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Die menschliche Stimme auszustellen scheint ein paradoxes Unterfangen. Was an Stimme und Hören sichtbar gemacht werden kann, sind zunächst Symbole, Lautschriften, anatomische Modelle, Sprechmaschinen, technische Geräte vom seltenen Phonographen bis zum stimmgesteuerten Navigationssystem etc. – was aber die erlebte und gehörte Stimme faktisch erzeugt, ist der Raum unserer Wahrnehmungswelt. Für das unmittelbare Raumerleben ist der ”gehörte Raum“ zumindest so konstitutiv wie der durch das Auge wahrgenommene.

Wie schon Vilém Flusser festgestellt hat, löst die technische Möglichkeit, Stimme zu übertragen eine Verständigungs-Revolution aus: Auch das telefonierende Kind ist in der Lage die abwesende Großmutter am anderen Ende der Leitung als gegenwärtig zu imaginieren; der zu seinen Wählern sprechende Politiker wird erst in den Köpfen seiner Zuhörer real und wirksam.

In der modernen Öffentlichkeit – entgegen aller Dominanz des Bildhaften – kann die Stimme als das Medium einer demokratischen Ordnung betrachtet werden, worauf nicht zuletzt ein reichhaltiges Wortfeld hinweist: Stimmrecht, Stimmzettel, Stimme des Volkes, Abstimmung, eine ‘Stimme’ haben. Nur wer die Stimme erhebt, handelt vielleicht auch. Soll Übereinstimmung erreicht werden, kommt sie durch zustimmen, beistimmen oder umstimmen zustande. Erst Einstimmigkeit vereint einzelne zur hörbaren Gruppe: Nationalhymnen genauso wie die Anfeuerungs-Chöre eines Fußballclubs oder die Rockkonzerte der Jugendkultur tragen zum Identitäts- und Zugehörigkeitsgefühl eines Landes, einer Region, einer Fangemeinschaft, einer Generation bei.

Der politischen oder sportlichen Arena, den großen Opernhäusern der Welt oder den legendären Massenevents der Popkultur lassen sich sakrale und meditative Räume gegenüberstellen – Kathedralen, Synagogen, Moscheen oder buddhistische Tempel. Inszeniert und akustisch verstärkt durch die Predigtarchitektur einer Kanzel, eines Minaretts tritt uns die heilige Stimme gegenüber als “Wort Gottes” – einst verkündet als die Gesetze am Berg Sinai oder die vergleichsweise alltägliche Befragung antiker Orakel. Das Rednerpult im Deutschen Bundestag, die Bänke im englischen Unterhaus, der frühere Katheder des Professors, das Podium der hohen Gerichtsbarkeit, der Zeugenstand oder der Vorsitz im Aufsichtsrat – all das sind Orte der Stimm- Erhebung, wo für die Gemeinschaft wie für das Individuum wichtige wie folgenschwere Aussagen ausgesprochen und damit Realitäten geschaffen werden.

In der Ausstellung zu hören sind u. a. Bestände aus Stimmarchiven in Berlin oder Wien, die seit Beginn des 20. Jahrhunderts „Stimmporträts“ bedeutender Persönlichkeiten angelegt haben, eine Auswahl von Stimmen aus einem der umfangreichsten privaten Stimmarchive, jenes des Pop Art Künstlers Andy Warhol.

Zu hören sein wird auch von den stimmlichen Experimenten, die Lautdichter, Schauspieler bzw. Performance-Künstler umgesetzt haben, um die Bedeutung eines gesprochenen Textes über seinen bloßen sprachlichen Gehalt hinaus vokal gestaltend zu erweitern und zu profilieren. Hören wird man auch die ersten Versuche, Stimmen künstlich herzustellen, so die Stimme aus der Sprechmaschine Wolfgang von Kempelens (1734-1804), eines hohen Beamten am Hofe Maria Theresias. Mit seiner Maschine wollte er gehörlosen Menschen zu einem Instrument verhelfen, Lautsprache zu erzeugen. Das (maschinelle) Training der Taubstummen verkörperte gleichsam das politische Grundinteresse der Aufklärung, den Versuch nämlich, den traditionell schweigenden Mitgliedern der Gesellschaft ein Stimmorgan zu verleihen. Vernehmen wird man auch die eindringliche Stimme von Ingeborg Bachmann, die in den Frankfurter Vorlesungen das ”schreibende Ich“ als ”Platzhalter der Stimme“ beschreibt. Beispiele aus bald 100 Jahren Radiogeschichte lassen die Ausstellungsbesucher erleben, wie sich die verlautbarende Stimme des Ansagers zum Konversationston des zeitgenössischen Moderators wandelt.

Die singende Stimme vermittelt, wie sehr die sich laufend ändernden Möglichkeiten von Aufzeichnungs- und Studiotechnik auch die ästhetische Stimmwahrnehmung prägen. Seltene Beispiele aus der beginnenden Schallplattenindustrie bis zu aktuellsten Technologien veranschaulichen die Manipulationsmöglichkeiten menschlicher Stimmen.

In der Ausstellung akustisch vergegenwärtigt sind auch jene Experimente, die Stimmen Verstorbener Seite 3/4 einzufangen und hörbar zu machen. Beispiele aus dem europäischen Kirchengesang illustrieren die erstaunlichen Möglichkeiten stimmlicher Darbietungen – von der Faszination für die hohe Männerstimme vatikanischer Kastraten, die sich auch in der zeitgenössischen Popmusik fortsetzt, bis zur Baßstimme Maxim Mikhailovs in der Rolle des Kirchensängers bei der Krönung ”Iwan des Schrecklichen“, 1944 von Sergej Eisenstein verfilmt.

Zu sehen werden frühe Sprechmaschinen aus dem 18. und 19. Jahrhundert sein, zum ersten Mal ausgestellt; kostbare Phonographen; die ersten sprechenden Puppen und Gegenstände; Instrumente und Meßgeräte, die menschliche Artikulation und Stimmbildung beschreiben und rekonstruieren; künstlerische Arbeiten; Dokumente aus frühen Expeditionen, die den ersten Kontakt isoliert lebender Menschen mit europäischen Sprechmaschinen voyeuristisch verfolgen. Dargestellt wird auch die geheimnisvolle Bedeutung der Bauchrednerei, so zum Beispiel der legendäre Edgar Bergen, der mit der Stimme, die er seiner berühmten Puppe lieh, sogar die Zensur der McCarthy Ära geschickt zu unterlaufen wußte.

Eine Auswahl kostbarer Druckwerke dokumentiert die Geschichte der Gehörlosenerziehung, die seit dem 16. Jahrhundert zu gleichermaßen erstaunlichen wie anschaulichen Lösungsvorschlägen Anlass bot. Nicht zuletzt sind die Versuche erwähnenswert, stimmliche Ausdrucksmöglichkeiten zu notieren: das Spektrum reicht von mittelalterlichen Spruchbändern, über die politische Karikatur bis zu aktuellen Beispielen aus der Comicliteratur oder den Notationssystemen zeitgenössischer Musik.

Der Bogen der ausgestellten Stimmen und Objekte reicht bis zu innovativen Projekten und Prototypen, die sich mit Schallabsorption, Stimmsynthese und stimmlichen Steuerungen sowie Orientierungs- und Interaktionssystemen auseinandersetzen und stellt diese in einen Kontext technischer Faszinationsgeschichte.

Unkonventionell ist die Gestaltung der Ausstellung. Ein gleichsam akustischer Film wird erzeugt, der die dargebotenen Stimmen verräumlicht, die Besucher durch die Ausstellungsräume begleitet und so eine Raumwahrnehmung ermöglicht, die von der nur über das Auge wahrnehmbaren Umgebung überraschend abweicht. Brigitte Felderer kuratiert die Ausstellung. Sie unterrichtet an der Universität für Angewandte Kunst Wien und hat verschiedene kulturhistorische Ausstellungen konzipiert, u.a. Wunschmaschine Welterfindung. Eine Geschichte der Technikvisionen seit dem 18. Jahrhundert (Wiener Festwochen 1996), Alles Schmuck (Museum für Gestaltung 2000), Rudi Gernreich. Fashion will go out of Fashion (steirischer herbst 2000, ICA 2001). Im Rahmen eines langjährigen Forschungsprojekts hat sie sich mit der Geschichte, Erzeugung und Darstellbarkeit von Stimme auseinandergesetzt. Wolfgang Dorninger, Musiker, Elektroniker, Soundexperte, entwickelt die Partitur zur Ausstellung.

Wissenschaftliches Team (in alphabetischer Reihenfolge): Charlotte Martinz- Turek, Katharina Sacken. Pressetext

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Phonorama - Eine Kulturgeschichte der Stimme als Medium
Kuratorin: Brigitte Felderer
Partitur zur Ausstellung: Wolfgang Dorninger

Begleitprogramm mit John Giorno, Carl Michael von Hausswolff, Hans G. Helms, Brigitte Felderer, Katarina Matiasek, Gerhard Rühm, Friedrich Kittler, Chris Watson, Sabine Himmelsbach, Charlotte Martinz-Turek, Wolfgang Hagen, DJ Electric Indigo