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Eröffnung: Samstag, den 29. November 2008 / 17 – 22 Uhr

Die Ausstellung Political/Minimal stellt 32 Arbeiten internationaler Künstler/-innen vor, die in der Form minimalistisch sind, aber einen politischen Inhalt haben. Dieser Widerspruch zwischen Abstraktion und Weltbezogenheit ist in der aktuellen Kunstpraxis als eine zentralere Tendenz auffällig geworden.

Die Künstler/-innen der Ausstellung beziehen sich in ihren skulpturalen Arbeiten auf klassische minimalistische Grundformen – zweidimensionale Formen wie Kreis, Quadrat und Dreieck oder Körper wie Kugel, Würfel und Pyramide. Im Gegensatz zum selbstbezogenen Minimalismus laden sie diese aber auf mit Geschichten und politischen Fragen nach dem Menschsein, dem Leben und Körper und der Gesellschaft. Durch ihre visuelle Attraktivität sind die Arbeiten zunächst sehr einfach zugänglich. Es ist immer der zweite Blick – auf das Material, die Oberfläche, den Entstehungskontext oder den Titel der Arbeit –, der die Begegnung mit dem Kunstwerk zu einer komplexeren, weil ästhetischen, gesellschaftlichen, persönlichen und politischen Erfahrung macht. Die Kunst steigt wieder in den gesellschaftlichen Diskurs ein: Alte, fast tot geglaubte Fragen wie „Was ist der Mensch?“, „Was kann ich wissen?“ und „Was soll ich tun?“ tauchen erneut auf. Dabei greifen die Künstler nicht auf illustrierende Abbildungen, figurative Repräsentation oder Schrift zurück, so wie es in der konventionellen politischen Kunst wie Agitprop häufig praktiziert wird. Stattdessen sind die Kunstwerke durch eine große Offenheit bestimmt.

Der Minimalismus hat als selbstreferentielle Kunstrichtung einen festen Platz in der Kunstgeschichte eingenommen. Geometrisch reduzierte Formen begegnen uns täglich. Von Möbeln über Unterhaltungselektronik bis hin zu Kosmetikprodukten – die Ästhetik der Minimalisten dominiert das zeitgenössische Design. In den 1960er Jahren noch elitäre Maßstäbe setzend, besitzt sie 40 Jahre später Massentauglichkeit. Die aktuelle künstlerische Praxis, die in Political/Minimal aufgezeigt wird, verleiht den abstrakten geometrischen Grundformen eine neue gesellschaftliche Virulenz.

Monica Bonvicinis Skulptur White (2003) ist eine geborstene Glasvitrine ohne Exponat. Obwohl die Glasscheiben Sprünge aufweisen, bleibt die Skulptur als Form des Glaskubus unversehrt und makellos als Speicher der ihr widerfahrenen Aggressivität erhalten. Die türkische Künstlergruppe xurban_collective hat ein gefundenes Readymade als Stahlskulptur zur Ausstellung beigetragen: einen Benzintank, der an der türkisch-irakischen Grenze zum Schmuggeln eingesetzt wurde. Dreieck, Kreis und Quadrat sind in den Ausformulierungen von Terence Koh, Damien Hirst und Alfredo Jaar zentrale Orientierungspunkte – sie beschreiben Extrem- und Tiefpunkte menschlicher Geschichte.

Als Derek Jarman in Folge seiner Aids-Erkrankung erblindete, schuf er als spätes Meisterwerk Blue (1993), eine leere blaue Projektionsfläche. Drei andere Arbeiten bringen den menschlichen Körper direkt in die Ausstellungserfahrung mit ein: als Phalanx und vielfältige Reflexion des Besuchers – als eine „Army of me“ – in Corey McCorkles Arbeit; als Tänzer in einer Situation von Tino Sehgal – sie bezieht sich auf Vorläuferarbeiten von Dan Graham und Bruce Nauman, die sich mit dem Minimalismus auseinandersetzen; und als das Menschlich-Körperliche, das sich hinter einer glatten Oberfläche verbirgt, in Teresa Margolles’ Skulptur Entierro / Begräbnis (1999). Letztere mutet wie eine geometrische Skulptur aus Gussbeton an, die tatsächlich aber die sterblichen Überreste einer Frühgeburt birgt. Die Angehörigen konnten sich eine Bestattung in Mexico City nicht leisten und überließen der Künstlerin den Fötus, damit er in der Skulptur letzte Ruhe und bleibendes Andenken findet.

Aaron Young und Santiago Sierra integrieren gelebtes Leben in der Form schlecht bezahlter Arbeitszeit als wesentliche Bestandteile in ihre jeweiligen Arbeiten. Francis Alÿs schiebt in seiner Videoperformance Paradox of Praxis (1997) einen langsam schmelzenden Eisblock durch Mexico City und hinterlässt dabei eine trocknende, verdunstende Wasserspur. Am Ende kickt Alÿs einen zusammengeschmolzenen Eiswürfel durch die Straßen, bis nur noch eine Pfütze übrig bleibt. Ein Kommentar auf die von der Gesellschaft geforderte Effizienz? „Etwas Poetisches zu tun, kann mitunter politisch werden und etwas Politisches zu tun, mitunter poetisch“, lautet der Untertitel eines späteren Werkes von Alÿs.

Kuratiert von Klaus Biesenbach

Mit freundlicher Unterstützung des Hauptstadtkulturfonds, Berlin.

Begleitend zur Ausstellung erscheint ein Katalog im Verlag für moderne Kunst Nürnberg mit Texten von Klaus Biesenbach, Michael Archer und Jenny Schlenzka (hrsg. von Klaus Biesenbach, dt./engl., 23 x 23 cm, 145 Seiten, 44 Farb- und 28 Schwarzweiß-Abbildungen, ISBN: 978-3-941185-07-4).