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Olaf Nicolais Arbeit ist konzeptueller Natur und oft durch (sozial-)politische Referenzen geprägt, in denen multiple und oft gegenläufige Aspekte (Sozialismus und Kapitalismus, Hedonismus und Idealismus) sich vermengen und überlappen. Sowohl thematische Elemente wie Produktionsprozesse und Kommodifizierung, also auch die Sphäre der Ästhetik und die Rolle des Betrachters d.h. des Teilnehmers werden in seiner Arbeit reflektiert.

In der Ausstellung WARUM FRAUEN GERNE STOFFE KAUFEN, DIE SICH GUT ANFÜHLEN präsentiert die Galerie EIGEN + ART zwei Arbeiten Olaf Nicolais, die aus Objekten des privaten, aber durchaus auf Repräsentation ausgerichteten Interieurs bestehen: einem Vorhang und zwei gestickten Bildern.

Im vorderen Galerieraum empfängt den Besucher die titelgebende, mehrteilige Installation WARUM FRAUEN GERNE STOFFE KAUFEN, DIE SICH GUT ANFÜHLEN. Ein farbintensiver, gewebter Seiden-Vorhang verkleidet die graugrün gehaltenen Wände des Galerieraums. Seine Verläufe ähneln jenen abstrakten Mischungen, die sich beim so genannten Iris-Druck einstellen (d.h. Farbübergänge wie bei einem Regenbogen). Er erweckt den Eindruck, dass er weiter zugezogen werden könnte, so dass der Raum durch einen einzigen großen, farbigen Stoff umschlossen würde. Mit ihm wird in den Galerieraum ein Element eingeführt, das eher zur Umgrenzung und Einrichtung eines abgeschirmten Raumes dienen soll, wobei die optische Präsenz der Farbigkeit sowie die Haptik des gewebten Materials die Aufmerksamkeit auf sich ziehen.

Der Reiz des Vorhangs besteht jedoch nicht allein darin, ein markantes Design-Objekt der Raumgestaltung zu sein. Er ist als ein Gegenstand konzipiert, der durch seine Präsentation, seine Materialität und Erscheinung, ebenso wie durch die Art und Weise seiner Produktion verschiedene Ebenen der Reflexion aufruft. Insofern gleicht der Vorhang einem „rhetorischen Objekt“: Einem Gegenstand, der durch die Stilistik und Kontexte seiner Produktion über sich und das „Geflecht“, in das er eingebettet ist, Auskunft geben kann.

Dies beginnt bereits mit dem Titel. Er zitiert in freier Übersetzung die Studie von Elias Smith aus dem Jahr 1937, die sich mit dem Konsumentenverhalten beim Kauf von Stoffen beschäftigt. Smiths Titel könnte als eine provokante Beschreibung des Vorhangs gelesen werden. Einerseits bietet er sich als Objekt zur Überprüfung der Behauptung an, andererseits könnte eben dieser Vorhang das historische Objekt jener die Untersuchungen gewesen sein.

Elias Smith ist ein Pseudonym, das der Soziologe Paul Lazarsfeld nach seiner Emigration in die USA benutzte. Seine modellbildenden Untersuchungen sind bis heute in der Markt- und Meinungsforschung wirksam.

Zusammen mit Marie Jahoda und Hans Zeisel verfasste er die erste Langzeitstudie über die Folgen von Arbeitslosigkeit im 20. Jahrhundert: „Die Arbeitslosen von Marienthal“. In Marienthal waren nach dem Zusammenbruch der dortigen Webereien fast alle Arbeiter eines gesamten Orts arbeitslos geworden.

Die Studie, die heute als Meilenstein in der Entwicklung der empirischen Sozialforschung gilt, wurde unterstützt und finanziert von der Arbeiterkammer Wien, in deren neuen Gebäude die Arbeit WARUM FRAUEN GERNE STOFFE KAUFEN, DIE SICH GUT ANFÜHLEN 2010 erstmals gezeigt wurde. Das Gebäude der AK Wien befindet sich heute auf dem Gelände des ehemaligen Palais Rothschild, in dem nach 1938 Adolf Eichmann die "Zentralstelle für jüdische Auswanderung" einrichtete. Die 1930 von Lazarsfeld, Jahoda und Zeisel gegründete Wirtschaftspsychologische Forschungsstelle bezeichnet das Allensbacher Institut als sein Vorbild.

Die den Vorhang begleitende Publikation WARUM FRAUEN GERNE STOFFE KAUFEN, DIE SICH GUT ANFÜHLEN. Annotation ist als textuelles Referenzsystem zu dieser Arbeit konzipiert, das die Form eines Anmerkungsapparats mit Sach- und Personenregister annimmt. Im Stil der Experimentellen Literatur entwirft die Erzählung in sieben Kapiteln eine Narration jenseits linearer Logik. Die Studie über "Die Arbeitslosen von Marienthal” dient hier als Ausgangspunkt, um ein komplexes Netz von Referenzen aufzuspannen, das vom Untergang der Textilindustrie über soziologische Meinungsforschung, der Entwicklung von Konsumentenbedürfnissen und psychologischen Studien über taktile Wahrnehmung von Stoffen reicht und damit ein intrikates textliches Geflecht erzeugt. Die verdeckte Farbigkeit der Wände im Entree bestimmt auch den oberen Galerieraum. Gestimmt ist dieser zweite Raum durch die sparsame Setzung zweier Objekte: Es handelt sich um Blütenstickereien mit dem Titel FLOWERS, die in einem staatlichen Betrieb in Pjöngjang gefertigt wurden. Diesen Betrieb hatte Olaf Nicolai besucht, als er 2007 eine Studienreise nach Nordkorea unternahm. Die Stickereien zeigen eine weiße Lilie und eine Orchidee, wobei letztere nicht nur dekorative Funktionen erfüllt. Benannt nach dem nordkoreanischenn Diktator Kim Il Sung, wird diese Blüte massenhaft gezüchtet. Sie gilt als stellvertretendes Emblem des mittlerweile verstorbenen Präsidenten. Durch die gleiche, objekthafte Rahmung von “ideologischer” Orchidee und “normaler” Lilie tritt jedoch das ideologische Moment hinter jenes Changieren zwischen Dekor und Repräsentation zurück. Ein Changieren, das die Wirkung der Objekte bestimmt und eben auf jene rhetorischen Dimensionen verweist, die auch die Arbeit WARUM FRAUEN GERNE STOFFE KAUFEN, DIE SICH GUT ANFÜHLEN charakterisieren.

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Olaf Nicolai
Warum Frauen gerne Stoffe kaufen, die sich gut anfühlen