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Zweifellos zählt der dänische Installationskünstler isländischer Herkunft, Olafur Eliasson (*1967), zu den herausragenden Künstlern der Gegenwart. Wie kein Zweiter begeistert er mit seinen künstlerischen Großprojekten weltweit Menschen auch außerhalb der Museen. Bis heute nimmt die Zeichenkunst einen zentralen Stellenwert in seinem alle Medien umfassenden Werk ein. Erste Ideen werden in der Zeichnung formuliert und immer wieder während eines Projekts von Eliasson zu Rate gezogen. Man gewinnt geradezu den Eindruck, dass der Künstler in der Zeichnung denkt. Umso erstaunlicher ist es, dass sein zeichnerisches Oeuvre bisher nur vereinzelt in Ausstellungen zu sehen war. Die große, auf über 800 Quadratmetern angelegte Ausstellung WASSERfarben der Staatlichen Graphischen Sammlung München stellt erstmalig Olafur Eliassons Zeichenkunst in all ihren Facetten umfassend vor, gezeigt werden rund 50 Arbeiten. Die kuratorische Idee ist es, die enge Kongruenz zwischen seiner Zeichenkunst und seinen Installationen zu erschließen und sinnlich nacherlebbar zu machen.

Für das Entrée der Graphischen Sammlung hat Olafur Eliasson eine neue, ortsspezifische Installation geschaffen, die sich dem Sehen und der Wahrnehmung des Betrachters im öffentlichen Raum, aber auch dem Verhältnis von Oberflächen und dem Dahinterliegenden widmet. Ausgehend von den vier Themen Licht, Farbe, Linienkunst und dem erweitertem Zeichenbegriff des Künstlers entwickelt sich die Ausstellung im Folgenden, die Zeichnungen, Skulpturen und Rauminstallationen umfasst.

Licht- und Farbstudien, sowie die Erforschung von Naturphänomenen stellen ein zentrales Thema in Eliassons künstlerischer Praxis dar. Mit einer neuen Glasarbeit und der Skulptur The presence of absence (Nuup Kangerlua, 24 September 2015 #2) (2016) werden die großformatigen Aquarelle The ocean fade (2016) gezeigt, die mittels wiederholtem Auftragen von dünnen, transparenten Lasuren auf je ein großes Blatt Papier einen subtilen Farbverlauf von leuchtenden, satten Tönen bis zu blassem, zartem Kolorit ergeben. Der minutiöse, physikalische Produktionsprozess dieser Arbeiten erzielt eine ephemere Erfahrung von Licht und Raum und der Beweglichkeit von farbigem Licht in der statischen Fläche als synästhetisches Erlebnis unserer Sinne – ein Thema, das in vielen Werken Eliassons eine elementare Rolle spielt.

Die Installationen Your uncertain shadow (black and white) (2010) sowie Life is lived along lines (2009) leiten vom Thema Licht und Schatten über zur zeichnerischen Linienkunst. Exklusiv für die Münchner Ausstellung kreiert Olafur Eliasson eine Variante des berühmten sogenannten Modell room (2003), der 2015 vom Moderna Museet in Stockholm erworben wurde und nicht mehr ausleihbar ist. Es handelt sich dabei im wahrsten Sinne des Wortes um ein fantastisches Studierzimmer, das sich wie ein dreidimensionaler idealer Denkraum öffnet. Flankiert wird die Installation unter anderem von einer Suite von 35 großformatigen Skizzenblättern, Studio Sketches, die PIN. Freunde der Pinakothek der Moderne e. V. jetzt schon für die Sammlung erwerben konnte. Sie geben Einblicke in den Reichtum von Eliassons schöpferischen Ideen, die zeichnerisch zum Ausdruck kommen.

Ein dritter Werkkomplex wird sich in der Ausstellung dem erweiterten Begriff von Zeichnung zuwenden, der seit Beginn des 20. Jahrhunderts in der künstlerischen Praxis eine wichtige Rolle spielt und schon im Frühwerk Eliassons seinen Niederschlag gefunden hat. Die Lichtinstallation Your unpredictable sameness (2014) im Foyer führt sinnlich vor Augen, dass die Linienkunst keine Begrenzung der Medien kennt und Künstler wie Eliasson sich in ihrer Experimentierfreudigkeit keine Beschränkungen auferlegen. In diesem Kontext werden u. a. frühe Zeichnungen wie die bisher nie gezeigten sogenannten Black boat drawings aus dem Besitz des Künstlers zu sehen sein, die er 1998 in Kooperation mit seinem Vater Elias Hjörleifsson geschaffen hat. Sie demonstrieren exemplarisch die Öffnung des klassischen Zeichnungsbegriffs: Eliasson gab damals vom Land aus Start- und Stoppzeichen, die seinem auf einem Schiff befindlichen Vater signalisierten, eine in Tinte getauchte Kugel an vorher festgelegten Orten auf einem Papier zu positionieren. Über einen Zeitraum von zwei, fünf, zehn oder fünfzehn Sekunden zeichnete dann die Kugel, gelenkt vom Wellengang, ihren Verlauf auf dem Papier ab. Diese Öffnung geht damit von der schöpferischen Hand aus und wird um den Zufall erweitert, durch den sich – einem Seismographen gleich – die künstlerische Kreativität einen geradezu interstellaren Raum erschließt.

Die Ausstellung Olafur Eliasson. WASSERfarben stellt das Oeuvre des Künstlers über das vielfältige Spektrum seiner Zeichenkunst hinaus im Kern seiner Wesenheit vor. Es bleibt ephemer, berührt aber auf diese Weise existentielle Grundbedingungen, die unser menschliches Dasein jenseits empirischer Fakten ausmachen.

KATALOG Begleitend zur Ausstellung erscheint ein Katalog, der sich der Zeichnung als grundlegendem Medium in Olafur Eliassons Oeuvre widmet. Er ist weniger ein klassischer Leitfaden durch die Ausstellung als das Skizzenbuch einer künstlerischen Ideenwelt und ein Angebot des Kurators, Eliassons komplexe Fragen zur Wahrnehmung und seine empirischen Untersuchungen auf dem Feld eines erweiterten Zeichnungsbegriffs sinnlich zu erleben als elementare visuelle Extrakte in Form von konzeptuellen Farbskizzen, radikalen Kreisziehungen und neuesten großformatigen Aquarellen in subtilen Farbversionen. Der Katalog taucht in die geradezu alchemistische Atmosphäre von Eliassons „Werkstatt“ ein, die vor Entstehung der Kunstwerke in der Luft liegt – er ist quasi ein Studiobesuch auf Papier. Ein umfassendes Gespräch zwischen Michael Hering und Olafur Eliasson bietet Einblicke in neueste Werkgruppen und ihre Entstehungsprozesse. Zudem kristallisieren sich Kernthemen des Künstlers heraus, es offenbart sich sein Bezug auf Künstler wie Caspar David Friedrich und Wassily Kandinsky oder auf die Farbe des isländischen Meeres.