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Ausstellungseröffnung: Sonntag, 25. Mai 2008, 11:30 Uhr

Richard Hamilton, geboren 1922 in London, gehört zu den wegweisenden Künstlern der Gegenwart. Ihm wird nicht nur die Erfindung der Pop Art zugeschrieben, er war auch der erste, der sich dem kontinuierlichen Studium der Mechanisierung und Digitalisierung von Bildern gewidmet hat. Bereits 1949 zerlegte er seine Motive, um ausgehend von Marcel Duchamps „Akt, eine Treppe herabsteigend“ die Frage zu stellen, wie sich ein Gegenstand bei Bewegung verändert. Anatomisch und perspektivisch korrektes Darstellen hat er mit nur sechzehn Jahren an den Londoner Royal Academy Schools erlernt. Die Technik der Ingenieurszeichnung eignete er sich während des Zweiten Weltkriegs an. Seine anschließende Mitarbeit an kulturgeschichtlich aktuellen Ausstellungen wie „Growth and Form“ 1951 im Londoner Institute of Contemporary Art beflügelte ihn zu einer individuellen Morphologie, die in den kommenden fünfzig Jahren neben dem Porträt vorrangig häusliche sowie technische Gegenstände umfassen sollte. Durch die Ausstellungsprojekte „Parallel of Life and Art“ und “Man, Machine and Motion” 1953 sowie „This is Tomorrow“ 1956, in deren Rahmen Hamiltons berühmte Collage mit dem Wort „Pop“ erschienen ist, entpuppt sich Hamilton als akribischer Erforscher eines Bild-Universums, in dem, wie er sicht selbst ausdrückt, „Blasen bestimmte Gestalten annehmen“ („in which bubbles take certain shapes“). Schon in den 1950er Jahren, inspiriert durch ein Buch von Claude Shannon, glaubte Hamilton, dass das binäre System die Voraussetzung schaffen würde, alle Motive darzustellen. Das digitale Zeitalter war für ihn geboren. Seit den frühen 1970er Jahren, seit es käufliche Computer gibt, greift Hamilton auf die fortgeschrittenste Hard- und Software zu, um seine eigenen Werke digital zu generieren. Mit den neuesten Bildprogrammen und Druckern beginnt er, sogar frühere Arbeiten zu verändern und ein weiteres Mal zu vervollkommnen. Das Geschenk, sagt Hamilton, das der Computer einem bekennenden Collagisten machen kann, ist das Maß der Kontrolle. Am Anfang steht seine eigene berühmte Pop-Collage von 1956, „Just what is it that makes today’s homes so different, so appealing?“, die er aufgrund einer BBC-Anfrage 1994 „aktualisiert“. Das historische Blatt, das einen Mann, eine Frau und gefundene Bilder zu den Themen Geschichte, Essen, Zeitung, Kino, Fernsehen oder Comics zeigt, wird von ihm zunächst mit der banalen Postkarte eines einfachen spanischen Hotelzimmers hinterlegt. In diesen Raum, der von ihm maßstäblich angepasst wird, fügt er nach und nach zeitgemäße Gegenstände ein, bis „der Moment der Wahrheit“ gekommen und das Kunstwerk in seinen Augen fertig ist.

Hamiltons Ausstellung „Virtuelle Räume“ zeigt nicht nur großartige Werkbeispiele aus den letzten fünfzehn Jahren. Sie dokumentiert, in welchem Umfang der Künstler seit 1994 scheinbar einfache Bilder, zum Beispiel die Postkarte eines jungen japanischen Hochzeitspaars, aufgegriffen hat, um sie die Variationen erzähltechnisch wie erkenntnistheoretisch aufzuladen. Durch das ständige digitale Probieren werden Meisterwerke geschaffen. Trotz der Vollendung gibt es zu den Ergebnissen scheinbar immer noch Alternativen. Hamilton huldigt inzwischen nicht mehr allein Duchamp, sondern auch Jan van Eyck oder Diego Velázquez, Vermeer van Delft oder Fra Angelico. Seine neuesten Werke stellen sich ästhetisch beinahe auf eine Stufe mit der Renaissance. Gleichzeitig bekunden sie, dass sie in Zukunft anders zusammengesetzt werden könnten. Erstmals hat Hamilton seinen Weg zu den digitalen Meisterwerken 2006 in der Londoner Galerie Alan Cristea offen gelegt. Unter dem Titel „Painting by Numbers“ hat er 63 Alternativen zu besonders bekannten Drucken vorgestellt. Er zeigte abstrakte neben figurativen Lösungen oder Beleuchtungswechsel in einem Interieur. Einer seiner jüngsten Drucke, der digitale Inkjetprint „The Annunciation“ von 2005, hat sich ein Jahr später als Reflex einer weiteren Bilderserie, „A Host of Angels“, entpuppt. Sie wurde vom Künstler 2007 im Rahmen der Biennale von Venedig in der Fondazione Bevilacqua La Masa gezeigt. Die Kunsthalle Bielefeld präsentiert mit mehr als achtzig Beispielen erstmals beide Werkgruppen Hamiltons zusammen, sowohl die 68 Drucke aus der fünfteiligen Werkgruppe „Painting by Numbers“ von 1994 bis 2005 als auch die Leinwandserie „A Host of Angels“, bestehend aus vierzehn Bildern von 1993 bis 2007. Sie fügt ausgewählte Museumsleihgaben aus den 1990er Jahren hinzu und stellt Hamiltons allerneueste Werkgruppe der „Toaster“ vor, die auf eine Inkunabel der Pop Art, seinen „Toaster“ aus Metall, Holz und Papier von 1964 zurück geht. Damit wird Richard Hamiltons Schaffen aus den vergangenen fünfzehn Jahren umfassend und äußerst zeitnah dokumentiert. In der romanisch anmutenden Kunsthalle von Philip Johnson wird das aktuelle Werk des heute 86jährigen Künstlers in einer einzigartigen Tiefe erscheinen. In einem Begleitfilm wird Hamilton seine Werke erläutern. Zu beiden Werkgruppen erscheinen in der Edition Hansjörg Mayer Einzelkataloge im Schuber in deutscher oder englischer Sprache, die gemeinsam zum Sonderpreis von € 28,- erhältlich sind.

Bereits 1978 hatte Hamilton in der Kunsthalle Bielefeld ausgestellt. Damals zeigte er am Beispiel von annähernd zweihundert Papierarbeiten den Prozess seiner Studien seit 1937. In der jetzigen Ausstellung „Richard Hamilton. Virtuelle Räume“ finden Jugendliche von 16 bis 26 Jahren die Möglichkeit, die Collagetechnik und Hamiltons Installation im Kölner Museum Ludwig durch das Programm „Hamilton Spezial“ kennen zu lernen. Die NRW.Bank in Düsseldorf, die die 68teilige Werkgruppe „Painting by Numbers“ von Hamilton 2007 vollständig erworben hat, unterstützt die Ausstellung.

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Richard Hamilton. Virtuelle Räume