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1808 schrieb Johann Wolfgang von Goethe seinen Roman „Die Wahlverwandtschaften“. Anstoß gab ein naturwissenschaftliches Werk, 1785 erschienen, mit dem Titel „De attractionibus electivis“ von dem schwedischen Gelehrten Torbern Bergmann. Er beschrieb in seinem Werk chemische Stoffe, die sich gegenseitig anziehen, aus innerer Verwandtschaft wählen – im Gegensatz zu jenen, die sich abstoßen. Goethe hat das Naturphänomen in seinem Roman auf Menschen übertragen, „die, obgleich einander entgegengesetzt und vielleicht eben deswegen, weil sie einander entgegengesetzt sind, sich am entschiedensten suchen und fassen, sich modifizieren und zusammen einen neuen Körper bilden, ist diese Verwandtschaft auffallend genug.“

Bei der Suche nach einem geeigneten Titel für die Ausstellung im Nassauischen Kunstverein Wiesbaden schien dieser Gedanke wie geschaffen: Denn beide Künstlerinnen vertreten jeweils eine eigene Position in der zeitgenössischen Malerei: Sabine Dehnel malt figürlich, Nicola Stäglich abstrakt. Sie sind „einander entgegengesetzt“, um bei Goethes Worten zu bleiben, und dennoch besteht eine „innere“ Verwandtschaft. Nicht nur, weil beide Malerinnen Meisterschülerinnen von Friedemann Hahn sind, sich lange kennen und über ihre Arbeiten austauschen.

Was Sabine Dehnel und Nicola Stäglich darüber hinaus verbindet, ist ihre selbstbewußte Haltung, heute Malerin zu sein und damit in der langen Tradition der Malerei, zwischen Weitergabe und Überwindung zu stehen. Ihre Arbeiten zeugen von der Prozesshaftigkeit des Malens. Die Spur, die der Pinsel auf der Leinwand hinterläßt, ist bei Nicola Stäglich wie bei Sabine Dehnel Teil ihrer Ausdrucksform. Leuchtende, reine Farben und Komposition spielen bei beiden Malerinnen eine zentrale Rolle - sie erzählen damit Geschichten, rufen Erinnerungen an Zeiten und Orte wach und bleiben dennoch stets Bildkonstruktionen, die der Fläche verpflichtet sind.

Dabei gehören Sabine Dehnel und Nicola Stäglich einer Künstlergeneration an, die die – vielfach schon tot gesagte - Malerei hinterfragt und dabei auf die Auseinandersetzung mit künstlerischen Verfahrensweisen, wie sie in den 60er und 70er Jahren stattgefunden hat, zurückgreift. Die im Malakt stattfindende Selbstreflexion erzeugt im Werk von Sabine Dehnel und Nicola Stäglich ein spürbares Spannungsverhältnis, das die Qualität ihrer Arbeiten ausmacht.

Immer wieder werden dabei von beiden Künstlerinnen die Grenzen des Mediums Malerei ausgelotet – und überschritten: So arbeitet Sabine Dehnel auch fotografisch, wobei sie mit den Medien Fotografie und Malerei spielt: In ihren Fotoserien stellt sie Gemaltes nach – die Fotografie wird so zur „originalgetreuen Kopie des in der Malerei künstlich eingefangenen Moments“.

Bei Nicola Stäglich entwickeln sich aus der Auseinandersetzung mit der Malerei Wandarbeiten, die den Rahmen eines Bildes sprengen und auf den architektonischen Raum ausweiten. Die für ihre Arbeiten charakteristische Formensprache wird dabei weiter abstrahiert; der narrative Gesichtspunkt spielt jedoch auch hier eine zentrale Rolle.

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Sabine Dehnel / Nicola Stäglich
Malverwandtschaften
Kurator: Anja Greulich