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Die Galerie Thomas Zander freut sich, ihre erste Einzelausstellung mit Werken des spanischen Künstlers Santiago Sierra zu zeigen. In seiner monografischen Schau mit Werken aus den Jahren 1999 bis 2015 bedient sich Santiago Sierra verschiedener Ausdrucksformen der Konzeptkunst, die ihre Wurzeln im Minimalismus der 1960er und 70er Jahre haben und die der Künstler in Form von Skulpturen und Aktionen sowie deren Relikten oder Dokumentationen in den zeitgenössischen Kunstkontext überführt. Im Hauptraum der Galerie ist die Installation Drei schwarze Autos mit laufendem Motor in einem Kunstraum zu sehen. Uraufgeführt wurde das Werk 2008 in Caracas, nun wird es erstmals in Deutschland gezeigt. Drei schwarze Autos stehen im Ausstellungsraum, die Motoren laufen und erzeugen Abgase, welche über Schläuche ins Freie geleitet werden. Lärm, Umweltverschmutzung, schlechte Arbeitsbedingungen und soziale Ungleichheit hinterfragt Sierra genauso wie den Wert des Menschen in einer kapitalistischen Gesellschaft, die zunehmend Effizienz und Quantifizierbarkeit fordert. Betritt der Besucher den Ausstellungsraum, wird er durch seine Anwesenheit Teil des Systems und somit auch zu einem Teil der Aktion. Sierra bezieht sich damit auf ein nicht realisiertes Projekt des deutschen Aktionskünstlers Gustav Metzger, das dieser 1972 für die dOCUMENTA 5 entwickelt hatte. Um einen Kubus herum sollten vier Autos so positioniert werden, so dass dieser die Abgase anreichert und zwar über den Zeitraum der 100 Tage andauernden Documenta.

Im Second Floor sind Filme und Fotografien mehrerer Performances ausgestellt, unter anderem eine filmische Dokumentation Sierras bekannter Performance Eine 250 cm lange Linie, tätowiert auf 6 bezahlte Personen aus dem Jahr 1999 in Havanna, Kuba. Charakteristisch ist der sachliche Titel des Werks, der dieses zudem beschreibt. Mit drastischen Mitteln konfrontiert Sierras Film den Betrachter mit der Armut der Kubaner, die für wenige Dollar bereit sind, ihre körperliche Unversehrtheit gegen Geld zu tauschen und sich damit zu prostituieren. Die Linie als Sinnbild moderner, gegenstandsloser Kunst ist dabei sorgfältig ausgewählt. In seinem Film Die Penetrierten (2008) spielt der Künstler mit seiner Inszenierung auf sexuelle Unterdrückung und Ausbeutung an. Verschiedene Akte zeigen Männer und Frauen verschiedener Hautfarbe beim Geschlechtsakt, wobei wie beim mathematisch-binären System Geschlecht (Mann und Frau) und Hautfarbe (weiß und schwarz) solange wechseln bis alle Kombinationen ausgeschöpft sind. Der Film wurde am 12. Oktober 2008 aufgenommen, dem Jahrestag von Kolumbus’ Ankunft in Amerika, in Spanien bekannt unter der Bezeichnung „Tag der Rasse“. So stellt der Künstler eine Verbindung zur Eroberung Amerikas durch die Spanier her. Insgesamt ist die Performance weit mehr als eine Allegorie auf die Dominierung der amerikanischen Urbevölkerung, denn Santiago Sierra schafft es, seinem Werk eine gegenwärtige Aktualität zu verleihen und überträgt die Thematik in unsere heutige Zeit. Nicht zuletzt durch seine drastischen Bilder und die Schonungslosigkeit der Inszenierung reflektiert er kritisch die moralisch-sittlichen Vorurteile der Gesellschaft.

Der dritte Film mit dem Titel Der Flur im Haus des Volkes wurde 2005 im Haus des Volkes in Bukarest aufgenommen. Während sich dort heute das Nationalmuseum für zeitgenössische Kunst befindet, waren die Räume zuvor dem rumänischen Diktator Nicolae Ceausescu vorbehalten gewesen. Eigens für die Performance veranlasste der Künstler den Bau eines Ganges, der alle drei Stockwerke des Gebäudes durchschnitt und mit einer Breite von nur 120 cm vergleichsweise schmal war. Für die Summe von sechs Euro engagierte Sierra rund 400 Frauen und positionierte sie in diesem Korridor. Die Performance fand einmalig nach Mitternacht statt und jeder Besucher, der sie sehen wollte, musste zuerst einen Metalldetektor passieren. Die Dokumentation der Performance zeigt die Passage der Besucher und wie sie an den Frauen vorbei den Korridor entlanggehen, während diese laut betteln und ihre Hände in den Gang strecken.

Begleitet werden die Filme von Fotografien, die als eigenständige Werke die Performances zum einen dokumentieren und zum anderen im Kunstkontext individuell verorten. International erzielt Santiago Sierra seit den 1990er Jahren große Aufmerksamkeit mit derartigen Aktionen, die den Besucher mit radikalen Positionen und gesellschaftskritischen Aspekten konfrontieren. Kreativer Nährboden der Darstellungen ist die strukturelle Gewalt politischer und wirtschaftlicher Systeme, die Sierra in seiner Kunst zur Anschauung bringt und die die individuelle Schmerzgrenze aller Beteiligten ausloten. So sind seine Arbeiten auch immer wieder Anlass öffentlicher Diskussionen. Weil sie ganz bewusst auf Dialog und Kommunikation ausgerichtet sind, zwingen sie den Betrachter zu einer Stellungnahme. Sierras Kunstwerke provozieren und lösen Unbehagen aus, denn sie spiegeln häufig die Situation wider, die sie anprangern.

Anlässlich der Art Cologne präsentiert die Galerie Thomas Zander in Zusammenarbeit mit Galería Helga de Alvear ein weiteres Werk Santiago Sierras mit dem Titel 483 Stunden Arbeit. Dabei handelt es sich um einen 4 x 4 x 4 Meter großen, schwarzen Betonkubus, der in Köln-Deutz auf dem Messevorplatz, Eingang Süd, zu sehen sein wird. Darüber hinaus wird der Künstler beim Art Congress Cologne an einem Interview teilnehmen. Die Veranstaltung findet am 17. April gegen 17.30 Uhr im Congress Centre Koelnmesse statt.