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ROLF GRAF MOST UND KARFUNKEL Rolf Grafs Kunst ist nicht an ein bestimmtes Material oder Medium gebunden, sondern durch und durch heterogen – eine Produktion von Einzelfällen, die sich nicht um die Entwicklung einer künstlerischen Handschrift zu kümmern scheint. Die Arbeiten von Rolf Graf (*1969 in Heiden AR, lebt in Berlin) können sich als Videos oder Fotografien, wie auch als Objekte oder Installationen manifestieren, deren Konstanten die selbstreflexive Haltung und das ethnografische Interesse des Künstlers sind. Obwohl oft eigene Beobachtungen und persönliche Erinnerungen den Ausgangspunkt seiner Arbeiten darstellen, sind die Werke das Ergebnis eines reflektierten Distanzierungsprozesses, welcher diese für den Betrachter zugänglich machen.

Für die Ausstellung MOST UND KARFUNKEL im Kunsthaus Glarus hat der Künstler eine grosse Wandarbeit, skulpturale Objekte, Fotografien und Raumeingriffe geschaffen, die zwar als Einzelarbeiten konzipiert wurden, aber durch innere Bezüge miteinander verbunden sind. Wie die Wortkombination des Ausstellungstitels – MOST UND KARFUNKEL – anzudeuten vermag, geht es in dieser Ausstellung um die Verbindung von Bodenständigem und Märchenhaftem, von Alltäglichem und fantastisch Erdenfremdem. Rolf Graf legt mit seinen Arbeiten im Kunsthaus Spuren, die den Betrachter an Orte führt, wo es um tradiertes Wissen und Rituale, die Verortung von Erinnerungen und die Verwischung der Grenze von Natur und Kunst geht.

Im Seitenlichtsaal des Kunsthaus Glarus, tritt man als erstes auf ein weisses, an einen Ast gehängtes Unterhemd zu, das aussieht, als ob ein Wanderer es zum Trocknen aufgehängt hat. Leibchen, so der Titel des Werkes, meint nicht nur das schweizerdeutsche Pendant des hochdeutschen Begriffes Hemdchen, sondern verweist auf die Dimension des menschlichen Körpers: das Leibchen als Vergleichsmass und Hülle desselben. Auf die Innenseite des Unterhemdes sind Abbildungen von Vögeln gedruckt, die beim Tragen wie eine umgekehrte Tätowierung direkt auf dem Oberkörper liegen. Dieses Auf-sich-Tragen von Bildern, für die es keine funktionale Erklärung gibt, hat eine magische Bedeutung wie man dies von Amuletten her kennt. Rolf Grafs Werke vermitteln immer etwas, das sprachlich – über den Akt der reinen Beschreibung hinausgehend – nicht fassbar ist. Es sind Vehikel von gefühltem Wissen, die verbal nicht zu vermitteln sind und deshalb auch Objekten aus dem Bereich des Kultes oder des Volksaberglaubens nahe kommen – Themenkreise, die den Künstler in unterschiedlichen Zusammenhängen immer wieder beschäftigt haben.

Auch die Arbeit pica pica (Elsternarchiv) im Seitenlichtsaal verweist auf das Motiv des Vogels. Da der Seitenlichtsaal des Kunsthauses zweiseitig verglast ist, fliegen zuweilen Vögel gegen die grossen Fensterflächen. Rolf Graf nimmt darauf Bezug, indem er hinter die Glasfront CDs an Bast aufhängt, als könnten diese die Vögel von ihrem tödlichen Flug in die Scheiben abhalten. Allerdings sind die CD-Rohlinge mehr als nur abschreckende Reflektoren; sie sind Träger eines Archivs, das der Künstler zum Thema der Elster angelegt hat. Was die Vögel also zum einen von den Glasscheiben fernhalten soll, zieht die „diebischen“ Elstern zum anderen mit ihrem Silberglanz geradezu an.

Die talauswärts gerichtete Nordwand im Seitenlichtsaal hat Graf mit einer Holztapete beklebt. Daraus ausgespart ist eine monumentale Lokomotive, wie man ihr in alten Western begegnen könnte. Als ob die Lokomotive ihren Dampf durch den Zwischenboden ausstossen würde, legt sich auf der fortgeführten, darüber liegenden Wand des Oberlichtsaals eine riesige Graphitwolke ab. Die Arbeit, die also nie in ihrer Gesamtheit gesehen werden kann, fungiert als Klammer zwischen Ober- und Erdgeschoss: Der Besucher sieht entweder die Negativform, welche die tonnenschwere, metallene Lokomotive hinterlassen hat oder die vom Kohlenstoffderivat Graphit abgelagerte Rauchwolke.

Im grossen Oberlichtsaal im Obergeschoss steht in der Raummitte ein aus verwitterten Brettern bestehender Zylinder. Die Grösse und Beschaffenheit der Hölzer deuten darauf hin, dass die Bretter lange Zeit im Aussenraum gestanden haben müssen: sie waren die Aussenwände eines Stalls, der im Heimatdorf des Künstlers im Appenzellerland stand. Im Kreis angeordnet, ohne Dach, hat das Gebilde seine frühere Funktion eines schützenden Unterschlupfes verloren, dennoch scheinen die Hölzer die Erinnerung an die letzten wärmenden, herbstlichen Sonnenstrahlen gespeichert zu haben. Zur natürlichen, von der Witterung produzierten Zeichnung der Bretter fügt sich allerdings ein Fremdkörper; Silberne Polsternägel, die an Einschüsse einer Schrotflinte oder an einen Sternenhimmel erinnern mögen, markieren das Werk einmal mehr mit Zeichen, welche ihm eingeschrieben aber nicht lesbar sind.

Dem Wanderer durch Rolf Grafs geistige Landschaften, stellt der Künstler im Untergeschoss des Kunsthauses – was in der Kindheitserinnerung der Keller des Familienhauses wäre – Apfelmost in einem Glasballon bereit. Man trifft also ausserhalb der Ausstellungsräume auf einen Gegenstand, den man aus einem nichtmusealen Kontext kennt und sieht sich somit mit der Frage konfrontiert, ob es sich hierbei noch um Kunst handle oder nicht. In diesem nicht-definierten Zwischenraum beginnt der Prozess des Nachdenkens, denn – wie der Künstler selbst sagt – erst am Kiosk oder an der Bushaltestelle beginnt man das Gesehene wirklich zu rezipieren.

Das Künstlerbuch „Happy & Convoy“, das Rolf Graf vor wenigen Monaten als Herausgeber publiziert hat, steht zwar nicht in direktem Zusammenhang mit der Ausstellung MOST UND KARFUNKEL, trägt aber verwandte Züge. Der unter dem Pseudonym „Happy & Convoy“ in Bukarest arbeitende Künstler, lebt als Aussenseiter auf der Strasse und zeichnet auf gefundene Zettel Alltagsgegenstände wie Werkzeuge, Instrumente oder elektronische Geräte, vor allem aber Waffen, wie Pistolen und Dolche. Happys Zeichnungen sind mehr als nur Ausdruck seiner Wünsche, Sehnsüchte und Ängste; sie haben die magische Kraft, denjenigen zu schützen, der sie auf sich trägt. Rolf Grafs Arbeit ist ebenfalls geprägt von Eindrücken und Mängeln aus seiner Alltagswelt. Vergleichbar mit Happy übersetzt er diese mit einfachen Mitteln in eine Bildsprache, die in ihrer Reduktion sowohl etwas Entrücktes, wie auch Bodenständiges in sich tragen; er löst die Werke aber – ganz im Gegensatz zu den existentiellen, authentischen Zeichnungen Happys – durch einen künstlerischen Transfer von seiner eigenen Person ab. Die Entscheidung als Künstler (als Projekt für die Kunstschule F + F) die Zeichnungen eines anderen Künstlers zu publizieren, die ausserhalb jeden Kunstkontextes geschaffen wurden, verkörpert eine grundsätzliche Haltung, die sich durch Rolf Grafs ganzes Schaffen zieht: Es geht darum Grenzen scheinbar eindeutiger Kategorien zu verwischen und das eigene künstlerische Handeln zu überdenken.

Rolf Graf, hat an der ESAV Genf, bei Silvie und Cherif Defraoui, und an der Kunstakademie Düsseldorf, bei Jannis Kounellis, studiert. Seine Arbeit war in der Schweiz unter anderem in Einzelausstellungen im Kunstmuseum Solothurn (2000), im Kunstraum Kreuzlingen (2002) und in der Galerie Susanna Kulli, St. Gallen (2001/03) zu sehen.

VACLAV POZAREK OBEN HALB OFFEN In den skulpturalen Konstruktionen von Vaclav Pozarek (*1940 in Ceske Budejovice, CSSR, lebt in Bern), die von den Bedingungen des benutzen Materials ausgehen und für technische Zufälle offen sind, kreuzen sich Ingenieurskunst und Bricolage. Ausgangspunkt seiner Skulpturen sind meist Grundformen, die an Sockel, Wände, Ecken, Türen, Behälter oder Armaturen erinnern oder sich als Verdoppelungen architektonischer Elemente ausgeben. Sie können montageartig eingebaute Ready-Mades enthalten oder aber in vervielfachter Form erscheinen, so dass sie beinahe für massengefertigte Produkte gehalten werden könnten. Vaclav Pozarek verwendet für seine Arbeiten vorwiegend das, was vorhanden ist und bevorzugt Arbeitsbedingungen, in denen er als Künstler in seinen Möglichkeiten eingeschränkt ist und ihm nur wenig Raum und Material zum Agieren bleibt. Nicht selten verwendet er auch Fundstücke, arbeitet mit Überbleibseln aus früheren Konstruktionen und erarbeitet seine Werke indem er sie untereinander neu kombiniert, reorganisiert oder verwandelt. Er versucht für jede – sich selbst gestellte – Aufgabe die bestmögliche skulpturale Lösung zu finden.

„Mein Thema ist es, innerhalb der Dimensionen des Ateliers so inhaltslos, nicht-figurativ wie möglich zu bleiben (…). Anstelle von Inhalt und Gegenstand versuche ich, strukturale Lösungen zu verfolgen, beispielsweise Eckverbindungen anders zu lösen als bekannt oder zwei angeblich nicht verträgliche Materialien miteinander in Kontakt zu bringen, sie entsprechend zu stimulieren. Ich weigere mich, mir dabei zu grosse Freiheiten zu erlauben. Auch soll das Material nicht selbst zum Inhalt werden, es darf nicht überhand nehmen.“ (V. Pozarek im Gespräch mit Dieter Schwarz, Prix Meret Oppenheim, 2006)

Vaclav Pozareks Skulpturen, sind von einer gedanklichen und formalen Präzision, die von seiner grundlegenden Untersuchung der Skulptur als solcher zeugen. Er bewegt sich zwischen der Analyse des historischen Systems Kunst und dem spielerischen Umgang mit Ikonen und Stilen. Was man in seiner Arbeit als Vokabular des Konstruktivismus wie auch der Minimal Art zu erkennen glaubt, zeigt sich bei näherem Hinsehen als subjektive Aneignung mit Irritationen und Brüche. Ganz bewusst entzieht sich der Künstler jeglichen Versuchen ihn festzulegen und hinterfragt die eigene Arbeit permanent, indem er eingeschlagene Wege schnell wieder verlässt und routiniertes Können immer wieder aufgibt. Auch die Vielfalt seiner künstlerischen Ausdrucksmittel erschwert es, den Künstler einzuordnen, denn Pozarek arbeitet immer gleichzeitig auf mehreren Ebenen. Parallel zur Skulptur, die sich in kleinen Objekten, wie auch in architekturähnlichen Installationen manifestieren kann, befasst er sich mit intensiv mit Zeichnung, Collage, wie auch mit Fotografie und betätigt sich als Gestalter von Büchern und Ausstellungsmobiliar.

Für die Ausstellung im Kunsthaus Glarus, die den Titel OBEN HALB OFFEN trägt, wird Vaclav Pozarek für den Oberlichtsaal im Erdgeschoss neue Arbeiten schaffen, die sich in eine Reihe von Werken einfügt, die von der Form der Kiste ausgehen. Diese Kisten, Kästen, Kojen oder Behälter können offen oder geschlossen sein, können als Einzelskulptur auf dem Boden stehen, an der Wand angebracht oder Teil eines komplexen Systems sein. Es sind einfache aus zweidimensionalen Teilen konstruierte dreidimensionale Körper, welche die Grundelemente des architektonischen Raumes (Boden, Wände, Decke) in sich tragen und somit als ein zwischen Skulptur und Architektur angesiedeltes Objekt verstanden werden können.

Vaclav Pozarek studierte Filmregie an der Filmakademie Prag (1965-66). 1968 verlässt er die Tschechoslowakei und zieht in die Schweiz. 1969-71 Studium an der Hochschule der Bildenden Künste in Hamburg. 1971-73 Studium an der St. Martin’s School of Art in London. Vaclav Pozareks Schaffen war in wichtigen Einzelausstellungen u.a. in der Kunsthalle Bern (mit Franz West, 1988), in der Kunsthalle Palazzo, Liestal (1993), im Aargauer Kunsthaus, Aarau (1995) und im Kunstmuseum Winterthur (2004) zu sehen.

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Rolf Graf: MOST UND KARFUNKEL
Vaclav Pozarek : OBEN HALB OFFEN