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Die dominanten Module der Kunstrezeption sind nun das Kontinuum der Künstlerfresse, die Eingliederung in die Celebrity-Welt, das Kalkül von Auslastung und Stadtmarketing der Institutionen, der Pop- und Soap-Anschluss und die kindgerechte Mitspiel-Interaktivität. (Diedrich Diederichsen)

Pseudonyme, Avatare und Kunstfiguren – inkognito und körperlos-flüchtig präsentieren sich AutorInnen in Blogs und Online-Foren und nutzen diese als Schlupfwinkel in einer immer transparenter werdenden Welt. Namenlos, ohne Alter und Herkunft, scheinen sie in dieser vagen Anonymität den „Tod des Autors“ [1] ähnlich emblematisch einzulösen, wie dieser im literaturtheoretischen Kontext schon vor langem postuliert wurde. Doch selbst wenn sich die Biografie – im Theoretischen – von der Werkbedeutung gelöst haben mag, richtet sowohl der Literatur- als auch der Kunstbetrieb den Fokus symbolisch wie faktisch weiterhin auf die Einzelperson. Institutionen, die ihr Programm marktkonform nach signifikanten Stationen im Leben ihrer ProtagonistInnen ausrichten aber auch Debatten um Urheberrechte und Copyright-Lizenzen verweisen direkt auf die unumstößliche Relevanz des Lebenslaufs in einem „Regime von Biographismus und Narzissmus, Dienstleistungs-Prozessualismus und Service-Authentizität“ [2] – das Curriculum als Maß jeglicher Kunstproduktion?

Ausgehend von der in der Literaturkritik begründeten Idee eines „modernen Schreibers“, der „im selben Moment wie sein Text geboren“ wird [3], hinterfragt die Ausstellung OHNE TITEL. Der/die AutorIn tituliert Texte durch eine versuchsweise Kunst eine vom Kunstmarkt forcierte Orientierung an Subjekt und Lebenslauf als bedeutungsstiftende Kriterien in der Bewertung von Kunst. Die vornehmlich sprach- und textbasierten Kunstwerke der Ausstellung reflektieren die Rolle des KünstlerInnen-Subjekts sowohl im produktions- als auch im rezeptionsästhetischen Diskurs, im aktuellen gesellschaftspolitischen Kontext sowie im Hinblick auf die Interpretationsprozesse im Ausstellungsraum. Allem voran agiert der Kunstbetrieb als Überbau, ein sich selbst überdauernder Mechanismus, der die Konstruktion von Sinnzusammenhängen erst zu ermöglichen scheint. Das Hauptaugenmerk der Ausstellung liegt auf einer zur allgemeingültigen Instanz erhobenen Figur der „AutorIn“. Die Rede ist von einem modellhaften KünstlerInnen-Subjekt, eine vom Individuum losgelöste Existenz, die erst mit der wechselseitigen Beziehung von Kunstwerk und BetrachterIn – Text und LeserIn – beginnt und sich während ihrer „Zeit der Äußerung“ [4] definiert. Die vielschichtigen und verwobenen Verhältnisse zwischen produzierendem und rezipierendem Subjekt werden so der ästhetischen Bewertung von Kunst in einem medialen Umfeld zugänglich gemacht: „Die Autonomie der Kunst sitzt diesem Verständnis zufolge nicht mehr im Objekt, sondern sie liegt im Verhältnis zwischen Subjekt und Objekt beschlossen: in der spezifischen Weise, wie wir Objekte der Kunst erfahren – und zwar im Unterschied zu anderen Dingen.“ [5]

Nicht zuletzt durch die Titelgebung der Ausstellung wird in diesem dichten Zusammenspiel aus KünstlerInnen-Status und seiner kommerziellen Verwertbarkeit, den Produktions- und Rezeptionsprozessen des Kunstwerkes sowie Institutionskritik im Widerstreit mit dem System „Kunstmarkt“, die Rolle der KuratorIn beleuchtet. Das offen gelassene ohne Titel stellt die editorischen Aufgaben von AusstellungsmacherInnen zur Diskussion und räumt dabei dem Vorstellungsvermögen der LeserInnen/BesucherInnen größtmöglichen Spielraum ein. Der per Computer generierte Untertitel – Der/die AutorIn tituliert Texte durch eine versuchsweise Kunst. – verdichtet hingegen auf textueller Ebene, was Roland Barthes in Anlehnung an Julia Krystevas Intertextualitätstheorien als ein „Gewebe von Zitaten aus unzähligen Stätten der Kultur“ [6] bezeichnet. Schließlich emanzipiert sich das Werk vom künstlerischen Konzept der AutorIn und die LeserIn wird als „Raum“ definiert, „in dem sich alle Zitate, aus denen sich eine Schrift zusammensetzt, einschreiben, ohne dass ein einziges verloren ginge“ [7]. Die BetrachterIn wird zum Sinn gebenden Subjekt und die AutorIn hält das Buch nicht länger in ihren Händen.

In diesem Spannungsfeld überprüft Anna Artaker in Unbekannte Avantgarde (2008) die Ausgewogenheit der Geschlechterverteilung in fotografischen Porträts von Künstlergruppen, die im Laufe des 20. Jahrhundert zu wichtigen Referenzquellen avanciert sind. Den männlichen Vertretern dieser Kollektive ordnet sie kurzerhand weibliche Namen zu. Den Gender-Diskurs impliziert auch die Plakatinstallation Some Of The Names Of Photoshop (2009), in der die Künstlerin ihren Blick nicht nur auf die UrheberInnen, sondern auch auf den kommerziellen und gesellschaftlichen Bezugsrahmen jener technischen Mittel richtet, die heute für die digitale Bildproduktion maßgeblich sind.

Um die Wahrnehmung von digitalem Bildmaterial kreist auch Miriam Bajtalas zweiteilige Videoarbeit Ohne Schatten: trigger (2009) und satellite me (2009), in der die Künstlerin mit ihren Anordnungen Behältnisse für Narration schafft, in denen die gezeigte Handlung zu einem Platzhalter wird. Die Videobilder – bei satellite me von einem Computerprogramm neu angeordnet – überlässt sie der Wahrnehmung der BetrachterInnen als visuelles Allgemeingut und Form für mögliche Narrationen. In arbeiten für ohne titel (2008/2009) überträgt Bajtala die Verantwortung über das Sehen des Kunstwerks schließlich zur Gänze den LeserInnen. Auf sprachlicher Ebene hervorgebrachte Erwartungshaltungen bleiben ohne visuelle Erfüllung – die Lücke in der materiellen Welt schließt erst die Imaginationskraft der BetrachterInnen.

Aktive Interpretationsarbeit seitens der BetrachterInnen fordert auch Nikolaus Gansterer mit seiner analogen Hypertextinstallation Mnemocity (2005/2010). Zu einem dreidimensionalen Geflecht aus Netzwerkknoten und Querverbindungen, Referenzen und Zitaten verdichten sich die von ihm ausgewählten und bearbeiteten theoretischen Texte verschiedener AutorInnen, die je nach räumlicher Position der LeserInnen mehrfach dechiffriert werden können. Die Beziehungen zwischen dem Wort und seiner Bedeutung, dem Text und seiner AutorIn, stehen auch im Zentrum Jörg Piringers Videoarbeiten wir alle (2001), vielleicht (2002) und vorsprung (2004). Auf der Basis von bereits existierendem Textmaterial wie Manifesten, Werbebotschaften und Reden von PolitikerInnen löst er mit bewegten Text-Bildern die Grenzen zwischen Kunst und Literatur zusehends auf.

In Michael Kargls Buchinstallation a misunderstanding (2008-2010) konzentriert sich das Ausstellungsthema in Form einer Dokumentation der nicht akzeptierten Einreichung des Künstlers, die als Abfallprodukt der verqueren Mechanismen des Kunstbetriebs gelesen werden kann und die Produktionsbedingungen zeitgenössischer Kunst zur Diskussion stellt. Kommerzielle Verwertungsstrategien thematisiert der Künstler ebenfalls mit objects of desire (2005-2008). In einem kontinuierlichen Prozess werden – originale – Kunstwerke aus fortlaufenden Nummern generiert, um danach genauso rasch wieder von der Bildfläche zu verschwinden, wie sie dort zuvor erscheinen.

Die vom Kunstbetrieb und seinen Institutionen häufig verwendeten Metaphern und Begriffe sind schließlich Gegenstand von Miriam Lausseggers und Eva Beierheimers Werkserie worte (2006-) sowie dem dazugehörigen Online-Textgenerator worte.at/art-words.net (2006/2010). Mit ihrer Sammlung von Fachbegriffen und Terminologien führen sie Sprache über Kunst als Kunstsprache ad absurdum und geben sie dem Ausstellungsraum als von AutorInnen-Subjekten losgelöste Installation wieder zurück.

[1] Barthes, Roland: Der Tod des Autors, in: Jannidis, Fotis; et al: Texte zur Theorie der Autorschaft, Reclam: Ditzingen, 2007 [2] Diederichsen, Diedrich: Eigenblutdoping. Selbstverwertung, Künstlerromantik, Partizipation, Kiepenheuer & Witsch: Köln, 2008, S. 196 [3] Barthes, Roland: Der Tod des Autors, in: Jannidis, Fotis; et al: Texte zur Theorie der Autorschaft, Reclam: Ditzingen, 2007, S. 189 [4] ebd. [5] Rebentisch, Juliane: Ästhetik der Installation, Suhrkamp: Frankfurt am Main, 2003, S. 105 [6] Barthes, Roland: Der Tod des Autors, in: Jannidis, Fotis; et al: Texte zur Theorie der Autorschaft, Reclam: Ditzingen, 2007, S. 190 [7] ebd., S. 192

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OHNE TITEL
Der/die AutorIn tituliert Texte durch eine versuchsweise Kunst
Kuratoren: Birgit Rinagl, Franz Thalmair

Künstler: Anna Artaker, Miriam Bajtala, Eva Beierheimer / Miriam Laussegger, Nikolaus Gansterer, Michael Kargl – aka carlos katastrofsky , Jörg Piringer