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Not Working Künstlerische Produktion und soziale Klasse 12. September – 22. November 2020 Eröffnung: 11. September, 19 Uhr

Ausstellung mit Adrian Paci, Angharad Williams, Annette Wehrmann, Gili Tal, Guillaume Maraud, Josef Kramhöller, Laura Ziegler und Stephan Janitzky, Lise Soskolne, Matt Hilvers, Stephen Willats

Filmprogramm mit Agnès Varda, Ayo Akingbade, Barbara Kopple, Berwick St Collective, Max Göran, Lucrecia Martel ausgewählt von Nadja Abt, Simon Lässig, u.a. Begleitprogramm mit Cana Bilir-Meier, Phasenweise nicht produktiv, Ramaya Tegegne, Tirdad Zolghadr, u.a.

Publikation mit Beiträgen von Annette Wehrmann, Dung Tien Thi Phuong, Josef Kramhöller, Laura Ziegler und Stephan Janitzky, Leander Scholz, Lise Soskolne, Mahan Moalemi, Marina Vishmidt und Melanie Gilligan, Steven Warwick

Ausstellung mit Adrian Paci, Angharad Williams, Annette Wehrmann, Gili Tal, Guillaume Maraud, Josef Kramhöller, Laura Ziegler und Stephan Janitzky, Lise Soskolne, Matt Hilvers, Stephen Willats

Filmprogramm mit Agnès Varda, Ayo Akingbade, Barbara Kopple, Berwick St Collective, Max Göran, Lucrecia Martel ausgewählt von Nadja Abt, Simon Lässig, u.a. Begleitprogramm mit Cana Bilir-Meier, Phasenweise nicht produktiv, Ramaya Tegegne, Tirdad Zolghadr, u.a.

Publikation mit Beiträgen von Annette Wehrmann, Dung Tien Thi Phuong, Josef Kramhöller, Laura Ziegler und Stephan Janitzky, Leander Scholz, Lise Soskolne, Mahan Moalemi, Marina Vishmidt und Melanie Gilligan, Steven Warwick

Diesen September präsentiert der Kunstverein München das Projekt Not Working – Künstlerische Produktion und soziale Klasse, welches internationale Künstlerinnen, Theoretikerinnen und Autor*innen zusammenbringt, die in ihrer Praxis die gegenseitige Bedingtheit von künstlerischer Produktion und sozialer Klasse verhandeln. Jede Form, auch die künstlerische, ist Terrain für die Verhandlung von Klassenverhältnissen. Formensprache ist dabei immer auch lesbar in Bezug auf Privilegien und ökonomische Zusammenhänge, die bestimmten Materialien, inhaltlichen Auseinandersetzungen und (Re-)Präsentationsmodi eingeschrieben sind und sie durchziehen.

Die komplexen Strukturen und Verschärfung sozialer Ungleichheiten – besonders deutlich geworden im Zusammenhang mit der aktuellen Pandemie – hat zu unterschiedlichen Verwendungen und Konnotationen des Klassenbegriffes geführt. Soziologisch verstanden als Zuordnung von Individuen zu Gruppierungen innerhalb einer Gesellschaft, die sich durch objektive Merkmale wie beispielsweise die Erwerbs- und Berufsstellung auszeichnen, hat der Begriff jedoch jenseits von einem ökonomischen auch einen symbolischen Gehalt: Spricht man heute von Klasse, so wird basierend auf ihrer historischen Konstitution zumeist von weißen, vornehmlich männlichen Gruppierungen ausgegangen. Deutlich geworden ist jedoch, dass Klasse den Kategorien von ethnischer Zugehörigkeit und Geschlecht – im Englischen die weitaus geläufigeren Begriffe „Race“ und „Gender“ – nicht nur inhärent ist, sondern diese Kategorien vielmehr bestimmende Elemente von Klassenverhältnissen darstellen.

Welche Formen nehmen künstlerische Praktiken an und wie geben diese Auskunft über Konditionen, unter denen sie entstanden sind? Die Werke in der Ausstellung dokumentieren oder appropriieren nicht kulturelle Zeichen der Arbeiterinnenklasse, sondern sind geprägt durch ein Bewusstsein um die Verflochtenheit von Herkunft, Sozialisierung, Ausbildung und künstlerischer Praxis. Sie ermöglichen somit eine Auseinandersetzung mit diesen Kategorien im Verhältnis zu den tatsächlich gelebten Realitäten ihrer Produzentinnen. Anhand feiner Unterschiede ist jedoch fraglich, warum zeitgenössische Kunst zumeist immer noch vor dem Hintergrund einer vermeintlichen „Klassenhomogenität“ präsentiert und diskutiert wird und so Komplizin der Reproduktion und Verdeckung bestehender Verhältnisse bleibt, die sie eigentlich zu überwinden vorgibt. Der Begriff der Klasse ist auffallend abwesend in Diskursen, die eine politische Relevanz und kritisches Potenzial beanspruchen. Wenn er zum Thema wird, werden die ökonomischen Disparitäten und Ungleichheiten jedoch allzu oft unbeholfen im gleichen Kontext reproduziert. Der Titel Not Working dient dabei als Verweis auf die oft verherrlichte Prekarität, die der Figur desr Künstlerin innewohnt, sowie auf das Klischee, dass die ökonomischen Regeln für ihre Form der Arbeit keine Anwendung finden. Darüber hinaus skizziert der Titel, dass der auf die grundlegende Prekarisierung der meisten seiner Produzentinnen ausgelegte Kunstbetrieb ein dysfunktionale System darstellt.

Wie andere Kunstvereine zu Beginn des 19. Jahrhunderts als Mitgliederbasierte Institution gegründet, diente der Kunstverein München zunächst als Forum der Selbstorganisation einer neu entstehenden bürgerlichen Öffentlichkeit. Er war demnach nicht nur ein Ort der Präsentation von Kunst, sondern vor allem auch der Bildung einer „Gesellschaft des Geschmacks“. Der Kunstverein München ist in eines der teuersten städtischen Gefüge eingebunden, welches durch enorm hohe Mieten und Lebenshaltungskosten geprägt und immer weniger in der Lage ist, ein für die kulturelle Produktion förderliches Umfeld zu bieten. Die veränderten sozio-politischen sowie ökonomischen Rahmenbedingungen, unter denen der Kunstverein heute agiert bzw. agieren muss, zogen nicht nur eine programmatische Neuausrichtung sowie Hinterfragung des Modells selbst und folglich eine Repositionierung im zeitgenössischen Kunstbetrieb nach sich. Sie machen ihn auch zu einem prädestinierten Ort für die Verhandlung von Fragen nach der Verschränkung von Ökonomien, Kunstproduktion und Repräsentation. Schließlich sind Kunstvereine eine reiche Quelle für historische Informationen über die Motivationen ihrer Protagonist*innen und darüber, wie diese Motivationen von einem bürgerlichen Kunstbegriff bestimmt werden, der sich vermeintlich autonom und unabhängig von sozialen Faktoren, einschließlich der sozialen Klasse, verstanden wird.

In der Ausstellung, einem umfassenden Film- und Begleitprogramm sowie der Publikation geht es nicht darum, traditionelle Modelle linker Politik und den Klassenbegriff auf ihre Aktualität oder Überholtheit hin zu überprüfen oder die Kunst als politisches Werkzeug zu verstehen. Vielmehr geht es darum, ihn produktiv im Hinblick auf seine Verflochtenheit mit künstlerischer Produktion zu betrachten und Impulse zur Auseinandersetzung mit dieser komplexen Materie zu schaffen.