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Am 4. September beginnt die Filmreihe „No Matter How Bright the Light, the Crossing Occurs at Night“, die sich auf unterschiedliche Aspekte des Gespenstischen bezieht. Die Reihe begleitet bis November die gleichnamige Ausstellung im KW Institute for Contemporary Art (3.9.-12.11.06), die in Zusammenarbeit mit den Berliner KünstlerInnen Natascha Sadr Haghighian, Judith Hopf/Deborah Schamoni und Ines Schaber entstanden ist und von Anselm Franke kuratiert wurde.

Über den Ausstellungszeitraum verteilt, präsentieren wir vier von den Kuratoren moderierte Doppelprogramme, jeweils aufgeteilt in ein Kurzfilmprogramm und einen Langfilm.

In Ausstellung und Filmreihe geht es weniger darum, Gespenster sichtbar zu machen, sondern um die Umstände des Verschwindens und Unsichtbarseins – also um Verhältnisse, die Gespenster hervorbringen, um den Entzug des Wirklichkeitsstatus, und um die Bedingungen von Veränderung: denn das Gespenstische destabilisiert die geordneten Verhältnisse zwischen Wirklichem und Unwirklichem, Anwesendem und Abwesenden. Letztlich geht es um die Gespenster der Gesellschaft und des Kinos und die Möglichkeiten des Films, sich ihre Mittel zueigen zu machen.

Eröffnung Mo 4.9., 21h & MO 11.9., 19.30h PHANTOM Matthias Müller D 2001 5’ (nur am 4.9.) DER PILGERSTROM Uli Sappock D 1982 (nur am 4.9.) EIN WUNDER Stanislaw Mucha D 1999 7’ TEOREMA Pier Paolo Pasolini I 1968 DF 98’ PHANTOM von Matthias Müller, eine geisterhafte Choreographie mit Hollywoodstars und Vorhängen, zeigt, dass das Kino sich aus zwei Dingen zusammensetzt: Der Gesellschaft und jenem Unsichtbaren, Namenlosen, das in jeder Filmtheorie unausgesprochen bleiben muss. Das Video eröffnet das Programm noch im Halbdunkel, danach gehen die Lichter aus und die Dinge setzen sich in Bewegung: Uli Sappocks Super8-Film DER PILGERSTROM entlarvt die Pilgerwanderung von Gegenständen aus einem gutbürgerlichen Haushalt als selbstreferientielle Absurdität, für das Publikum in Szene gesetzt. Nichts anderes erzählt Pier Paolo Pasolinis TEOREMA. Eine Mailänder Industriellenfamilie findet sich mit einem rätselhaften Gast konfrontiert, der in die häusliche Ordnung einbricht. Sämtliche Familienmitglieder mitsamt der Haushälterin gehen eine Liebesbeziehung mit ihm ein, die sie nach seinem Verschwinden verändert und verwirrt zurücklässt. Die Tochter verfällt in eine mystische Starre, der Sohn wendet sich vom Studium ab und einer absurden Kunstrichtung zu, die Mutter gibt sich wahllos jungen Männern hin und der Vater schenkt die Fabrik seinen Arbeitern. Nur die Haushälterin erfährt – im Gegensatz zum wandlungsunfähigen Bürgertum – eine „sinnvolle“ Wandlung: Sie kehrt in ihr Heimatdorf zurück, wo sie Kranke heilt und fortan als Heilige verehrt wird. Nicht unähnlich der Situation im Kino, wenn das Publikum auf die Leinwand starrt: WUNDER von Stanislaw Mucha setzt die Blicke der teils gläubigen, teils ungläubigen Bewohner eines ostpolnischen Dorfes und der angereisten Pilger in Szene, die auf eine Marienerscheinung warten.

Di 5.9., 19h VILLA WATCH Natascha Sadr Haghighian, Judith Hopf D/USA 2005 15’ EL ANGEL EXTERMINADOR Der Würgeengel Luis Buñuel ES 1962 OmE 95’ Kaum ein Regisseur hat das Bedrohliche der erstarrten Gesellschaft und die Möglichkeiten des Kinos und des Surrealismus, dies zum Vorschein zu bringen und anzugreifen, deutlicher begriffen als Luis Buñuel, von dem wir in diesem Programm drei Filme zeigen. In EL ANGEL EXTERMINADOR feiert eine Gesellschaft reicher Bürger in einer Villa eine Party. Wie von geheimnisvollen Kräften gebannt, vermögen sie mehrere Tage lang den Umkreis der vornehmen Salons nicht mehr zu verlassen. Nervosität, Hysterie und Auflösungserscheinungen stellen sich ein; die eben noch vornehmen Anwesenden scheinen nur mehr ein Opfer ihrer Triebe. Das Bekannte wiederholen, um die Geister zu bannen: Für Natascha Sadr Haghighian und Judith Hopf war dies die Inspiration zu ihrem Video VILLA WATCH, das wir vorweg zeigen.

Mi 6.9., 21h & Mo 18.9., 19.30h ORPHÉE Jean Cocteau F 1949 OmU 94’ BACK TO NATURE George Kuchar USA 1976 OF 10’ Bereits 1926, während eines Sanatoriumsaufenthaltes zur Behandlung seiner Opiumsucht, schrieb Jean Cocteau das Drama „Orphée, eine moderne Variante des klassischen Orpheus-Mythos. Im Mittelpunkt des 1950 entstandenen Films ORPHÉE" (1950) steht die Vorstellung vom mehrfachen Tod, den der Dichter sterben muss, um in die Ewigkeit einzugehen, der Spiegel als Zugang zu einer anderen Welt. Cocteau verschmolz diese Mythen mit der Orpheus-Legende und der modernen, durch Technik bestimmten Lebenswelt. Die „Prinzessin“ ist der Tod Orphées, doch sie verliebt sich in ihn und lässt durch ihre Abgesandten, geheimnisvolle Motorradfahrer, seine Frau Eurydike töten. Orphée gelingt es, ins Jenseits zu kommen und seine Frau von dort zurückzubringen. Der „Tod“ muss sich einer schrecklichen Strafe unterziehen. BACK TO NATURE lässt einen im Ungewissen darüber, was die maskierte Frau, die in das 70er-Jahre-Schlafzimmer eines Hippiepaares (aus heutiger Sicht irgendwie sehr bürgerlich) eindringt, bedeutet: Verführung, Liebe, Tod, Sexualität, Eifersucht oder Rache. Wie auch immer, der Film endet im Paradies.

Do 7.9., 19h & Fr 22.9., 21.30h ALTE MÄNNER (Kübelkind #1) Ulla Stöckl, Edgar Reitz BRD 1970 3’ LE CHARME DISCRET DE LA BOURGEOISIE Luis Buñuel F/I 1972 OmÜb 101 In LE CHARME DISCRET DE LA BOURGEOISIE schildert Buñuel den Lebensstil des gehobenen Pariser Bürgertums, wobei sich ein Bischof als Gärtner verdingt, in einer Gesellschaft plötzlich ein Toter liegt, ein Botschafter aus dem Fenster mit dem Gewehr auf lästige Passanten zielt, eingeladene Gäste unversehens auf einer Bühne vor Publikum sitzen. Unmittelbar schlagen realistische Szenen ins Phantastische und Visionäre um; durch ein verschobenes Detail wird Alltag zum Traum. Der Film ist mit Ironie gemacht, obwohl die Schärfe der Attacke, die Buñuel gegen das falsche Bewusstsein der Bourgeoisie richtet, dadurch nicht gemildert wird. Vorab zeigen wir die erste von 23 Geschichten vom Kübelkind, die Ula Stöckl und Edgar Reitz 1971 produziert haben: ALTE MÄNNER (Kübelkind #1). Kübelkind ist eine Nachgeburt und landet in der Mülltonne. Dort wird sie von einer Frau von der Fürsorge gefunden, die versucht, das Kübelkind in die Gesellschaft einzugliedern. Kübelkind und die Gesellschaft sind jedoch nicht kompatibel und jeder Versuch weckt bei Kübelkind ein neues Begehren, was jede Sozialisierungsmaßnahme (bis hin zur Hexenverbrennung) zum Scheitern verurteilt.

Sa 9.9., 19.30h VORMITTAGSSPUK Hans Richter D 1928 NEGATIVE MAN Cathy Joritz BRD 1985 MUMMY Isabelle Spengler, Uli Ertl D 2006 FILM Alan Schneider, Buch: Samuel Beckett USA 1965 HAND CATCHING LEAD Richard Serra USA 1968 LA COQUILLE ET LE CLERGYMAN Germaine Dulac F 1927 Ein Programm, das sich um den Versuch dreht, Unsichtbares sichtbar und Sichtbares unsichtbar zu machen.

Sa 9.9., 21.30h Einführung Judith Hopf ENTR’ACTE René Clair F 1924 22’ LA REGLE DU JEU Jean Renoir F 1939 106’ Wir zeigen ENTR’ACTE, den Klassiker des cinéma pur und ein Fantasma über den Dächern von Paris, kulminierend in einer heiteren Leichenzug-Verfolgungsjagd, zusammen mit LA REGLE DU JEU, der ein ähnliches Schicksal hatte wie OPENING NIGHT: 20 Jahre nach seiner Entstehung musste der Film rekonstruiert werden, nachdem er zuvor durch zahllose Zensurvorgänge nahezu zerstückelt wurde. Auf einem Jagdschloss hat Monsieur zu einer Treibjagd geladen, und nun kommen die Damen und Herren aus der guten Gesellschaft, um für ein paar Stunden die Spielregeln der Wohlanständigkeit bis hin zum Totentanz zu vergessen. „Mit den beunruhigendsten Mitteln des Films, dem Wechsel harter und sfumatohafter s/w-Kontrastierung, Verschiebung von Schärfen, dem opulenten Spiel zwischen subjektiver Kamera und theatralischer Objektivität gelingt es ihm, einen Reigen von Amouren, Ritualen, Tändeleien und hübschen Nichtigkeiten in eine Welt am Abgrund zu verwandeln.“ (v. Achatz v. Müller, Die Zeit) Die Grabrede des Schlossherren zeigt, dass man von allem, was passierte, nichts gelernt hat.

So 10.9., 21.15h OPENING NIGHT John Cassavetes USA 1977 OmU 147’ Ein Schauspieler-Ensemble ist eingepfercht auf engstem Raum, die Egos und Komplexe sind exponiert, die Nerven liegen blank. Der Film wurde seinerzeit verdammt wie das Böse, erst 25 Jahre später kam er wieder in die Kinos. „Es ist ein Film über Theatralik“, so Cassavetes, „ ein Film über Leute, die sich nach Aufmerksamkeit sehnen. Und danach, in sich oder anderen etwas zu finden, das ihnen eine Superantwort gibt. Und wenn diese Antwort nur ein paar Minuten Gültigkeit hat, dann gilt sie eben nur ein paar Minuten.“ Ein gefeierter Broadwaystar gerät angesichts der Rolle einer gereiften Dame, die ihr angeboten wird, in einen Zustand des Außer-sich-Seins: Sie streikt, tobt, trinkt, geht zu Wahrsagerinnen und kämpft mit dem für sie realen Wahngebilde eines jungen, äußerst dreisten, indessen toten Mädchens.

Mo 11.9., 19h & Fr 22.9., 19.30h ALLE MACHT DEN VAMPIREN (Kübelkind #13) Ulla Stöckl, Edgar Reitz BRD 1970 3’ LE FANTÔME DE LA LIBERTÉ Das Gespenst der Freiheit Luis Buñuel F/I 1974 101’ Auch in LE FANTÔME DE LA LIBERTÉ greift er Episoden des Rätselhaften und Absurden aus der bürgerlichen Gesellschaft auf, die, ineinander verschlungen, die These des Films bilden: Der Ausruf „Es leben die Ketten!“ besagt, dass sich die bürgerliche Gesellschaft aus Unfähigkeit zur Freiheit von selbst in die Gefängnisse des Vorurteils und des falschen Denkens begibt und deshalb alle Manifestationen der Freiheit mit Gewalt bekämpft. Als Vorfilm zeigen wir die 13. Episode von Kübelkind, in den 1970er Jahren wurden die Episoden den Gästen eines Münchner Restaurants auf der Speisekarte angeboten und dort auch vorgeführt.

Mi 13.9., 19h DER DIBEK / DYBUK Michal Waszynski Polen 1937 OmE 122’ Ein Dibbuk ist nach jüdischem Volksglauben die Seele eines ehemals bösartigen oder verbohrten Toten. Diese Seele kann sich aufgrund ihrer Verfehlungen nicht von der irdischen Existenz trennen und sucht nach einem lebenden Körper, um diesen zu besetzen. Manchmal wird der Eindringling selbst als böser Geist bezeichnet. Nur ein Exorzist kann den Geist austreiben. Der Film spielt in einer jüdischen Kleinstadt in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts. Zwei befreundete Väter geloben, dass ihre Kinder, sofern verschiedenen Geschlechts, in Zukunft heiraten würden. Der Vater der Tochter überlegt es sich schließlich anders, obwohl zwischen den beiden Kinder tatsächlich eine große Liebe entflammt. Vor Kummer stirbt der Geliebte, im Sterben spricht er eine kabbalistische Beschwörung aus, so dass das Mädchen von seinem Geist, dem Dybuk, besessen wird. Bei der Austreibung ist sie in der Ewigkeit mit ihrem Geliebten vereint.

Pressetext

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No Matter how Bright the Light, the Crossing Occurs at Night

Filme von Matthias Müller, Uli Sappock, Stanislaw Mucha, Pier Paolo Pasolini, Natascha Sadr, Jean Cocteau, Ulla Stöckl, Edgar Reitz, Hans Richter, Rene Clair, John Cassavetes, Michal Waszynski ...

gleichzeitige Ausstellung im KW, Berlin
"No Matter how Bright the Light, the Crossing Occurs at Night"
kuratiert von Anselm Franke, Natascha Sadr Haghighian, Judith Hopf, Ines Schaber