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Rita Ernst im Dialog mit suprematistischen Architektona* Die Ausstellung stellt eine Verbindung zwischen zwei zeitlich und räumlich voneinander getrennten Bildwelten her. Im Vordergrund stehen die jüngsten Werke der Zürcher Künstlerin Rita Ernst. Die Arbeiten in Acryl auf Papier bilden die vorerst letzte Station des Werkzyklus "Progetto Siciliano", der sich seit nunmehr acht Jahren in stetiger Entwicklung befindet. Dabei geht die Künstlerin von Grundrisszeichnungen sakraler und profaner Bauwerke aus, denen sie auf Streifzügen durch ihre Wahlheimat Sizilien begegnet. Waren die Grundrisse in den ersten Bildserien noch deutlich ablesbar, so haben sich diese in der Folge immer deutlicher von ihrer Vorlage emanzipiert - bis hin zu den hier präsentierten Arbeiten. Der Transformationsvorgang vom Bauwerk über die Architekturzeichnung zur Malerei geschieht primär durch die Arbeitsschritte der Spiegelung, der Beschränkung auf einen Ausschnitt sowie der formalen Abstraktion. Gegenüber früheren Schaffensphasen sind immer noch die vertikalen Farbbälkchen präsent; hingegen ist die charakteristische bunte Palette Ernsts auf sattes Rot und Schwarz reduziert, so dass die Arbeiten an die visuelle Rhetorik der Konstruktivisten gemahnen (deren Pragmatismus bildet innerhalb der russischen Avantgarde gerade den Gegenpol zur vergeistigten Haltung der präsentierten Suprematisten). Im Gegenzug haben Kreis und Kreisscheibe Eingang in das Formenrepertoire der Zürcher Künstlerin gefunden. Sie scheinen Kasimir Malewitschs suprematistischer Formentrias Quadrat - Kreisscheibe - Kreuz eine späte (und nur partielle) Reverenz zu erweisen. Wenn El Lissitzky das epochale schwarze Quadrat (und mithin die schwarze Kreisscheibe) einst als Blick in den Kosmos interpretierte, so scheint dies auch in einigen von Ernsts Arbeiten möglich. Es ist ein wohlgeordneter Kosmos, der die grundlegende Architektonik noch immer erahnen, jedoch nicht mehr völlig rekonstruieren lässt. Mit den Bildern der zeitgenössischen Künstlerin stehen abstrakte Kompositionen aus den 1920er Jahren im Dialog, die einer architektonischen Konzeption folgen. Sie stammen aus der Hand von Nikolaj Suetin und Ilja Tschaschnik, die als wichtigste Schüler Malewitschs im Umfeld des russischen Suprematismus wirkten. Die Suprematisten strebten mit ihrer Malerei nach der völligen Befreiung vom Gegenstand; dennoch finden sich pragmatische Entwürfe für Porzellan und Bühnenbilder, aber auch die hier gezeigten architekturalen Formenspiele. Ein Vergleich zwischen den beiden Sphären ist aufschlussreich. Zwar unterscheiden sich die Werke Ernsts und der Suprematisten bezüglich der Entstehungsumstände und der theoretisch-weltanschaulichen Hintergründe deutlich. Jedoch eignet ihnen eine gemeinsame visuelle Logik: Beide Positionen bekennen sich zu einem tektonischen Bildaufbau, der aus der Bezugnahme zur Architektur folgt. Dabei geht es nicht um das "Abbilden" konkreter Architekturen, sondern um die Darstellung einer strukturellen Ordnung mit Hilfe abstrahierter Formen, die vor einem monochromen Bildraum gleichsam zu schweben scheinen. Diese Kompositionen sind von der Bodenhaftung des Architektonischen losgelöst und in reine Malerei überführt. In ihnen behauptet die Kunst ihren autonomen Ort. Martino Stierli, Januar 2006

* Malewitsch bezeichnet seine Architekturmodelle bzw. Architekturskulpturen als "Architektona".

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