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N.N. ist eine Ausstellung "in progress". Sechs Künstler entwickeln ihre situationsbezogenen Beiträge nacheinander. Die entstandenen Arbeiten werden fortschreitend Teil des Kontextes, den die Nachfolger vorfinden. Jeder Künstler bestimmt selbst den nächsten Teilnehmer.

Als erste Akteurin in diesem Experiment wurde Maria Eichhorn eingeladen. Maria Eichhorn hat Silke Wagner eingeladen. Silke Wagner hat Dorothy Iannone eingeladen. Dorothy Iannone hat Björn Roth eingeladen. Der so begonnene Akkumulationsprozess soll nach sechs Teilnehmern enden.

Das Ausstellungsgebäude ist ein zweigeschossiger Holzbau. Ursprünglich ein Getreidespeicher, diente es Ende der sechziger Jahre als Museum für prähistorische Funde und dann als Abstellraum. Das Gebäude mit seinen gewandelten ökonomischen und kulturellen Funktionen steht für Prozesse des Erinnerns, Erbens, Lagerns und Sammelns.

Mit jedem neu hinzukommenden Künstler entstehen neue Voraussetzungen. Wer am Anfang der Reihe steht, findet eine noch weitgehend unbesetzte Situation vor, dafür ist kaum abzuschätzen, in welchem Zusammenhang sich der eigene Beitrag am Ende befinden wird; einzige Einflussmöglichkeit besteht in der Wahl des Nachfolgers.

1. MARIA EICHHORN "Es fällt sehr schwer, sich ein Bild der Arbeit von Maria Eichhorn zu machen.... Einige ihrer Arbeiten stehen im Zusammenhang mit einem Nachdenken über Kunst als eine institutionalisierte Form, wie das Projekt mit den Kindern im Künstlerhaus Stuttgart, wo Eichhorn in die Ausstellungsräume eine Malschule verpflanzt hat. Sie geht dabei nicht nur analytisch vor und stellt herrschende Strukturen dar, sondern das Werk etabliert eine Situation, die auf die vorgegebenen Abläufe direkt einwirkt: Öffnungszeiten müssen verändert werden, das Besucherverhalten transformiert sich." (B. Steiner)

Eichhorns Beitrag für Skulptur.Projekte in Münster 1997 bestand darin, ein Grundstück in der Stadt Münster für die Dauer der Ausstellung zu erwerben und auf ihren Namen ins Grundbuch eintragen zu lassen. Das Werk bestand "in den Handlungen und Vorgängen die den Erwerb und die Nutzung des Grundstücks betreffen." (Eichhorn) Es ging um den Realwert der Arbeit, also den steigenden oder fallenden Wert des Grundstücks auf dem Immobilienmarkt, und den Symbolwert einer Skulptur bzw. künstlerischen Arbeit. Und um die Frage, wem eine Stadt überhaupt gehört.

Maria Eichhorns Beitrag zum Projekt NN, den sie ausdrücklich nicht als eine "künstlerisches Werk" versteht, ist folgender:"Ich möchte mit meinem Beitrag die Situation selbst verhandeln und möchte folgendes vorschlagen. Die für mein Projekt zur Verfügung stehenden 1000 DM möchte ich der nächsten Künstlerin für ihr Projekt weitergeben. Sie hat also die doppelte Summe. Den Raum möchte ich unbearbeitet lassen. Mein Vorschlag für die nächste Künstlerin ist Silke Wagner."

2. SILKE WAGNER Auch Silke Wagner (*1967) versucht, "die Stellung der Kunst in gesellschaftlichen Räumen zu untersuchen, ihre Wirkung zu befragen und soziale Rahmenbedingungen in den Blick zu bekommen." (R. Puffert) Ihre Skulptur "Roland" (1998) beispielsweise besteht aus einem hölzernen Stecksystem mit sechzig 1x1 m großen Platten. Jede Platte ist mit Schlitzen versehen so dass sie variabel mit den anderen Platten kombiniert werden kann. Ein Käufer kann sich also daraus ein Möbelstück zusammenbauen oder eine funktionslose Skulptur konstruieren. Was ist die Autonomie von Kunst? Wo liegt die Differenz zum Design? Und wie konsumiert man beides? Sind Fragen die sich hier anschließen.

Beim Vorschlag von Silke Wagner für N.N. wird man sich ebenfalls nach der Urheberschaft und den sozialen Rahmenbedingungen fragen müssen, unter denen er entstanden ist. In mehrfacher Hinsicht tritt sie ein Erbe an:

"Ich möchte mit meinem Beitrag an die Tradition der Kinderprojekte "Platz der Kinder" von Birgitta Weimer 1989 und "Wir bauen unser Dorf" von Susanne Ahner 1991 anknüpfen. Ich möchte folgendes Projekt vorschlagen: Mit den Kindern des Asylbewerberheims soll ein Vorschlag für einen kleinen Spielplatz am Wohnheim erarbeitet werden. Bei einem Workshop haben die Kinder die Möglichkeit gemeinsam mit mir jeweils einen Wunsch für den Spielplatz zu malen oder zu basteln. Die Zeichnungen und Objekte der Kinder dienen als Grundlage für die Umsetzung des Spielplatzes. Für die einzelnen Vorschläge der Kinder werden dann Patinnen/Paten zur Realisierung gesucht. Ein Vorschlag könnte von den für das Projekt zur Verfügung stehenden DM 2000 finanziert werden. Die jeweilige Zeichnung oder das gebastelte Objekt sollen in den Besitz der Patin oder des Paten übergehen und werden im Speicher ausgestellt."

Susanne Ahners Projekt "Wir bauen unser Dorf" war ein Workshop mit Kindern aus Neuenkirchen. Die Kinder haben Spielhäuser entworfen und diese mit Hilfe von Handwerkern auf dem ehemaligen Bahnhofsgelände errichtet. Wegen des Neubaus der Feuerwehr musste der Spielplatz im 1998 abgebaut werden.

Silke Wagner greift also ein bestehendes Konzept auf, und passt es einer neuen Situation an. Diesmal werden die Kindern, aus dem Asylbewerberheim eingeladen, die in der direkten Nachbarschaft des fehlenden Spielplatzes wohnen und diesen am meisten vermissen: Rehjana, Habib, Besar, Buja und Shkunte.

Die Wünsche der Kinder für ihren idealen Spielplatz sind sehr genau, was man den von ihnen gemalten Bildern durchaus ansieht: zwei Fußballtore, eine Taktorreifen-Schaukel, eine Seilbahn, eine Wippe mit vier Sitzen, ein Klettergerüst mit Turnstange, ein Baumhaus, ein Volleyballnetz und eine Wasserrutsche.

Schnell fand sich ein Spender für die Fußballtore. Sie stehen mittlerweile auf dem Platz vor dem Asylbewerberheim. Mit dem durch Maria Eichhorn gedoppelten eigenen Budget konnte Silke Wagner die gewünschte Wippe finanzieren. Während der Planungen wurde allerdings klar, dass ein Spielplatz auf einem öffentlich zugänglichen Gelände nicht ganz einfach zu realisieren ist. Besitzverhältnisse, Baupläne, Sicherheitsvorschriften etc. sind zu beachten. Eine genaue Dokumentation der Projektschritte ist in der Ausstellung nachzulesen.

In den nächsten Wochen wird das Gelände, auf dem der Spielplatz entstehen soll, mit Hilfe der Gemeinde Neuenkirchen von einer Schuttdecke befreit. Die Wippe steht bis dahin vor dem Kunstvereins, soll aber so bald wie möglich umgesetzt werden. Für alle weiteren Spielgeräte müssen noch Förderer und Sponsoren gefunden werden. Das Projekt von Silke Wagner ist also noch lange nicht abgeschlossen.

3. DOROTHY IANNONE Es mag überraschen, dass Silke Wagner mit Dorothy Iannone eine Künstlerin eingeladen hat, die ganz auf die Ausdrucks- und Symbolkraft von Malerei vertraut. Doch auch bei Dorothy Iannone spielt die Reflexion ihrer gesellschaftlichen Rolle als Künstlerin eine wichtige Rolle. Iannones Arbeiten haben stets Auseinandersetzungen darüber provoziert, was Kunst darstellt und darstellen darf.

Die in Berlin lebende Amerikanerin (* 1933) gehörte zur Fluxusbewegung um Dieter Roth, Robert Filliou, Emmett Williams und Daniel Spoerri. Sie begann Ende der fünfziger Jahre zu malen. Die Themen ihrer zunächst ungegenständlichen Bilder, werden mit der 1967 beginnenden Liebesbeziehung zu Dieter Roth zunehmend autobiografisch. Dorothy Iannones Bilder, Bücher und Objekte erzählen von weiblicher Erotik, mythologischen Figuren, von Liebe und von Emanzipation. Sie tragen die individuellen Gefühle und die Empfindungswelt der Künstlerin nach außen.

Wegen der offenen Darstellung von Liebe und Sexualität wurden ihre Arbeiten immer der Zensur unterworfen, vom Zoll konfisziert, aus Ausstellungen entfernt oder mit distanzierenden Hinweistafeln versehen. Ihren künstlerischen Inhalten blieb Dorothy Iannone jedoch stets treu.

Ihren Beitrag zu N.N. beschreibt sie wie folgt: "Tara, die Buddhistische Götten des Mitleids,..., kam mir in den Sinn, als ich die Zeichnungen in dem Getreidespeicher sah, die die Kinder als Teil von Silke Wagners Projekt gemacht hatten, und die die Elemente darstellen, aus denen ihr idealer Spielplatz bestehen sollte. Als Beitrag zu dem Projekt wollte ich ein lebensgroßes hölzernes Cut-Out von Tara machen, die in jeder ihrer acht Hände eines der gewünschten Dinge hält und somit bildlich die Träume der Kinder erfüllt. Den Getreidespeicher des 18. Jhdts. selbst neben den Regeln des von B. v. Dziembowski erdachten Spiels, als Präsenz, auf die jeder Künstler und jede Künstlerin reagieren würde, fand ich sehr schön. Und als ich eine Verbindung zwischen meiner Tara und diesem Bauwerk herzustellen suchte, erinnerte ich mich an Demeter, die griechische Göttin des Korns und dabei lernte ich tatsächlich, dass das englische Wort "silo" letztlich von griechisch "siros" abgeleitet ist, was Korngrube bedeutet.... Als ich weiter nachforschte, fand ich erfreut, dass Tara, die traditionell mit der Geschenk-gebenden Geste der geöffneten rechten Hand dargestellt wird, in der Linken die Lotosblume hält, was sie direkt mit dem Ackerbau verbindet und schließlich als passende Gestalt bestätigt, um meine Antwort auf die Situation im Spinghornhof zu repräsentieren.... Meine Einladung für den nächsten Künstler geht an Björn Roth."

4. BJÖRN ROTH Björn Roth (*1961) aus Reykjavik hat neben der eigenen künstlerischen Arbeit oft mit seinem Vater Dieter Roth (1930 - 1998) zusammen gearbeitet. Gemeinsam verwandelten die beiden 1996 den Jugendstilbau der Wiener Sezession in ein offenes, interaktives System, das nicht nur einen Überblick über die ungeheure Vielfalt der künstlerischen Produktion Dieter Roths gewährte, sondern auch in die Zukunft eines anderen, neuen Umgangs mit Kunst verwies. Nicht mehr das einzelne Kunstwerk als in sich abgeschlossenes Ganzes stand im Vordergrund der Präsentation, sondern der Prozess, der Ablauf eines bewegten und intensiven Künstlerlebens.

Björn Roths erster Besuch in der Lüneburger Heide hat ihn zum Entwurf eines Kinderbuches angeregt. Das "Potatoe Book" ("Kartoffel Buch") besteht aus in schneller Folge entstandenen, intuitiven Zeichnungen auf transparentem Papier, die in immer unterschiedlichen Ordnungen geschichtet und zwischen zwei Plexiglasscheiben variabel angeordnet werden können.

Aus den wechselnden Überlagerungen ergeben sich immer neue, überraschende Bilder und Details. Mal scheinen es tatsächlich Kartoffeln zu sein, die in einem Topf vor sich hin dampfen, mal scheint man in den durchscheinenden knollenartigen Formen Gesichter oder Landschaften zu erkennen. Der Künstler stellt uns keinen abgeschlossenen Zustand vor, sondern ein offenes, assoziatives System, das vom Betrachter gewendet, in anderen Situationen neu geordnet und mit jedem Blick neu konstruiert werden kann. Der Zustand in dieser Ausstellung ist nur eine einzelne, von unendlich vielen anderen Möglichkeiten.

Björn Roth hat nun die Aufgabe, den nächsten Teilnehmer zu N.N. einzuladen.

Pressetext

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N.N. - sukzessives Ausstellungsprojekt

mit Maria Eichhorn, Silke Wagner, Dorothy Iannone, Björn Roth, n.n.