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In den letzten Jahren haben viele junge Künstlerinnen und Künstler die realistische Zeichnung für sich entdeckt. Dieser aktuellen internationalen Tendenz zur Gegenständlichkeit wird in dieser Ausstellung mit dem programmatischen Titel schwarz auf weiss nachgegangen. Der Titel bezieht sich einerseits auf die Nichtfarbigkeit der Werke, andererseits steht der Ausdruck «schwarz auf weiss» auch für Eindeutigkeit und Verständlichkeit. Im ersten Moment scheinen viele der ausgestellten Arbeiten diese Forderung zu erfüllen. Der Strich ist zumeist hart und deutlich, das Gezeigte erkennbar. Dennoch entsteht ein Spannungsfeld zwischen diesen vermeintlich leicht lesbaren Zeichnungen von Alltagssituationen, Personen oder Landschaften und ihrer oft unklaren Bedeutung oder geradezu surrealen Wirkung. Dieses besondere Interesse an der Auseinandersetzung mit sichtbarer und alltäglicher Wirklichkeit seit etwa Mitte der 90er Jahre hat nicht zuletzt mit der fortschreitenden Virtualisierung unserer Gesellschaft zu tun. Bei einigen Vertretern der jüngsten Generation ist die Vorliebe für die Zeichnung, in ihrer relativen Einfachheit bezüglich Handhabung und Resultat, auch als Gegengewicht zur technisch-multimedialen Reizüberflutung im Kunstbereich zu verstehen. Dabei bedeutet die Hinwendung zum Zeichnerischen längst nicht bei allen die ausschliessliche Verwendung von Stift und Papier, denn gezeichnet wird auch mit anderen Medien wie Video, Malerei, Scherenschnitt oder Stickerei. Vielmehr ist das Zeichnerische, insbesondere in der Verbindung mit alltäglichen Motiven, als eine Haltung zu verstehen, als ein Versuch, Umwelt und Wirklichkeit zu erfassen und zu hinterfragen, wobei die Reduktion auf schwarz und weiss eben nicht mit dem Verlust von Komplexität einhergeht. Zu einer Gruppe, die sich durch eine aufwändige, fast obsessive Arbeitsweise auszeichnet, gehören Ingo Giezendanner (1975, lebt in Zürich), Stefan Thiel (1965, lebt in Berlin), und Loredana Sperini (1970, lebt in Zürich). Giezendanners Handzeichnungen von urbanen Situationen ziehen das Auge durch ihre Kleinteiligkeit in Bann; jedes einzelne Baumblatt, jedes Hochhausfenster ist ausgeführt, einzig die zu schnell vorbeieilenden Passanten fehlen in diesen Kulissenbildern, da der Künstler jeweils vor Ort und nicht anhand von Fotos arbeitet. Von vergleichbarer Detailtreue und gleicher Konzentration auf schwarze und weisse Flächen, wenn auch präziser und weniger locker, sind Thiels minutiöse Scherenschnitte. Auf fotografischen Vorlagen beruhende Baumkronen oder Tarnnetze werden zu ornamentalen Mustern, die sich auch in den durchbrochenen Spitzenkleidern von Thiels Reihe “Models” wiederfinden. Ebenso komplex in der Herstellung, aber viel freier in Strich und Wirkung sind die gestickten Porträts, die Sperini in monatelanger Arbeit auf Stoff appliziert. Durch die langsame Ausführung überprüft Sperini jede Linie ihrer schwungvollen Vorlagezeichnung auf dauerhafte Qualität, und verleiht ihnen eine ausgeprägt materielle Sinnlichkeit. Im extremen Gegensatz dazu stehen die Linienzeichnungen von Didier Rittener (1969, lebt in Lausanne). Der feine, harte Strich, mit dem Rittener Maschinen und andere Alltagsobjekte kontrolliert umreisst, besitzt die kühle Wirkung technischer Zeichnungen, wie man sie auf Gebrauchsanweisungen findet. Erst auf den zweiten Blick erkennt man in seiner Arbeit Jouets (2001) die vielfachen Brechungen, wenn die monumentalen Landwirtschaftsfahrzeuge plötzlich als Abbildungen aus einem Spielzeugkatalog erkannt werden, und die einzelnen Bogen durch Rahmen abgegrenzt fast surreal-abstrakten Charakter erhalten. Dieselbe radikale Reduktion auf eine deutliche Linie findet sich in den Umrisszeichnungen von Maya Rikli (1958, lebt in Basel). Die Reihe Secrets (2000/2001) zeigt stark vereinfachte aber bestens erkennbare Porträts von Menschen aus Riklis Bekanntenkreis. Der Reiz dieser Arbeit besteht darin, mit einem ausgesprochen unpersönlichen und reduzierenden Strich die komplexen Beziehungsgeflechte von 14 Individuen untereinander und mit der Künstlerin zu evozieren. Ebenfalls auf gesellschaftlichen Realitäten und Beziehungen basiert das riesige Zeichnungskonvolut von Alex Hanimann (1955, lebt in St.Gallen). Hanimann überträgt aus einem Vorlagenbuch je eine männliche und eine weibliche Figur auf ca. 150 A3 Transparent-Papiere und schafft so ein Universum an möglichen Paarkonstellationen zwischen Anziehung und Abstossung. Die installativen, oft illusionistische Wandzeichnungen enthaltenden Arbeiten des Künstlerpaars Monica Germann (1966) und Daniel Lorenzi (1963, leben in Zürich) wiederum sind voller Referenzen an ihr persönliches Umfeld und an ihre künstlerischen Tätigkeiten innerhalb einer urbanen Szene: Kameras, Plattenspieler, Notebooks, Comicfiguren. Die überzeichnete Comic-Realität wird in dieser Ausstellung besonders mit zwei internationalen Positionen thematisiert. Paul Morrison (1966, lebt in London) kombiniert überdimensionierte Biene Maja-Blumen, Schattenbilder von Löwenzahnblätter und filigrane Baumumrisse zu plakativen Schwarzweiss-Landschaften. Im krassen Gegensatz zu diesem keimfreien Universum stehen Raymond Pettibons (1957, lebt in Hermosa Beach, CA) expressive Zeichnungen. Es sind Szenen von Menschen in dramatischen oder brutalen Situationen – eigentliche ”Comic-Stills”, die trotz ihrer schwarz-weissen Drastik nicht einfach lesbar sind. Franziska Furter (1972, lebt in Basel) geht im Gegensatz zu ihren früheren Arbeiten nicht mehr von Fotografien aus, sondern kopiert aus verschiedenen Comicvorlagen Explosionen, die raumgross in Tusch ausgeführt die Wand symbolisch aufzusprengen scheint. Die Papierstücke (2002) von Daniel Schibli (1963, lebt in Zürich und Wettingen) sind kurze Videosequenzen mit Silhouetten aus schwarzem Papier, die uns trotz ihrer offengelegten simplen Konstruktionsweise in wohlbekannte Comic- und Westernwelten entführen. Ambivalent wirken die projizierten Schattenvideos von Franziska Koch (1966, lebt in Zürich), in denen die Schatten realer Personen als bewegte Wandzeichnungen operieren und sich mit den Schatten der Besucher mischen. Wie real ist eigentlich der Schattenriss eines Menschen? Eine ähnliche Frage stellt sich auch bei den Videos von Zilla Leutenegger (1968, lebt in Zürich), in denen sie die gefilmte schlafende Person so ausblendet und bearbeitet, dass nur noch deren Umrisslinien bestehen bleiben. Diese scheinbare ”Zeichnung” bewegen sich allerdings so realistisch, dass sie den gewöhnlichen Trickfilmbetrachter verunsichern. Einen ähnlichen Effekt erreicht Leutenegger durch das umgekehrte Verfahren, in dem sie tatsächliche Zeichnungen animiert. Die Lebendigkeit dieses leise schlafenden Strichpersönchens ist als poetische Umsetzung einer ganz und gar realen Situation am frühen Morgen zu verstehen und macht schliesslich deutlich, dass sich die Werke dieser Ausstellung trotz realistischer Darstellungsweise und alltäglicher Themen nicht immer einfach erschliessen, ja durchaus poetisch oder surreal anmuten. Der Blick dieser Künstler und Künstlerinnen ist auf die Realität gerichtet, aber die Reduktion des Gesehenen auf die klare Linie und das Wegfallen von differenzierten Grauabstufungen schaffen alles andere als ein eindeutiges, leicht verständliches Weltbild in schwarz und weiss. Katharina Ammann

Publikation: Zur Ausstellung erscheint im Züricher Kunstverlag edition fink eine umfangreiche Publikation, die eine Ausstellungsdokumentation sowie einen Kunstteil mit zusätzlichen Arbeiten der Künstlerinnen und Künstler umfasst. Pressetext

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schwarz auf weiss. zeichnerischer Realismus – zeitgenössische Positionen
mit Ingo Giezendanner, Stefan Thiel, Loredana Sperini, Didier Rittener, Maya Rikli, Alex Hanimann, Monica Germann, Daniel Lorenzi, Paul Morrison, Raymond Pettibon, Franziska Furter, Daniel Schibli, Franziska Koch, Zilla Leutenegger