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Rosalind Nashashibi
27.06.2019 - 01.09.2019

Eröffnung: Mittwoch, 26.06.2019 19:00 Uhr

Die Auseinandersetzung mit Formen des Sorgetragens und des Zusammenlebens unter Berücksich-tigung der jeweiligen politischen, sozialen und historischen Bedingtheiten ist ein konstantes Thema in Rosalind Nashashibis Werk. Das Private und das Politische treffen dabei aufeinander und verschränkensich, manchmal mit Betonung auf politischen Inhalten wie im FilmElectrical Gaza, der ihr 2017 eineNominierung für den prestigereichen Turner Prize einbrachte, manchmal mit stärkerer Fokussierung aufprivate Aspekte wie in dem als Auftragsarbeit für die documenta 14 entstandenen und vielbeachtetenFilmVivian’s Garden (2017), einem Porträt vom Leben und der Mutter-Tochter-Beziehung derKünstlerinnen Elisabeth Wild und Vivian Suter, die zurückgezogen im Regenwald von Guatemala leben.

Die komplexen Mechanismen, die hinter Identitätspolitiken und dem Aufeinandertreffen von Kulturen stecken, beleuchtet die Künstlerin, die selbst irisch-palästinensischer Abstammung und in Englandgeboren ist, nicht abstrakt und verallgemeinernd, sondern spezifisch anhand der Biografien realerMenschen und stets mit Einfühlungsvermögen und großem Respekt. Sie verzichtet in ihren Filmen aufstringente Erzählungen. Stattdessen inszeniert sie Szenen und Momente aus dem alltäglichen Leben in filmischen Collagen zu oft enigmatischen wie gleichermaßen poetischen Bildern. In der Parallelitätunterschiedlicher Handlungsstränge manifestiert sich ihr Interesse an vielschichtigen Realitätsebenenund sozialen Organisationsformen von der Familie bis zum Staat.

In der AusstellungDEEP REDDER zeigt Rosalind Nashashibi Malerei und einen neuen Film in zwei Teilen,der das Ergebnis einer längeren, prozessualen und noch nicht abgeschlossenen Reflexion übergesellschaftliche Normen familiären Zusammenlebens ist. Im Zentrum steht ihre Suche nach Alternativen,allen voran eine kritische Revision des Modells der Nuklearfamilie, das de facto in der Lebensrealitätvieler Menschen längst überholt, politisch und ideologisch jedoch nach wie vor heiß umkämpft ist.

Beide Filmteile sind inspiriert von der KurzgeschichteThe Shobies’ Story (1990) der Science-Fiction- undFantasy-Autorin Ursula Le Guin. Eingebettet in das von der Schriftstellerin geschaffene Science-Fiction-Universum erzählt sie von den Erlebnissen einer generationenübergreifend zusammengestellten Gruppe,die eine neue Form der Raumfahrt, die auf nicht-linearer Zeit basiert, testet.

Im Film übernimmt Nashashibi die Rolle der Erzählerin und verknüpft die filmische Handlung mit derliterarischen Quelle, um gleichzeitig philosophische und psychologische Fragen zu zwischenmenschlichen Beziehungen in den Raum zu stellen.

Neben Le Guins Kurzgeschichte bezieht Nashashibi sich auf das chinesische Orakel- und WeisheitsbuchI Ging, das sie vor Drehbeginn befragte und das maßgeblich auf die Form des Filmes einwirkte sowie diebeiden Titel generierte. Teil 1 heißt Where there is a joyous mood, there a comrade will appear to share a glass of wine und Teil 2 The moon is nearly at the full. A team horse goes astray. Vor dem Hintergrund derLe Guin’schen Geschichte reflektiert der Film, in dem die Künstlerin, ihre Kinder und enge Freunde dieHauptrollen übernehmen, wie das Gefühl von Gemeinschaft innerhalb einer Gruppe zunächst aufgebautund dann erschüttert wird, wenn ihre Entwicklung nicht auf einer linearen Abfolge beruht und ihr Verständnis übersteigt.

Die parallel zu ihren Filmen entstehende Malerei, die bei aller Abstraktion und formaler Reduktion demGegenständlichen verhaftet bleibt, öffnet der Künstlerin die Möglichkeit zu unmittelbarem Ausdruck undbietet ein Format, das Reflexionen, Gefühlen und Stimmungen aber auch Spontanität Platz lässt.Besonders die in der Ausstellung gezeigten Gemälde veranschaulichen ihre Erfahrung des In-der-Welt-Seins und der Gleichzeitigkeit verschiedener Zustände, „die Füße und Knöchel im Wasser, die Wadenund Schenkel im Trockenen – ein den Hals nach oben reckendes Lamm oder das verborgene Gesichteines Kälbchens, das dennoch vom Mondlicht beschienen wird.“ (Rosalind Nashashibi).

Neben Soloprojekten nehmen künstlerische Kollaborationen seit langem einen wichtigen Stellenwert in Nashashibis Praxis ein. Für das zur Ausstellung erscheinende Künstlerbuch hat sie die befreundete litauische Künstlerin Elena Narbutaite eingeladen, mit eigenen Werken auf ihre Bilder zu reagieren und in einen malerischen Dialog zu treten.

Rosalind Nashashibi, geboren 1973 in Croydon (England), lebt und arbeitet in London.

Das Ausstellungsprogramm wird vom Vorstand der Secession zusammengestellt.

Kuratorin: Bettina Spörr