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Mit dem Fall der Mauer im November 1989 begann ein Prozeß der politischen, sozialen, ökonomischen und kulturellen Veränderungen, in dem sich Berlin bis heute in permanentem Umbau befindet. Die durch die Mauer definierte Insellage und Ost / West-Teilung der Stadt fand am 9. November über Nacht ein plötzliches Ende, und im Osten wie im Westen der Stadt gerieten die festgefügten Strukturen in Bewegung. Die folgende Phase der Umstrukturierung fand im Herbst 1999 einen ersten Abschluß: mit dem Umzug der Bundesregierung von Bonn nach Berlin übernahm die Stadt ihre hauptstädtischen Funktionen, und die in den 90er Jahren ausgebildeten Strukturen begannen sich zu konsolidieren. Für die Kunst in Berlin brachten die Jahre des Umbruchs zwischen 1989 und 1999 einschneidende Veränderungen. Nicht nur trat Ende der 80er Jahre eine neue Künstlergeneration aus Ost- und West-Berlin hervor, die Stadt wurde auch mehr und mehr ein Anziehungspunkt für Künstler aus dem In- und Ausland. Im Zuge des Umbaus der Stadt fanden sich zahlreiche temporär zu nutzende Orte, die von Künstlern und Kunstprojekten besetzt wurden. Die entstehenden nicht-institutionellen Strukturen trugen nicht unerheblich zur Vervielfältigung und Beschleunigung der Kunstproduktion bei. Schauplatz dieser Entwicklung waren zunächst Brachgelände, Ruinen und nicht renovierte Gebäude in Berlin-Mitte. Im Laufe der 90er Jahre wurde Berlin-Mitte dann mehr und mehr zum Anziehungspunkt für eine neue Kunst- und Galerieszene, die sich in den Zug um Zug sanierten Wohn- und Werkstattgebäuden etablierte. In verschiedenen Ausstellungen zur aktuellen Kunst in Berlin wurde das Augenmerk vor allem auf die jüngsten Entwicklungen gerichtet, die sich im Spannungsfeld zwischen Kunst, Architektur, Film, Mode, Design und Club bewegen. Die Ausstellung des Instituts für Auslandsbeziehungen (ifa) soll neben diesen Tendenzen auch solche künstlerischen Positionen berücksichtigen, die sich seit den 80er Jahren in dieser Stadt herausgebildet und die den Boden dafür bereitet haben, daß das Bild der Kunst in Berlin ein äußerst vielfältiges geworden ist.

Die Auswahl der vorgestellten künstlerischen Positionen orientiert sich an folgenden Entwicklungen: Mit den ersten öffentlichen Auftritten von Künstlerinnen und Künstlern wie Maria Eichhorn, Eran Schaerf oder Fritz Balthaus ändert sich das bis in die späten 80er Jahre weit verbreitete Bild einer von der Malerei dominierten Kunst in (West-) Berlin. Die Ende der 80er Jahre zum Teil noch an den Hochschulen der Stadt studierenden Künstlerinnen und Künstler reflektieren in ihren Arbeiten Positionen, die international bereits durchgesetzt waren, bis dahin aber in Berlin nur wenig Beachtung gefunden hatten. Konzeptuelle Tendenzen, Kontextkunst und raum- wie ortsbezogene Arbeitsweisen rücken in den Vordergrund. Aus dem Ostteil der Stadt finden um 1990 besonders Künstlerinnen und Künstler aus der Gruppe der »Autoperforationsartisten« – (e.) Twin Gabriel, Via Lewandowsky, Rainer Görß und Micha Brendel – überregionale Beachtung. Sie gehören zu einer jüngeren Kunst- und Musikszene, die sich außerhalb der staatlichen Strukturen der DDR Ende der 80er Jahre entwickelt hatte. Prozeßkunst, Installation und performative Tendenzen markieren diesen Umbruch in der ostdeutschen Kunst. Einige wenige Galerien wie Zwinger Galerie, Wewerka & Weiss Galerie, Galerie Vincenz Sala in West-Berlin und Galerie Weißer Elefant, Galerie vier, o zwei im Osten der Stadt, wenige Ausstellungsinstitutionen wie Künstlerhaus Bethanien und Neue Gesellschaft für Bildende Kunst (NGBK) zeigen in den frühen 90er Jahren die Arbeiten der jüngeren Künstlergeneration aus Ost und West, die konzeptuelle Ansätze verfolgt und das System Kunst reflektiert oder mit performativen und prozessualen Strukturen arbeitet. Für die bereits in den 80er Jahren in West-Berlin ausgeprägte situations- und ortspezifische Arbeitsweise, die maßgeblich von den Künstlern des »Büro Berlin« vertreten wurde, finden sich im Laufe der 90er Jahre vorübergehend zu nutzende Räume, transitorische Situationen in nicht-kommerziellen Strukturen. In Ladenlokalen, Kellerräumen und leerstehenden Wohnungen werden Arbeiten präsentiert, die den jeweiligen Ort und seine Modalitäten berücksichtigen. Es entstehen enge Vernetzungen mit der Club-Szene, deren Ambiente und musikalische Trends in die bildende Kunst hineinwirken. Die Ausstellung QUOBO zeigt Arbeiten von Künstlerinnen und Künstlern, die in den hier skizzierten Zusammenhängen in Berlin gearbeitet haben und die in den Jahren zwischen 1989 und 1999 besonders hervorgetreten sind. Von Ulrike Grossarth und Eran Schaerf werden in der Ausstellung plastische Ensembles gezeigt, die auf die jeweilige räumliche Situation bezogen sind. Maria Eichhorn, Monica Bonvicini und Carsten Nicolai involvieren die Ausstellungsbesucher in ihre Arbeiten, die eine Partizipation der Rezipienten voraussetzen. Mit einerseits computergenerierten, andererseits biologischen Real-Zeit-Systemen arbeiten Annette Begerow und (e.)Twin Gabriel. Die Arbeiten von Fritz Balthaus und Adib Fricke reflektieren das System Kunst, indem sie zum einen Produktions- wie Wahrnehmungsbedingungen und zum anderen Distributionsformen von Kunst thematisieren. So dient das von Adib Fricke für die Ausstellung entwickelte Protonym QUOBO einerseits als Ausstellungstitel und Netzadresse, andererseits erscheint es in der vom Künstler vorgegebenen Gestaltung auf den Eintrittskarten, auf Plakaten und Einladungen. Auf bestimmte Orte und Räume beziehen sich Karsten Konrad, »Inges Idee« und Albrecht Schäfer in ihrer künstlerischen Arbeit. Um diese Arbeitsweise vorzustellen, wurden von den Künstlern unterschiedliche Formen der Umsetzung gewählt. Die Environments von Laura Kikauka entstehen in unmittelbarem Zusammenhang mit ihren Aktivitäten in der Club-Szene; Aspekte des Club-Lebens werden auch in den filmischen und fotografischen Projekten von Nina Fischer und Maroan el Sani in Szene gesetzt.

Mit den ausgewählten Arbeiten hebt die Ausstellung bestimmte Aspekte von Kunst in Berlin zwischen 1989 und 1999 hervor: raum- bzw. situationsbezogene Arbeitsweisen und Fragen nach dem Kontext von Kunst sind für die hier präsentierten Werke charakteristisch. Integraler Bestandteil der Ausstellung ist ein »Archiv im Netz«, für das die Künstlergruppe »Inges Idee« folgende Situation geschaffen hat: ein großer Teppich, der an einer Wand des Ausstellungsraums befestigt ist, wird über Sitzgelegenheiten und einen Tisch gebreitet. Darauf stehen zwei Computerterminals, an denen sich die Ausstellungsbesucher über das Umfeld der in der Ausstellung vertretenen Künstlerinnen und Künstler sowie über temporäre Kunstorte und unabhängige Projekte in Berlin informieren können. Das »Archiv im Netz« bietet zum einen Informationen zu wegweisenden Projekten der 80er Jahre – u.a. einen Beitrag zur Arbeit des »Büro Berlin« –, zum anderen wird das vielfältige Spektrum unabhängiger Projekte, die in den 90er Jahren in Berlin entstanden sind, vorgestellt. Über die in der Ausstellung präsentierten Ansätze hinaus lassen sich hier, u.a. über die Links zu wichtigen Kunstinstitutionen in Berlin, weitere Bereiche wie Malerei, Fotografie oder Klangkunst der 90er Jahre in Berlin recherchieren. Das »Archiv im Netz« ist als Prozeß angelegt, es wird während der Ausstellungstournee ergänzt und aktualisiert. Die Adresse des Archivs, unter der zugleich die Ausstellung QUOBO vorgestellt wird, lautet: www.quobo.de

Der Katalog zur Ausstellung enthält Texte von Autorinnen und Autoren, die in den 90er Jahren in Berlin als Kunstkritiker, Kuratoren oder Theoretiker hervorgetreten sind. Auf den Einführungstext von Thomas Wulffen zur Situation der Kunst in Berlin folgen Beiträge über die Künstlerinnen und Künstler der Ausstellung und ihre ausgewählten Werke von Annette Tietenberg, Melitta Kliege, Susanne von Falkenhausen, Nicola Kuhn, Jörg Heiser, Harald Fricke, Angelika Stepken, Peter Funken, Bodo Mrozek, Martin Conrads, Christoph Tannert, Stefan Heidenreich, Peter Herbstreuth, Durs Grünbein.