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Nina Fischers und Maroan el Sanis 2011 entstandene Arbeit IMPERO DEI SEGNI, die fotografisch verarbeitete Inszenierung einer temporären Intervention mit Aktivisten im leeren Palazzo dei Congressi in Rom, zeigt die demonstrative Aneignung eines Ortes der Macht-Demonstration. Die Intervention der Künstler bedient sich dabei verschiedener Formen non-verbaler Kommunikation, wie Handzeichen, Körper- und Gebärdensprache, die dem Kommunikations- und Handlungsrepertoire von Aktivisten entlehnt ist, um sich den Ort durch diese kommunikative Aktion wieder anzueignen und um die Identität der Stadt in der sie leben, neu zu verhandeln.

Die Arbeit IMPERO DEI SEGNI vereinigt somit zwei Themenkomplexe zeitgenössischer Kunst: zum einen den Diskurs um Aneignung und Kunst im öffentlichen Raum, zum anderen künstlerische Intervention in das Politische. Das Werk greift damit essentielle Fragen der intervenierenden Kunst auf, wie sie bereits von Situationisten und anderen ephemeren, situationsbezogenen Performancekünsten aufgerufen wurden: Wie kann künstlerische Kritik in die Sphären des Politischen wirken? Das Projekt verweilt nicht bei der ästhetischen Verhandlung dieser Gegenstände, sondern bietet mit der Arbeit eine konkrete Handlungsanweisung an. Das Werk kann im positivsten Sinne als bildende Kunst verstanden werden und fordert geradezu zum eigenen Handeln, zur Kunst des Handelns auf.

In seiner Intention ist das in den 1930ern erbaute Kongressgebäude Palazzo dei Congressi in Mussolinis monumentaler und imperialer Vision eines „Dritten Roms“ ein Ort für die Kunst der Macht, der kunstvollen Inszenierung der Herrschaft. Maßstab war hier nicht mehr der Mensch, sondern der historische Bezug. Der hier inszenierte Akt der menschlichen Artikulierung des eigenen, freien Willens bricht mit der in marmorglänzendem Stein gemeißelten Bestimmung der glorreichen Repräsentation und stellt dem so die Macht der Kunst entgegen. Die künstlerische Intervention konterkariert hier auf radikalste Weise die symbolische Wertsphäre einer überhöhten Herrschaftsarchitektur und Staatssymbolik und bricht diese mit der Demonstration als Entfaltung des eigenen Willens. Gleichzeitig ist der historisch aufgeladene Ort für den Betrachter ein anonymer Nicht-Ort. Die architektonische Ästhetik tritt zu Gunsten des sich vollziehenden Aktes, der Intervention von Fischer und el Sani, zurück, so dass auch der inszenierte Protest hier seine Bühne findet. Der Ort des Aufstandes bleibt abstrakt und unterliegt keinerlei geografischen Begrenzungen. Im Gegenteil, der Protest ist ein potentiell ubiquitäres Phänomen. Aufstand, Protest, Widerwort und Demonstration sind überall.

Nichts ist vergänglicher als politische Inhalte in optischer Form, kaum etwas wiederum in seiner historischen Wirkung so mächtig wie das Widerwort. Mit dem ikonographierten Universalismus des politischen Aktes "Protest" wird der prekäre Balanceakt der politischen Kunst zwischen gesellschaftspolitischer Aktualität und Überzeitlichkeit vollzogen. Durch den Verzicht, konkrete politische Inhalte ästhetisch zu vermitteln, indes den Akt des Protestes an sich in den Vordergrund zu stellen, wird die Gefahr der Verbandelung mit politischen Doktrinen, die Funktionalisierung in der Beziehung zwischen Kunst und Herrschaft umgangen. Die Fotografien Fischers und el Sanis stellen sich daher bewusst nicht in den Dienst der revolutionären Agitation. Präsentiert wird nur der blanke Prozess des evozierten Konfliktes und lässt somit die Für- oder Widerrede offen. Die Reduziertheit öffnet den Rezeptionsraum für eigene politische Konnotationen.

In seiner klaren Dramaturgie liest sich die Fotoreihe wie ein Ablaufplan des Protests, gar des Aufstands. Unabhängig vom Anlass, der erste Schritt zur öffentlichen, politischen Äußerung ist immer ein privater, ein einsamer Entschluss. Erst dann tritt das Kollektiv als geschlossene Entität in Erscheinung. Mögen die Forderungen bei Aufständen, Protesten und Demonstrationen noch so unterschiedlich sein, die hier gezeigten non-verbalen Zeichen der Einigkeit und der tiefen Überzeugung für das ‘Richtige’ einzustehen, zeigen gerade in den letzten großen Protesten ihre universale Symbolik. So schließt Fischers und el Sanis Dramaturgie des Aufstandes mit dem in Gebärdensprache symbolisierten Wort "Manifesto". Welchem Manifest, welcher Idee, welcher Überzeugung, wofür, wogegen man sich verschreibt, bleibt offen. Vorrang hat der Wille zum und das Wissen über das Handeln!

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Nina Fischer / Maroan el Sani