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Der bekannte Berliner Künstler Piotr Nathan, dessen riesige Wandzeichnungsinstallation „Rituale des Verschwindens“ in der Eingangshalle des Clubs Berghain die Besucher seit Jahren beeindruckt, überrascht in der Galerie Laura Mars mit einer ausgeklügelten Ausstellungsinszenierung.

Der Nathansche Gedankenkosmos dreht sich ebenso behände um Themen wie Vergänglichkeit, Eros, Mythen, Phänomene, Existenz, Natur, Entstehung + Geschichte der Welt, Zeit + Raum, wie das in der Ausstellung installierte Diakarussell „Der verwunschene Garten“: Bilder einer, sich in Phasen des Verwelkens befindenden, Pflanzenwelt werden auf einen Urinfleck projiziert und korrespondieren mit einem, aus einem anderen Blickwinkel erscheinenden, männlichen Torso.

Eine irritierend-faszinierende Rauminstallation, unterlegt mit puristischen japanischen Schlafliedern, sowie dem Geklacker des kreisenden Diakarussells. Durch die mit einem Schleier versperrte Durchgangstür hört der Besucher die Klänge auch beim Betrachten der drei neuen, thematisch verbundenen, rätselhaften Bilder im angrenzenden Raum. Das Drehen des Diakarussells, das Kreisen der Gedanken, der Kreislauf der Welt – Nathan bringt die Dinge zum Schwanken, zur Umwandlung, zur Verwirrung - er zwingt sie in den Vergleich. Die Schnittmenge sind seine Werke. Und er liebt den Bruch, den heftigen Einschnitt, der logische Zusammenhänge und Perspektiven zerstört. Folgerichtig hat er sich der Collage zugewandt, der gestalterisch-formalen Vereinigung von völlig Fremdem. Nathans Raffinesse dabei: Er malt Collagen. Hier erlaubt er keine Abgrenzungen in Form von zum Beispiel unterschiedlichen Bilddarstellungen, Schnittkanten – hier verbindet seine Farbwahl fließende Grenzen – die Dinge werden eins. Nathans kühne Maltechnik ist eine verblüffende Symbiose aus handwerklicher Perfektion in Verbindung altmeisterlicher Tradition, die auf den Bruch einer collagierten Welt trifft.

Piotr Nathans künstlerische Wissbegier, sein Verstehenwollen des Lebens und der Verlorenheit des Seins, begründet auch seine Arbeitsweise. Es ist möglich und gewollt, dass Bilder unfertig präsentiert werden – der Arbeitsprozess des Machens ist wichtig. Und es entstehen Fragen wie: Wann wird ein Bild fertig?

Wann wird das letzte Bild im Leben fertig? Wird man es zu Ende malen und wie sieht diese Darstellung dann aus?

Kürzlich hat Nathan den italienischen Maler und Hauptvertreter des Florentiner Manierismus, Jacopo da Pontormo (1494 – 1557) für sich entdeckt. Eine Offenbarung.

Und in der Tat zeigen die, zeitlich doch soweit auseinander liegenden, Ideen-Systeme der beiden Künstler frappierende Verwandtschaft.

Zunächst das Spiel mit den kleinen Widersprüchen: Dinge werden aus sinnvollen Positionen gerückt, traditionelle und aus der Statik abgeleitete Verbindungen wie z.B. Fassadenelemente oder Konstruktionen von Räumen werden aufgelöst. Nathan lässt sakrale Bauten ins Unendliche wuchern oder entfernt beherzt tragende Säulen. Perspektiven werden gezielt missachtet.

Sublime Farbkompositionen konkurrieren mit pfiffiger Tricktechnik und unterstreichen so kombiniert die Auflösung der bestehenden Ordnungssysteme. Gerade z.B. in der Landschaftsarchitektur drückt sich die Liebe des Manierismus für das Groteske aus – und auch Nathan spielt vergnüglich mit bizarren Gletscherlandschaften, verstört die konventionelle Wahrnehmung, indem er munter Himmel und Erde bildnerisch vertauscht. Oder den Himmel gleich ganz weglässt. Allegorie pur.

Nathans Werke verfügen über einen extensiven Metapherreichtum und symbolistisch angehauchte Beschreibungen, unterstützt von ironisch gebrochenen Ausflügen in das Genre der Phantastik.

Sein kryptisches Herkules-Gemälde zeigt einen betrunkenen, pinkelnden Herkules, losgelöst von seinem steinernen Sockel, gestürzt von einem heutigen Muskelmann. Der mythische Held der Antike, das Vorbild in der Kultur des europäischen Mittelalters für tugendhaftes Verhalten, schwächlich und enttrohnt.

Die mythologischen Traditionen erfahren somit in Nathans narrativen Bildern eine menschliche Komponente. Piotr Nathan untersucht und erforscht das naturwissenschaftliche Verhältnis der Welt und ihrer künstlerischen Deutung. Seine oft autobiographisch inspirierten Bild-Erfindungen transformiert er sensitiv in mythologische Dimensionen. Und das auf einem anspruchsvoll reflexiven Niveau.

Auch lassen sich die Werke Nathans durchaus mit klassischen Rätsel-, Such- und Vexierbildern vergleichen. Franz Kafka schrieb in seinem Tagebuch 1911: „Das Versteckte in einem Vexierbild sei deutlich und unsichtbar. Deutlich für den der gefunden hat, wonach zu schauen er aufgefordert war, unsichtbar für den, der gar nicht weiß, dass es etwas zu suchen gilt“.

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Piotr Nathan
Heute nur das Licht gemalt