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Überquert man auf der Rue de Bâle die Landesgrenze von Basel nach Hégenheim, begegnet man einem kleinen Zollwärterhäuschen, das am Straßenrand steht. Seltsam verlassen mutet dieser Übergang an – die architektonischen Strukturen von Grenzsituationen sind uns im Dreiländereck bekannt – doch hier scheint das Häuschen seiner Funktion enthoben und man wird zum unbemerkten Übergänger. Es ist ein einsamer Wächter oder Zeuge, an den Rand gedrängt, seine kontrollierende Macht noch andeutend, wie eine Erinnerung, die weit zurück liegt. Das Häuschen begegnet uns im Bild Zollhaus (2006) von Olaf Quantius erneut, das Teil der neuen Serie der nomad paintings ist. Im Bild ist diese singuläre Architektur mittig platziert; sie befindet sich auf unsicherem Grund, auf dem aus dicker Ölfarbe rudimentär gemalte vegetative Motive wachsen, die sich gegen das leuchtende Blau der Fassade abheben. Isoliert in bewegter Natur, in der amorphe, abstrakte Formen wuchern, und eingerahmt von unscharf gezeichneten Baumsilhouetten erhält das Zollhaus in seiner realistischen Figuration eine skulpturale Festigkeit. Die Verschmierungen am linken oberen Bildrand und die dabei aus dem Bild laufenden Farbtropfen treten in ein Wechselspiel mit den Flächen des silbernen Grunds, der genauso als Teerfläche der Strasse im Vordergrund, wie auch als ein unendlicher, schwereloser Raum gelesen werden kann.

Der Künstler beschäftigt sich in seinen Bildern, die meist in Serien mit suggestiven Titeln entstehen, welche die Bedeutung von Wörtern und deren Assoziationsfeldern umkreisen, mit Objekten des Alltäglichen, mit dem Ungesehenen, Unbeachteten. Diese Beobachtungen transformiert der Künstler in seinen Arbeiten in eine eigene Bildsyntax zu neuen, konzentrierten Ansichten von Existierendem. In den nomad paintings setzt sich Quantius mit dem Motiv der bescheidenen und einfachsten Architekturen von Hütten und Häusern auseinander. Diese sind oft abgesondert von den Agglomerationen zu finden, gebaut für einen wirtschaftlichen Gebrauch, als Lagerhaus im Garten oder als Schuppen für Werkzeuge und landwirtschaftliche Erzeugnisse, und dies an Orten, die nicht unbedingt zum längeren Verbleiben einladen.

Die Hütten in Hégenheim III (2006) oder in Wellblechhütte (2006) vermitteln keine Gemütlichkeit, sie sind vergessen gegangene Bauten, deren genaue Funktion im Unklaren liegt. Sie sind temporär und nicht für die Ewigkeit gebaut, was ihre provisorische, unstabile Bauweise mitteilt. Der Mensch ist abwesend und doch verweisen die aus geometrischen Formen gebauten Hütten auf den menschlichen Körper, werden zu wesenhaften Verwandten. Gaston Bachelard beschreibt das literarische Bild vom vereinzelten Haus in der rauen Natur, beispielsweise in einer Winterlandschaft, als eines, in welchem Schutz und Widerstandskraft des Hauses in menschliche Werte umgewertet werden und es die physischen und moralischen Energien eines menschlichen Körpers annimmt.(1) Auch in Quantius Bildern erhalten die ungastlich wirkenden Hütten eine körperliche Qualität: In den menschenleeren Landschaften, die zwischen vibrierenden Verwischungen, motivischen Ausklammerungen und Abstraktionsprozessen changieren, sind die Hütten als einzige Protagonisten und wesenhafte Objekte beruhigende Fixpunkte.

Die nomad paintings sind nach fotografischen Vorlagen gemalt, die teilweise auf den Streifzügen des Künstlers in unmittelbarer Nähe seines Ateliers in Hégenheim entstanden sind. Quantius betreibt so ein künstlerisches Nomadentum, das nicht in die Ferne schweift und sich auf längere Reisen begibt, sondern dem nachspürt, was uns bei einem Ausflug in kurzer Entfernung begegnen kann. Der Begriff des Nomaden bezeichnet allgemein Menschen, die kein sesshaftes Lebenskonzept haben und auf der Suche nach Lebensressourcen ständig unterwegs sind. Die behelfsmäßigen, teilweise mit Fantasie gebauten Hütten in den nomad paintings, wie in Wellblechhütte (2006), verweisen jedoch motivisch auf keine räumliche Bewegung oder einen nomadischen Gebrauch – sie evozieren vielmehr etwas Sesshaftes, Territoriales. Das transitorische Moment ist in Quantius Bildern daher im Medium der Malerei selbst zu finden. In Wellblechhütte (2006) begegnen sich Abstraktion und Gegenständlichkeit: Pastose Farbflecken ziehen sich über der obersten Schicht des Bildes, verfremden das, was wir sicher erkannt haben; gleichzeitig ist es eine Markierung der Künstlerhand, die auf die künstliche Situation der Bildproduktion zurück verweist. Die Straßenkreuzung in Ausfahrt (2006) zeigt nicht nur motivisch eine Weggabelung: Die Farbe zeigt ein Eigenleben, sie tropft schwarz die Leinwand hinunter, löst die Linie der Straßenränder auf und durchbricht den Illusionsraum. Im Fenster des Zollhauses spiegeln sich die Schatten des Umraums, der im Bild eigentlich ausgespart bleibt – das Fenster wird zum Ort, an dem sich im Bild bereits ein neues generiert. In den Bildern ist die Landschaft am Entstehen und gleichzeitig im Moment ihrer Formierung eingefroren. Die Übergänge von klar umrissenem Gegenständlichem zu freien, abstrakten Elementen folgen keinem nachvollziehbaren System und die Bildstörungen werfen uns auf unser Sehen zurück. Der silberne Grund in Quantius Bildern übernimmt dabei die Funktion, unseren Blick zu distanzieren. Das Silber wird zur spiegelnden Projektionsfläche, die auch den Glamour und die begehrlichen, glänzenden Fetische der populären Konsumkultur mit anklingen lassen. Der Gegensatz zwischen Industriellem, Technoiden und der figurierten Natur wird durch die motivische Bedeutung des Silbers aufgehoben und betont die Künstlichkeit des Bildes. Die Momente der Unschärfe durch schnell aufgetragene, flüssige Farbe lassen die Motive auf der obersten Schicht flirren und erinnern an die Aufnahmetechniken der Fotografie, das Fokussieren und gleichzeitige Verschleiern von Motiven. Die Unschärfe der Bäume und Pflanzen ruft eine Bewegung im Bild hervor, intensiviert durch die glatte, zurückweisende Fläche des Silbers, die die Motive transzendieren lässt und einen zeitlosen Raum über sie stülpt.

Ohne Titel (dak, nomad painting 8), zeigt eine abstrakte Anordnung von auf silbrig-grünem Grund driftende Kuben, amorphe Formen, frei schwebenden Farbpunkten, sich verdichtende Farbverläufe, die sich wie Vernarbungen über das Bild ziehen und die Leinwand hinunter fliessen. Im Gegensatz zu den Bildern mit den Hütten zeigt sich hier ein mentaler Raum, der die Bewegungen und Bildgenerierung gleichzeitig umfasst und sichtbar macht. Es ist vor allem die Semantik von Einzelteilen, die Quantius in seinen Arbeiten untersucht und zu neuen visuellen Strukturen zusammenbringt. Die Styrofoam-Skulptur Scheune (2007) bekundet das gleiche analytische Interesse an den einzelnen Bauelementen einer Holzhütte, an ihren Fassadenteilen, Oberflächen und Konstruktionen, wie in den Bildern. Von innen (2007) zeigt das Innere des gleichen Speichers, doch wie in den anderen Einzelhäusern scheint keine Intimität auf. Die durchlässige Struktur befindet sich in einem undefinierten Raum, in dem Licht gleissend einzufallen scheint. Innen- und Aussenraum diffundieren, die Bretter heben sich als konkrete, graphische Formen vor dem leeren Grund ab und das Gerippe der Holzlatten kippt unmerklich in die Abstraktion.

Versteht man das künstlerische Nomadentum romantisch, so umschreibt es die Sehnsucht, einen Ort zu erreichen, sei es, ihn sich erträumend oder real zu suchen – „dort“ sein zu wollen, ohne zu wissen, wo dieses „dort“ liegt, immer „unterwegs“ und doch nie wirklich „da“ zu sein. Die Hütte, die einen provisorischen Raum anbietet, als vorübergehende Unterkunft und Unterschlupf auf Reisen, kann diese Begehren symbolisieren. Bachelard vermutete jedoch gerade in der kleinsten Hütte die größte Quelle der Ursprünglichkeit; sie besitzt dieselbe Fähigkeit des Hauses, einen Speicher der persönlichen Erinnerung und Vergangenheit zu sein. Die Hütten in Quantius Bildern sind solche, die man überall finden könnte, sie sagen nichts Spezifisches über sich und ihren Ort aus. Sie werden erst durch unsere Betrachtung und Projektionen zu Individuellem, Persönlichem. Die Hütte kennzeichnet keinen fest definierten Ort, vielmehr den Weg, einen anderen Ort zu erreichen, sei es einen unbekannten, utopischen oder vergessenen – und markiert dennoch ein unumstößliches „Hier“. Etwas zutiefst Melancholisches transportieren so Quantius Bilder, eine leise Ahnung oder die verdrängte Gewissheit, dass heute alles in nomadischer Bewegung ist und sich fortwährend verändert, so dass ein Ankommen im Unbestimmten bleiben muss.

Simone Neuenschwander

(1) Gaston Bachelard: Poetik des Raumes (1957), Franfurt/M.: Fischer, 1987.

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Der Sinn der Hütte
Die nomad paintings von Olaf Quantius