen Diskussion, der das Welt- und Selbstverständnis des Menschen neu justieren möchte. In der sogenannten Anthropozän- Debatte wird die Trennung zwischen Natur und Kultur hinterfragt: Kann man in einer Welt, in der das Wirken des Menschen selbst die entlegensten Regionen der Erde nachhaltig verändert, überhaupt noch unterscheiden zwischen menschlicher und natürlicher Umgebung? Wie liesse sich eine solche Welt denken, wie beschreiben? Dabei wird oft ausser Acht gelassen, dass die diesem Denken zugrundeliegende Unterscheidung von Natur und Kultur ein westliches Konzept ist.

Die Ausstellung «Sehnsucht Natur – Sprechende Landschaften in der Kunst Chinas» eröffnet dem Besucher ein ganz anderes Weltbild. Ein zentraler Aspekt dieser Ausstellung ist der Dialog von Werken klassischer Landschaftsmaler mit denen moderner und zeitgenössischer chinesischer Künstlerinnen und Künstler.

Die klassische Landschaftsmalerei der Ming-Dynastie (1368–1644) gründet auf der alten Vorstellung, dass Mensch und Natur eine Einheit bilden. Der Mensch wird in Analogie zu den Abläufen des Universums gesetzt, als Kosmos en miniature. Daher spiegelt die natürliche Welt das Innere des Menschen und seiner Gesellschaft genauso wie umgekehrt die Menschen und ihre Zivilisation auf der Ordnung der Natur beruhen und sich an dieser orientieren. Die Maler bedienten sich einer hochcodierten Bild- und Symbolsprache. Die gemalte Landschaft ist weniger Abbild der Natur, sondern ein Raum, in den sich allgemeine Vorstellungen über die Welt und die Gesellschaft, aber auch Empfindungen, Haltungen, Hoffnungen oder politischer Protest einschreiben lassen. Die Landschaft wird so zum Sehnsuchtsort, zum Refugium, zum Ort der Aushandlung, des Widerstandes oder zum Ideal einer Gesellschaftsordnung. In der Gestalt der Landschaft durchdringen sich Menschliches und Natürliches.

In den Werken moderner und zeitgenössischer Künstlerinnen und Künstler wird deutlich, wie sehr Elemente und Vorstellungen der klassischen Werke bis heute nachwirken – aber auch, wie sie eine ganz neue Bedeutung entfalten können. Wenn Yang Yongliang Bergformationen aus den Hochhaus Skylines einer modernen Metropole entstehen lässt, wenn Lin Tianmiao und Wang Gongxin geisterhafte Frauengestalten in verfallene Gartenszenerien setzen oder Shi Jinsong eine Kiefer aus totem Holz und groben Eisenschrauben konstruiert, dann rufen sie zwar im Betrachter die alten Deutungsmuster und Assoziationen auf, wenden sie aber, ob subtil oder radikal, in heutige Befindlichkeiten und Empfindungen um. Sie nutzen alte Codes, um sich mit einer neuen Lebensrealität auseinanderzusetzen. Zur Sehnsucht nach einer vergangenen Ordnung, gesellen sich andere Empfindungen: das Gefühl der Entfremdung, der Schmerz über den Verlust der alten Werte, zugleich aber auch ein sich Sich-Einlassen auf die neue Situation: wie lassen sich die Veränderungen beschreiben, wie verhält sich der Mensch zu dieser neuen Umgebung?

In der Sprache der Landschaftsmalerei wirkt das Vergangene damit in überraschender Weise in aktuelle Debatten hinein, genauso wie die zeitgenössischen Werke helfen, die Bilder früherer Meister neu zu verstehen.