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Die Ausstellung wurde von Aica Deutschland als Ausstellung des Jahres 2014 prämiert.

Eine Eiskunstläuferin, die auf einer schwarzen Eisbahn abstrakte Figuren zeichnet, ein weißer Hund mit pinkfarbener Pfote, der sich durch die Ausstellungssäle bewegt, Krebse, die in einem maritimen Ökosystem in der Ausstellung leben: Pierre Huyghe (*1962 in Paris), einer der wichtigsten und einflussreichsten Künstlern seiner Generation, lädt den Besucher ein auf eine Entdeckungsreise durch seine Arbeit der letzten zwanzig Jahre. Die Ausstellung im Museum Ludwig ist die erste große Ausstellung zu seinem bisherigen Werk im deutschsprachigen Raum und wird mit über 60 Arbeiten verschiedenste Medien – lebende Wesen, Objekte, Installationen, Fotografien, Filme, Zeichnungen und Musik – zusammenbringen und eine Zeitspanne von 1993 bis heute umfassen. In neuen Arbeiten, die der Künstler eigens für die Kölner Ausstellung entwickelt hat, inspiriert durch die gegebenen orstspezifischen Bedingungen, zeigt sich seine subtile Wahrnehmung des Museum Ludwig als Ausstellungsort und Gebäude.

In den letzten zwanzig Jahren hat Pierre Huyghe ortspezifische, zeitbasierte Situationen entwickelt, die das Format der Ausstellung untersuchen. Huyhge setzt sich seit vielen Jahren mit der Geschichte des White Cubes, mit dem Ort ‚Museum‘ und seiner Identität auseinander. Ein anschauliches Beispiel hierfür ist seine Arbeit Timekeeper, die er zum ersten Mal 1999 in der Wiener Secession, dem ersten White Cube in der Ausstellungsgeschichte, ausführte. Dort bohrte er ein Loch in die Museumswand, um so die vielen unterschiedlichen Farbschichten, die sich im Laufe vieler Ausstellungsjahre angesammelt haben, sichtbar zu machen wie Gesteinsschichten oder Jahresringe eines Baumes. Diese Arbeit wird er im Museum Ludwig erneut realisieren und so die Ausstellungsgeschichte des Hauses reflektieren.

Seit einigen Jahren interessiert Huyghe sich besonders für in sich geschlossene Systeme aus lebenden Wesen und Artefakten, die er im Ausstellungskontext ihrem eigenen Rhythmus über- lässt. Er gibt einen Rahmen vor, stößt etwas an und gibt dann aber die Kontrolle ab, so dass die Ausstellung ihr eigenes Leben entwickelt. Der Betrachter ist stets Teil dieser Systeme, kann sie durchwandern, teils auch berühren und bleibt gleichzeitig aber nur ein passiver Zeuge, der das System nicht beeinflussen kann. Für die Aktion The Host and the Cloud, aus der der gleichnamige Film enstanden ist, hat er 15 Schauspieler in einem für die Öffentlichkeit geschlossenen Museum untergebracht. Sie spielen mit Hunden, stehen unter Hypnose, konsumieren berauschende Substanzen und reagieren darauf; die Aktion endet in einer Massenorgie. Dazu lud er fünfzig Personen als Zuschauer ein, die dieses Geschehen bezeugten.

Auch sein Beitrag zur dOCUMENTA (13), Untilled, war ein Ökosystem mit verschiedenen Lebewesen in einem abseits gelegenen Teil der Karlsaue, der normalerweise für die Kompostierung genutzt wird. Über das Areal, in dem sich unter anderem der Podenco Ibicenco- Hund Human mit einem pinken Bein, die Skulptur eines Frauenaktes, deren Kopf von einem Bienenstock bevölkert wird, mehrere fleischfressende und aphodisierende Pflanzenarten und ein Relikt der berühmten Beuys-Aktion 7000 Eichen befanden, stolperten die Besucher eher zufällig.

Für seine Überblicksausstellung untersucht Huyghe die komplexe Beziehung zwischen Ausstellungsarchitektur und ausgestellten Werken: von der Rolle, die die Architektur in unserer Wahrnehmung der Werke spielt, über die Art und Weise, wie sie den Weg bestimmt (oder auch nicht bestimmt), den wir beim Gang durch die Ausstellung nehmen und darüber die Reihenfolge und Ordnung der Ausstellung wahrnehmen, bis hin zur Frage, inwiefern beides aufeinander abgestimmt ist und eine perfekte Symbiose ergibt (oder auch nicht ergibt). Die besondere Aufgabe, eine Ausstellung auf drei komplett verschiedene lokale Kontexte und äußere Bedingungen hin anzupasen hat Huyghe dazu gebracht, eine unkonventionelle Lösung zu entwickeln, die ans Absurde grenzt. So arbeitete er im Centre Pompidou in Paris mit den Bedingungen der Architektur der Vorgängerausstellung von Mike Kelley, an die er die eigenen Werke anpasste, auch wenn er dafür einzelne Wände einschneiden musste. Im Museum Ludwig benutzt er wiederum Versatzstücke aus Paris, die er in den hier vorgegebenen, langezogenen Raum zwängt, und versetzt einzelne Wände und Raumsituationen aus Paris mit den dazugehörigen Arbeiten maßstabsgetreu in die hiesigen Ausstellungsräume. Hinzu kommt ein weiteres ortsspezifisches Element in der Verwendung eines stark beanspruchten Teppichbodens aus dem Verwaltungstrakt des Museums. Im LACMA in Los Angeles, der letzten Station der Ausstellung, wird er dann dieses Copy and Paste-Verfahren auf die Architektur der Kölner Ausstellung anwenden und diese vor Ort neu zusammensetzen. Dieser Ansatz erlaubt es dem Künstler, eine einzigartige organische Ausstellung zu schaffen, in der der Besucher seinen eigenen Weg durch die Ausstellung einschlagen kann, ohne einem vorgegebenem Rundgangsystem zu folgen.

Lebende Wesen – Insekten, Tiere und Menschen – sind ein wesentlicher Bestandteil der Ausstellung und tauchen in verschiedenen zeitlichen Zusammenhängen auf, beginnend mit der ersten Arbeit in der Ausstellung, L‘ Ecrivain public: für die Performance, die nur ein einziges Mal stattfindet, schreibt ein Schriftsteller am Eröffnungsabend seine Eindrücke nieder; dieses Manuskript wird dann an die Ausstellungswände gebracht gemeinsam mit dem Text, der anläßlich der Pariser Eröffnung entstanden ist; in Los Angeles wird die Arbeit fortgeführt. Der Besucher kann so die vergangenen Ausstellungen durch die Augen des Schriftstellers nachempfinden. Huyghe arbeitet mit verschiedenen Realitätsebenen, wenn er Elemente aus seinen bereits existierenden Arbeiten, wie der Aktion The Host and the Cloud, in die Ausstellung überführt: so begegnet dem Besucher mitunter ein Statist mit einer Maske mit leuchtenden LEDs, der direkt aus dem Film in den Ausstellungsraum entsprungen zu sein scheint.

Pierre Huyghe studierte an der École Nationale Supérieure des Arts Décoratifs in Paris. 2001 bespielte er den französischen Pavillon auf der Biennale in Venedig, der mit dem Special Jury Award ausgezeichnet wurde. 2006 nahm er an der Whitney Biennial in New York teil. Er hatte zahlreiche internationale Einzelausstellungen.

Es erscheint ein Katalog im Hirmer Verlag in Englisch mit deutschem Insert mit Beiträgen von Pierre Huyghe, Tristan Garcia, Dorothea von Hantelmann, Emma Lavigne, Vincent Normand, Katia Baudin und Jarrett Gregory.

Die Ausstellung wurde vom Centre Pompidou, Musée National d’art moderne, Paris, in Zusammenarbeit mit dem Museum Ludwig, Köln und dem Los Angeles County Museum of Art organisiert.

Die Ausstellung wird unterstützt durch die Sammlung Rheingold, das Institut français und Outset als Performance-Partner.