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Spannungen sind ein zentrales Element in Rachel Reupkes Werk. Seit langem ist bei ihr eine besondere, zuweilen morbide, Faszination für die ästhetischen und politischen Wirkpotenziale an sich unbedeutender Gefühlsregungen wie Frustration, Verärgerung und Antriebslosigkeit zu beobachten. Lean in, die erste Retrospektive zu Reupkes Schaffen, umfasst Werke der Zeit von 2002 bis heute. Die in zwei Teile gegliederte Ausstellung präsentiert ihre künstlerische Arbeit in Form eines Überblicks über Schlüsselwerke, flankiert von einem temporären Kino, in dem ein kuratiertes Programm läuft u.a. mit Beiträgen von Loretta Fahrenholz, Peter Roehr und Owen Land, in denen von ihrem Werk und ihrer Arbeitsweise wiederum im Medium Film die Rede ist. Ein Schwerpunkt der Ausstellung ist Reupkes Auseinandersetzung mit der vorgefertigten und sterilen Welt der Agenturbilder, Werbeaufnahmen und generischen Filmsequenzen. Es geht hier um Gefühle, denen meist jegliches kathartische Element abgeht, um emotionale Zustände, die mit der Suspension, der Hemmung von Handlungen verbunden sind.

Formalismen spielen dabei eine wichtige Rolle, aber auch das, was dabei als Überschuss anfällt, was durchschlägt, überschwappt, sich Luft verschafft. Die jüngste der in der Ausstellung gezeigten Arbeiten ist Letter of Complaint (2015) – ein stark stilisiertes und streckenweise vielschichtiges Historienstück, das sich um ebenso banale wie verzweifelte Beschwerdebriefe dreht. Der Film, der sich stilistisch und konzeptuell an Form und Geist der schematisch-bürokratischen Ausdrucksweisen der Unzufriedenheit orientiert, bewegt sich in Randbereichen – der Sublimierung, der Erschöpfung und nicht zuletzt des Überschwangs.

Der Umstand, dass etwas leicht und dabei doch grundlegend „schräg“ ist, begegnet auch in den Arbeiten Wine & Spirits (2013) und 10 Seconds or Greater (2009). Sie verwenden den Jargon der Klassifizierung von Agenturbildern und das Repertoire visueller und emotionaler Schlagwörter. Solche vorgefertigten Aufnahmen werden oft verwendet, um Reklame für Produkte zu machen, die keine materielle Substanz haben: Krankenversicherungen, Altersvorsorgeprodukte, Darlehen – es gibt einen riesigen Fundus an gestellten Szenen mit Menschen, die krank sind, Zeugen eines Verkehrsunfalls werden, an einer Beerdigung teilnehmen oder Probleme mit einer Rechnung haben. Die subtile Montage solcher Szenen ergibt – in jeder Hinsicht – so etwas wie ein Antinarrativ. Bei aller Schematik der Repräsentation sind die Stücke von großer expressiver Intensität; in Umlauf gebracht werden austauschbare Bilder, die uns nicht repräsentieren. Ihr Ausdrucksgehalt verhält sich paradoxerweise proportional zu dem Grad, in dem jeglicher Ausdruck sorgfältig entfernt und außerhalb des Bildes entsorgt wurde.

Das temporäre Kino bietet Gelegenheit, eine weitere Facette von Reupkes Werk zu erkunden – ihre Landschaftsaufnahmen, bei denen sich ein an Caspar David Friedrich erinnernder Sinn für das Kompositorische verbindet mit dem unguten Gefühl, dass alles Menschliche verschwunden ist. Die Fehlstelle ist hier direkter angesprochen, sie äußert sich in der Abwesenheit menschlicher Figuren, was den Ansichten von Bächen, Feldern und Bergen einen postapokalyptischen Unterton verleiht. Ein Fehlen, das sich umso lauter bemerkbar macht, als im Hintergrund die Tonspur von Reupkes Containing Matters of no very peaceable Colour (2009) zu vernehmen ist: „Verhalten, emotionaler Stress … Lebensstile, blondes Haar …“.

Rachel Reupke lebt als Künstlerin und Filmemacherin in London. Sie war jüngst mit Einzelausstellungen vertreten u.a. in der Cubitt Gallery, London, und im Tyneside Cinema, Newcastle, (beide 2015) sowie 2014 im Londoner Cell Project Space. Ihre Arbeiten waren in letzter Zeit zu sehen im Ullens Center for Contemporary Art, Peking, im Museum moderner Kunst, Wien, im Wattis Institute, San Francisco, in der Tate Britain, London und im Warschauer Museum für Moderne Kunst. 2014 war Reupke auf der Shortlist für den Jarman Award nominiert.