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ONE-self ist die erste institutionelle Einzelausstellung der dänischen Künstlerin Sidsel Meineche Hansen (*1981 in Ry, Dänemark, lebt und arbeitet in London) in Deutschland, die zeitgleich im Künstlerhaus Bremen und in der Temporary Gallery in Köln zu sehen ist. Die Doppel-Einzelausstellung besteht aus zwei räumlich getrennten Präsentationen, deren Werke miteinander in einem konfliktgeladenen Dialog stehen. Das besondere kuratorische Format der Ausstellung reagiert auf die intensive Beschäftigung der Künstlerin mit der inneren Spaltung des Subjektes in der Gesellschaft. Dieses äußert sich in einem kontinuierlich wachsenden Werkkomplex, in dem sie Nervosität als eine Form von institutioneller Kritik und damit einhergehend die pharmazeutische Industrie als Produzent von Subjektivität hinterfragt.

Bis vor weniger Jahren lehnte die Künstlerin ab, Kunstwerke im klassischen Sinn zu produzieren. Die Vermittlung von künstlerischem Denken erfolgte stattdessen ausschließlich über interdisziplinäre Seminare und Symposien. Heute lässt Sidsel Meineche Hansen ihre Werke durch Spezialisten und digital gesteuerte Maschinen ausführen. Grund für die wiederholte Distanzierung vom Produktionsprozess war ihr Zweifel an der Notwendigkeit des Kunstobjektes als Vermittler von künstlerischer Erfahrung und nachfolgend ihre Reflexion über entpersonalisierte Arbeitsprozesse.

Im Zentrum der Ausstellung ONE-self steht die Darstellung des weiblichen Körpers und Selbst im Kontext gesellschaftlicher und ökonomischer Machtstrukturen. Das Video Seroquel® (2014) bedient sich Bildern aus der medizinischen computerbasierten 3D-Visualisierung, die Funktionsweisen innerhalb des Körpers zu durchleuchten versucht. Das Psychopharmaka „Seroquel“, eine weibliche 3D-Figur in einem virtuellen Laborraum und ein Voice-over in dieser CGI (Computer Generated Imagery)-Animation reflektieren dazu über Themen der Selbstzerstörung, über Depression als radikale Form der Erschöpfung und über eine Industrie, die auf der systematischen Kontrolle des Selbst basiert.

Für die Ausstellung produziert ist die zweite CGI-Animation EVA 3.0, benannt nach der computergenerierten Frauenfigur, die bereits in Seroquel® in Erscheinung tritt und primär in der pornografischen 3D-Industrie Verwendung findet. Das Video zeigt haptische Technologien der Begierde und enthält explizite Bilder von weiblicher Sexualität – die mit einer von Gender geprägten Debatte über deren Zensur in der britischen Porno-Industrie verbunden sind. Meineche Hansen untersucht dabei nicht nur den Warenstatus der Figur Eva 3.0 sondern auch die Machtmechanismen des „pharma-pornografischen“ Kapitalismus. Die virtuelle Welt der 3D-Animation wird für den Besucher mithilfe eines Oculus Rift (Daten-Brille) erfahrbar sein.

Seit 2013 lässt die Künstlerin mittels Lasercut-Fräsen Holzdrucke produzieren, die ihre fragilen Vorzeichnungen digital auf den Druckstock übertragen. Thematisiert sie entsprechend in der 2013 entstandenen Serie The Manual Labor das Gegenüber von Handarbeit und kognitiver Arbeit, so setzt sie sich in den aktuellen Drucken mit der Diagnose und Behandlung von nervösen Störungen auseinander.

ONE-self ist nicht nur Titel der Ausstellung sondern benennt auch eine überlebensgroße Holzskulptur und eine Videoanimation, die als „lebende Skulptur“ gelesen werden kann. Dargestellt ist eine sitzende Frau, die von einer gehörnten Schlange verschlungen wird – eine CNC-gefräste Replik von einer afrikanischen Skulptur (Slg. Charles Ratton, Musée du Quai Branly). Mit Bezug auf den Äskulapstab als Symbol der Heilkunde und pharmazeutischen Industrie und auf Stilmittel des „body horror“, zeigt sie nicht nur die unnatürliche anatomische Symbiose von zwei pulsierenden Körpern, sondern auch wie Kontrollmechanismen der psychopharmazeutischen Industrie, stellvertretend durch die Schlange, unseren Körper osmotisch verändern.

Sidsel Meineche Hansen studierte in Kopenhagen, Berlin, Frankfurt am Main und London. Ihre Arbeit erzielte u.a. erhöhte Aufmerksamkeit durch Ausstellungen, Präsentationen und Seminare in der Serpentine Gallery (A Bright Night: Technologies of Affect, 2015), London, bei castillo/coral-les (J’ai froid, 2014), Paris, Gaswork Gallery (Late Barbarians, 2014), London und INSIDER in der Cubitt Gallery, London. Seit 2014 organisiert Meineche Hansen die fortlaufende Gesprächsreihe This Is Not A Symptom an der South London Gallery.

Die Ausstellung wird kuratiert von Regina Barunke (Temporary Gallery, Köln) und Fanny Gonella (Künstlerhaus Bremen).

Rahmenprogramm

21.05., 19 Uhr, Bremen: Gemeinsame Kuratorenführung durch die Ausstellung in Bremen
22.05., 19 Uhr, Köln: Gemeinsame Kuratorenführung durch die Ausstellung in Köln
28.05., 19 Uhr, Bremen: Gespräch mit Dr. phil. Josch Hoenes (wissenschaftl. Mitarbeiter am Helene-Lange-Kolleg Queer Studies und Intermedialität, Carl von Ossietzky Universität Oldenburg). Schwerpunkte seiner Recherche sind die visuelle Kultur sowie Geschichte und queere/trans* Theorien von Geschlechtern und Sexualitäten.
18.06., 19 Uhr, Köln: „Nervous Tissue“, Vortrag von Prof. Dr. Marie-Luise Angerer (Kunsthochschule für Medien Köln) mit anschließendem Gespräch. Angerer veröffentlichte zu den Themenbereichen Körper, Neuen Medien und Gender, Politik, Theorie und Geschichte feministischer Kunst- und Medienpraxen, und setzt sich aktuell mit humanen und posthumanen Zukunftsphantasmen auseinander.
21.06., 12 Uhr, Bremen: Führungen durch die Ausstellung von Christian Helwing (ehem. Resident des Künstlerhauses) im Gerhard-Marcks-Haus und durch die aktuelle Ausstellung im Künstlerhaus Bremen, jeweils ca. 30 Minuten, mit einem gemeinsamen Spaziergang zwischen beiden Häusern. Treffpunkt: Gerhard-Marcks-Haus