Städel Museum, Frankfurt

Städelsches Kunstinstitut und Städtische Galerie | Dürerstr. 2
60596 Frankfurt

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Der belgische Maler Luc Tuymans, einer der bedeutendsten und gefragtesten Maler der Gegenwart, hat vergangenes Jahr als Nachfolger von William Kentridge die Max-Beckmann-Stiftungsprofessur an der Städelschule angetreten. Im Juni 2007 hielt er zum Auftakt seiner Lehrtätigkeit drei öffentliche Vorträge im Städel Museum, in denen er über seine Erfahrung mit dem Kunstbetrieb sprach. Durchaus skeptisch beurteilte er die Rolle der Kunstkritik, der Kultursubventionen sowie der Einflussnahme von Kuratoren. Luc Tuymans wird nun wie bereits William Kentridge vor ihm die Professur mit einer eigens für das Städel Museum entwickelten Ausstellung beschließen. Während seiner Aufenthalte in Frankfurt nahm er die Gelegenheit wahr, die Sammlungsbestände und vor allem die Depotbestände des Museums eingehend zu besichtigen. Aus dem Gesamtbestand wählte der Künstler eine Reihe von 15 Bildnissen aus fünf Jahrhunderten aus, die er im Rahmen der Ausstellung „Reconsidered“ ergänzt durch ein eigenes Triptychon mit dem Titel „Eyes“ aus dem Jahr 2001 im Kuppelsaal vorstellt und schriftlich kommentiert.

Außerdem nimmt Tuymans in den Galerieräumen zur Kunst des 19. Jahrhunderts eine weitere Intervention vor und stellt Fernand Khnopffs Bild „Der Jagdaufseher“ sein Gemälde „Against the Day“ gegenüber, das damit im Städel erstmals öffentlich präsentiert wird.

Den im Herzen des Museums liegenden achteckigen Kuppelsaal hat der Künstler durch einen oktogonalen Einbau in der Raummitte verändert: Ein eng gefasster Weg führt zwischen den Außenwänden und der inneren Struktur hindurch. Der Ausstellungsraum verwandelt sich nicht nur durch die entstandene Enge, sondern auch durch die ausgewählten Gemälde und deren Analyse durch den Maler und Betrachter in ein dichtes Szenario. „Ich halte es für sehr wichtig“, so Tuymans, „dass in einem Museum durch die Art und Weise der sich immer wieder verändernden Präsentation ein gedanklicher Prozess in Gang kommt, in dem das Bild sich mit anderen Gemälden auseinandersetzt.“ Die Idee, von der sich Tuymans bei der Auswahl und damit der Gegenüberstellung von Bildern aus der Städelsammlung leiten ließ, sei „unmuseal, nicht kunsthistorisch und entspringe der Intuition“. Porträts, Landschaften und abstrakte Bildräume verweben sich zu einem Diskurs über die Möglichkeiten und Grenzen der Malerei – über deren Realität, physische Präsenz oder Lebensdauer. Eng damit verknüpft sind das Betrachten von Kunst und die Untersuchung der Bedingungen (des Effekts der Wände, von Licht und Farbe und der Nachbarschaften), unter denen die Gemälde heute zu sehen sind.

Luc Tuymans’ Augenmerk fiel bei den Rundgängen in den Depots wie in der permanenten Sammlung des Städel Museums zunächst auf die Gattung des Porträts. „Bei meiner Werkauswahl aus der Städelsammlung habe ich zunächst versucht, so viel wie möglich aus den Depots zu zeigen. Am Ende ist dann aber doch noch das Bedürfnis entstanden, ein Highlight einzufügen, das sich wie ein Schlüsselbild für die übrige Auswahl verhalten würde. Es ist dies Jan Vermeers ‚Der Geograph‘ aus dem 17. Jahrhundert. In seiner Perfektion der Ausführung entzieht sich das Gemälde einer unmittelbaren Taktilität.“ Mit Georg

Herolds „Kaviarbild“ aus dem Jahr 1990, einem aus Kaviar gemalten und durch die Verwendung eines Bindemittels bereits vergilbten Bild, stellt Tuymans Vermeers dauerhafter Perfektion ein Bild völliger Imperfektion gegenüber. Die Zahlen auf Herolds Leinwand verweisen auf die Messbarkeit von Zeit, wenn auch ganz anders als bei Vermeer. Nachbarschaften wie diese bestimmen die Auswahl, innerhalb der Tuymans Werke zusammenführt, die auf den ersten Blick nur wenig gemeinsam haben wie Velazquez’ (Kopie?) „Bildnis des Kardinals Gaspar de Borja y Velasco“ (o. J.), Edvard Munchs Gemälde „Fischer und seine Tochter“ (1902), das „Bildnis eines jungen Mannes“ eines französischen Meisters (2. Hälfte 16. Jh.), das „Selbstbildnis“ von Ottilie Roederstein (1920er-Jahre) oder eben Vermeers „Geograph“ und Herolds „Kaviarbild“. Doch zeichnen sich die ausgesuchten Leinwände allesamt durch eine eigentümliche Kraft aus, die als beglückend, beunruhigend oder gar bedenklich empfunden werden kann. Sie stehen allesamt für das Vermögen, mittels der Malerei nicht nur den Geist des Individuums zu bannen, sondern auch den Geist einer Zeit. Die christliche Lebenswelt wird in der Malerei ebenso gespiegelt wie das bürgerliche Weltbild bzw. die Zeit der Tabula rasa während, zwischen und nach den Weltkriegen. Instrument dieser Spiegelung ist der beobachtende und handelnde Künstler selbst, Resultat dessen Malerei.

In den Galerieräumen zur Kunst des 19. Jahrhunderts gibt es eine weitere Intervention von Luc Tuymans. Dem Bild seines Landsmannes Fernand Khnopff „Der Jagdaufseher“ aus dem Jahr 1883 stellt er sein erst im August 2008 entstandenes monumentales Gemälde „Against the day“ gegenüber, das damit erstmals der Öffentlichkeit präsentiert wird. Auf Khnopffs Bild sieht man einen Jagdaufseher und einen Baum im Gelände stehen. Der Jagdaufseher hat seinen Blick auf nichts Spezifisches gerichtet, sondern erscheint völlig in sich selbst versunken. „Ein hermetisches Bild“, so Luc Tuymans, „aber gleichzeitig ein Bild, das keiner ländlichen Idylle entspricht. Es zeigt vielmehr eine Gefahr.“ Im Gegensatz zu Khnopffs „Jagdaufseher“ ist Tuymans’ Bild ein Nachtbild. Die Figur dreht sich weg und sieht sich nach dem Betrachter um, als Barriere ist ein Baum eingeführt. Das Bild zeigt den Stadtgarten des Künstlers, die Figur ist anonymisiert, nahezu gesichtslos. Obwohl Khnopff und Tuymans mehr als 100 Jahre trennen, vermitteln beide Werke, so Tuymans, „eine Stimmung wie in Paul Thomas Andersons ‚There Will Be Blood‘: die Sprachlosigkeit in den ersten Minuten des Films, der Minimalismus, die Banalität, der Zynismus, die Gewalt, die Klaustrophobie.“

Luc Tuymans hat die Rolle des Kurators bereits einmal im vergangenen Jahr in seiner belgischen Heimat (BOZAR Brüssel) und in China (Palast-Museum Peking) bei der Konzeption und Einrichtung der Ausstellung „The Forbidden Empire“ („Das verbotene Reich“) wahrgenommen, die flämische und chinesische Kunst aus sieben Jahrhunderten kontrastiv zusammen präsentierte.

Kurator: Luc Tuymans Projektleitung: Dr. Eva Mongi-Vollmer, Kuratorin, Städel Museum

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Reconsidered.
Luc Tuymans’ Werkauswahl aus der Städelsammlung
Kurator: Luc Tuymans
Projektleitung: Eva Mongi-Vollmer