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Raquel Maulwurf (*1975, Madrid) hat sich mit großformatigen Kohlezeichnungen von zerstörten Städten einen Namen gemacht. Dabei fängt sie die verheerenden Folgen von Krieg, Terrorismus und Waffen in all ihrem Schrecken ein. In ihrer jüngsten Arbeit wendet sich Maulwurf indes von der Stadt hin zur Natur – zu einem Zeitpunkt, als sie nach New York zieht.

In der Stadt, die niemals schläft, verspürte Maulwurf den Drang, sich neuen Motiven hinzuwenden – Motive, in denen die Natur in den Mittelpunkt rückt. Ansichten von Meer und Wald sind in Serien ausgearbeitet. Im New Yorker Großstadtdschungel verschiebt sich Maulwurfs Fokus hin zu der Darstellung des Schadens, den die Menschheit seiner Umwelt zufügt. Die Frage ist, ob die Urkraft der Natur letztlich gewinnen wird; sie gestärkt aus den zerstörerischen Kräften des Menschen hervorgeht?

In gewissem Sinne könnte dieses Thema auch als eine Metapher für Maulwurfs Arbeitsmethode angesehen werden, wo Schöpfung und Zerstörung Hand in Hand gehen. Bei den Meereslandschaften zum Beispiel, attackiert sie buchstäblich den Karton auf dem sie arbeitet. Gewaltige Sturzwellen entstehen durch das Zeichnen von starken Linien mit Kohle. Ein Teppichmesser oder Schleifpapier dient ihr dazu, das Innerste des Kartons freizulegen. In der aufgekratzten Oberfläche entspringt das reinste Weiß und bildet den Schaum der Wellen.

Abgesehen von Meeren und Wäldern, hat New York Maulwurfs Portfolio um neue urbane Motive bereichert. Die Zeichnung End of Snow zeigt die Transformation, welche die Stadt erfährt, wenn die berüchtigten Schneestürme die Kontrolle übernehmen. Moving Landscapes basieren auf Fotografien von Landschaften aus dem Inneren eines fahrenden Autos. Diese semi-abstrakten futuristischen Zeichnungen erwecken ein Gefühl von extremer Geschwindigkeit. Insbesondere dieses Motiv demonstriert die Virtuosität und Fähigkeiten von Maulwurf.

Der kreative Prozess an sich ist von großer Bedeutung für die Künstlerin. Wenn sie über ihre Zeichnungen spricht, erzählt sie wie sie sich fast verschlungen fühlt von ihren großformatigen Arbeiten, da sie sehr nah an der Oberfläche arbeitet. Während des Zeichnens verschmiert sie die Kohle mit ihren bloßen Händen und scheuert sich dabei manchmal ihre Haut auf bis sie fast blutet. Während dieses Prozesses kriecht die Kohle unter ihre Fingernägel und sickert in die Poren ihrer Haut. Dies stellt nicht nur eine körperliche Herausforderung dar, es fordert auch eine große Menge an Ausdauer und zeigt ihre extreme Hingabe für die Arbeit.

Im Jahre 1847 bemalte der französische Künstler Théodore Rousseau gefällte Bäume auf der Île de Croissy (Museum Mesdag Collection) als Appell gegen die Abholzung der Bäume. Er war äußerst berührt, als wenn die Äxte in seinen eigenen Körper geschwungen würden. Sich mit der Natur zu identifizieren, ihre Urkraft anzuerkennen und Ehrfurcht vor ihr zu haben, dies charakterisiert das Erhabene in der Kunst, vor allem wenn den Bäumen Gefühle zugeschrieben werden, als ob sie Lebewesen wären, die Schmerz und Leid erfahren und wütend werden über das Fehlverhalten der Menschheit.

Überdies visualisieren Maulwurfs Zeichnungen die reine Kraft der Natur. Wenn man bedenkt, dass Vulkanasche aus Island Flugzeuge dazu zwang am Boden zu bleiben oder den Tsunami in Japan und die anschließende nukleare Katastrophe betrachtet, so scheinen wir uns in einem Zeitalter wieder zu finden, in der die Natur den Zusammenbruch unseres kulturellen Systems herbeiführt. Diese unbezähmbare Kraft will Maulwurf in ihrer Arbeit einfangen und damit die Wiederkehr der vier klassischen Elemente Erde, Wasser, Luft und Feuer herbeiführen.

Was Maulwurfs Wälder und Meereslandschaften mit Rousseaus Wald gemeinsam haben ist der Umstand, dass dem Betrachter nicht sofort ersichtlich ist, dass er Zeuge einer Naturkatastrophe ist. In einer Zeichnung, die einen Waldbrand zeigt, fängt Maulwurf die Ursprünge des Feuers in einer fast spirituellen Weise ein. Leuchtende Sphären brechen durch die Bäume wie die Strahlen der Morgensonne und treiben die Dunkelheit aus dem Wald. Ähnlich wie bei Rousseau, ist es wichtig zu erkennen, dass wir nicht bloß auf umgefallene Bäume blicken, sondern vielmehr auf einen gefällten Wald.

In dieser tief empfundenen Empathie für die Natur, zeigt sich die Verwandtschaft von Maulwurfs Arbeit zur Romantik. Die ungeheuren Meere, die sie zeichnet, mit bedrohlichem Himmel und durch Öl geschwärztes Wasser, haben eine Weite und Leere, die an Caspar David Friedrichs Werk erinnern. Hier endet die Welt; ein Ort, wo der Mensch mickrig und vor der Gnade der Urkräfte erscheint.

Die Meeresansichten erinnern an die Novelle Deirdre und die Söhne von Usnach (1920) des Niederländers Adriaan Roland Holst. Deirdre, die Hauptfigur, lässt sich vom ungeheuren Meer fortschwemmen, weg von der Zivilisation, wo Ruinen die einzigen Zeugen der Verbrechen sind, die die Menschheit gegen sich selbst und gegen die Natur begeht. Im letzten Teil der Erzählung scheinen Maulwurfs zwei Welten der zerstörten Stadt und der rücksichtslosen Naturkräfte zu verschmelzen: „Dann hob sie den Kopf und blickte wieder in das wild hungrige Feuer. Die Reste der Mauer klafften bedrohlich und innen schwarz. (...) Bleich und dennoch trat sie ein in die Gewalt dieser Verwüstung. Als sie sich selbst an den felsigen Hängen der Welt platzierte, erwartete sie das Meer. (...) Schließlich verschlang die Flut die Spalten und Schluchten und entsprang, leise und rasch gespült über den glatten Felsen, auf dem sie lag. (...) Dunkel und mitkraftvoller Aufruhr schwollen die Meere auf gegen die Abgründe d es Endes der Welt.“

Benno Tempel Direktor Gemeentemuseum Den Haag

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Raquel Maulwurf - DARK NATURE
Zeichnungen

Künstler:
Raquel Maulwurf