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„Verwachsen“ ist die erste Einzelausstellung des brasilianisch-schweizerischen Künstlers Pedro Wirz in der Galerie Nagel Draxler. Der Titel lässt Wirz’ Interesse an der Ökologie anklingen. Die Verwobenheit, die er beschreibt, bezieht sich auf beides, auf das menschliche und nicht-menschliche Subjekt, gleichzeitig reflektiert er die Fragen des Milieus. Wirz’ in erster Linie skulpturale Praxis basiert auf einer Auseinandersetzung mit Form und Material. Er kreiert Eier und Schlangen, bauchige Auswüchse mit Löchern oder Hügel und Türme und gewundene Äste. Oft wird angemerkt, dass seinen Arbeiten vormoderne oder mystische Ursprünge anhaften, die Herkunft solcher Referenzen sieht der Künstler in seiner Biografie, eine Art persönlicher Mythos – sein Aufgewachsensein im ländlichen Teil Brasiliens als Sohn einer Biologin und eines Agrarwissenschaftlers. Darüber hinaus speist sich Wirz’ Vokabular gleichermaßen aus organischer Materie, aus Elementen der Konsumkultur, aus Konventionen der zeitgenössischen Kunst und aus Materialexperimenten.

In ‚Verwachsen‘ erscheinen drei Werkgruppen vereint: Bei „Entsprechung I-V“ handelt es sich um Wandassemblagen mit abgerundeten Holzrahmen, die eine Serie aus seiner diesjährigen Ausstellung im Kunsthaus Langenthal fortsetzen. Daneben gibt es die neuen, freistehenden Glas-Stahl-Textil-Skulpturen, die den Titel „Wet-Transitors“ tragen und schließlich die „Heaters“, Kugeln aus Styropor und Erde, aus denen Elektrokabel wachsen, die in den Bodensteckdosen des Ausstellungsraumes enden.

Wirz’ Denken in Bezug auf seine künstlerische Praxis war und ist stets relational. Vor ein paar Jahren habe ich selbst diesbezüglich geschrieben, dass er mit den Prinzipien der sozialen Interaktion spiele. Mit sozial meinte ich zwischenmenschlich, jedoch ging es mir vielmehr darum, zu zeigen, dass seine Arbeit speziell auf das Herstellen von Beziehungen abzielte. Er nutzte den Schaffungsprozess, um bis zu einem gewissen Grade professionelle Beziehungen zu bilden und zu pflegen. Es ging dabei noch nicht um die Materialien und Faktoren, die die menschlichen Beziehungen zur Umwelt bestimmen; Materialien, die die Medien unserer Interaktion mit der Welt und unseren Einfluss auf sie formen.

Wirz’ jüngste Arbeiten rücken Materialbeziehungen in den Fokus. Sie beschäftigen sich mit der Bedeutung von Produktionsprozessen und -mitteln sowie mit dem Abfall dieser. Neben Materialien, die ‚roh‘ und solchen, die (nicht zwangsläufig durch menschliches Zutun) weiterverarbeitet sind, sehen wir Stahl, Glas und Kleidung aus der Massenproduktion, künstlich gebleichtes Bienenwachs sowie Text und Bildfragmente, die zu Pappmaché verarbeitet wurden. Es sind Materialien mit Geschichte, jedoch von abstrakter Art. Wir sehen hier keine Repräsentation oder Kritik des Industriellen, vielmehr sehen wir das Resultat einer industriellen Infrastruktur. Die Arbeiten setzen die zeitgenössische Kultur beharrlich den Komponenten von Umwelt und Natur im Sinne einer sich verschiebenden Zeitlichkeit aus. Seine Werke sind Recherchen basiert, aber auf eine allgemeine Weise, bezogen auf natürlich anmutende und weitverbreitete Formen, die so als ursprünglich oder universell erscheinen. Natürlich wirft das Fragen nach „dieser“ Natur, „diesen“ Ursprüngen und „diesem“ Universalismus auf. Auch wenn diese Fragen vertraut klingen, so könnte man doch argumentieren, dass seit geraumer Zeit die „Natur“ eine Verschiebung der Wahrnehmung in unserem Verständnis von „Kultur“ auslöst, was wieder einmal belegt, wie schwammig die Unterscheidung zwischen beiden ist.

Der bezugsorientierte Materialdiskurs der letzten Jahre scheint der logische Kontext für Wirz’ Praxis zu sein. Dieser Diskurs scheint auch den nötigen Kontrast zum technikbegeisterten Narrativ reiner Information, purer Materialien und steriler Zirkulation zu bieten. Bei der Lektüre der mittlerweile 15 Jahre alten Einführung Bruno Latours zur Akteur-Netzwerk-Theorie, beeindruckte mich vor allem der Aspekt der „Indirektheit“, insofern dass er über konkrete Materialien, beispielsweise Temposchwellen, definiert, wie diese das menschliche Verhalten vorherbestimmen. Es zeigt sich, wie scheinbar beiläufige Objekte oder Strukturen entscheidende Auswirkungen auf Reaktionen des Subjekts haben, wie in diesem Falle das Abbremsen aller Autofahrer. Hier zeigt sich letztlich die aktive, wenn nicht sogar substantielle Rolle des Objektes.

Wirz interessiert sich stets für derartige Rahmenbedingungen. Bereits als Student beschäftige er sich in seinen Arbeiten mit Sockeln. Nun sind diese weißen, absolut geradlinigen Standardprodukte mit Schichten von Erde überzogen oder schwellen zu einer Körperlichkeit an. Auch haben all seine Arbeiten einen Rahmen. Nach dem Vorbild des modernen Designs technischer Geräte (IPhone) haben die Holzrahmen der Wandarbeiten abgerundete Ecken. Die spinnenartigen Ständer der Skulpturen sind selbst Rahmen. Durch das Einstecken der Styropor-Erde-Heaters im Boden transformiert er die Galeriearchitektur zum Energiecontainer, Kontext und Verbundenheit betonend. Auch in anderen Ausstellungen hat der Künstler seine eigene Umgebung geschaffen, indem er zum Beispiel einen Teppich verlegt, Kleidung verteilt, Erde verstreut oder Wände mit Vorhangstoff überzogen hat.

Was mit den Materialien selbst passiert, was sie zu zusammenfügt und was der Betrachter sozusagen parallel damit assoziiert, bildet den Kern seines Schaffens. Der Titel „Verwachsen“ kann diese verbindende Kraft beschreiben. Wirz würde vielleicht auch von Energie oder Magie sprechen, wohingegen ich eher sozialkulturelle oder infrastrukturelle Referenzen, wie zum Beispiel die Bekleidungsherstellung, sehe. Es stellt sich mir die Frage, wie Alltagsmythen entstehen. Sind Begriffe wie Verwandlung und Erweiterung nicht nur Euphemismen für Optimierung und Wirtschaftswachstum? Lenkt das Betonen der Vorteile maschinengesteuerter Arbeit und künstlicher Intelligenz von dringenden Fragen, wie zum Beispiel zu den menschlichen Arbeitsbedingungen ab? Erlauben uns Materialien von Struktur zu sprechen? Verspricht Anpassung eine zu rosige Zukunft? Es wird deutlich, dass eine konstante Hinterfragung kultureller Werte ein Nachdenken über das Nicht-Menschliche einschließen oder alternative Denk- und Lebensweisen ausschließen kann. Wirz’ Materialsprache lädt zu einer Spekulation ein.

– John Beeson / übersetzt