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Robert Kusmirowski, 1973 im polnischen Lodz geboren und 2006 sowohl mit einer umfang-reichen Einzelpräsentation im Migros Museum in Zürich als auch auf der Berlin Biennale ver-treten, ist ein Zeitreisender. Seine Zeichnungen, Objekte und raumgreifenden Installationen erscheinen auf den ersten Blick als Ready Mades, erweisen sich jedoch bei genauerer Be-trachtung als minutiöse Nachahmungen aus vergangenen Epochen, hergestellt aus ein-fachen Materialien wie Holz, Pappe, Gips oder Styropor. Ihr hyperrealistischer Effekt wird durch eine detailgenaue Bemalung ihrer Oberflächen zusätzlich gesteigert. So entstehen Zeichnungen, Skulpturen, Rauminstallationen und komplexe Aktionen, die sich auf histo-rische Ereignisse oder Orte beziehen und die hiermit verbundenen Fragestellungen in die Gegenwart überführen.

Beispielsweise schlüpfte Kusmirowski 2003 in die Gestalt eines Fahrradfahrers aus dem Jahr 1929, der zu einem so genannten „Fahrradmarsch“ aufbricht, einer Ausdauerfahrt, einem einsamen Rennen gegen die Zeit auf der historischen Strecke Paris-Berlin-Leipzig. Kusmirowski fuhr die gesamte Strecke auf einem Fahrrad der 1920er Jahre ab, dokumen-tierte die Tour mittels Fotografie und Zeichnung und ließ dieses Material wie Originale vom Anfang des vorigen Jahrhunderts erscheinen.

Immer wieder arbeitet der Künstler der Aura des White Cubes entgegen, indem er Galerien und Institutionen in verlassene Arbeitsstätten (Double V, 2003), Friedhöfe (D.O.M., 2004) oder täuschend echt wirkenden Nachbauten eines Bahnhof-Wartesaals nebst Eisenbahn-Waggon (Galerie Biala, Lublin 2002) verwandelt. So wurde auch der Erdgeschossraum des Kunstvereins in Hamburg zu Beginn des vergangenen Jahres für die Ausstellung The Ornaments of Anatomy zu einer Bibliothek umfunktioniert, in die die Besucher keinen Zutritt hatten, sondern nur durch zwei Fenster von Außen hineinblicken konnten. Die gesamte Installation verblieb auf diese Weise im Geheimnisvollen. Es erschloss sich zwar über den Anblick einiger aufgeschlagener Bücher auf einem Schreibtisch, einer angestellten Lese-lampe, von mit Büchern vollgestopften Regalen, eines anatomischen Modells, mehrerer Poster mit der Darstellung menschlicher Organe, eines am Garderobenhaken aufgehängten Mantels sowie einer halb offen stehenden Zimmertür der Eindruck einer soeben verlassenen Arbeitssituation, genauere Informationen über die dort lesende Person und den Zweck ihrer Studien aber erhielt man nicht. Zeitlich war der Raum durch die Ästhetik der benutzten Ob-jekte in der Vergangenheit verortet, ohne diese genauer zu spezifizieren. Das Werbeplakat der Ausstellung zeigte das vom Künstler fingierte Cover eines alten Buches, „The Ornaments of Anatomy“ eines Dr. Vernier. Dieser Doktor – augenscheinlich jemand, der intensive medizinische, anatomische Forschungen betrieb – war als rein fiktionaler Charakter eine Erfindung von Kusmirowski.

Für die Präsentation von Robert Kusmirowski im Obergeschoss des Kunstvereins wird der Künstler an die ein Jahr zuvor begonnene Geschichte des bibliophilen und in geheimnisvolle Studien versunkenen Dr. Vernier anknüpfen und sie weiterspinnen. Gleichzeitig wird er zahl-reiche Nachbauten von Relikten vergangener Ausstellungen aus anderen Orten integrieren. Das Ergebnis wird somit zur selben Zeit eine vollständig neue, raumgreifende Installation und eine ganz eigene Form der Retrospektive sein, in der alle Fäden seiner künstlerischen Herangehensweise konzentriert zusammengeführt werden.

Es ist ein Katalog mit einem Gespräch zwischen Robert Kusmirowski und Yilmaz Dziewior sowie Texten von Jens Asthoff, Sebastian Cichocki, Joanna Mytkowska, Janneke de Vries, Joanna Zielinska u.a. im Hatje Cantz Verlag erschienen.

Die Ausstellung wird in Zusammenarbeit mit dem Adam-Mickiewicz-Institut und aus den Mitteln des Kulturministeriums der Republik Polen im Rahmen des Deutsch-Polnischen Jahres 2005/2006 durchgeführt.

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