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Vom 27. April bis 19. August 2007 zeigt das Kunsthaus Zürich Werke des holländischen Landschaftsmalers Nicolaes Berchem (1622-1683). Es ist die erste Retrospektive des neben Jacob van Ruisdael bedeutendsten Landschaftsmalers in der Blütezeit Hollands. 45 Gemälde, ein Dutzend Zeichnungen und zwanzig Radierungen veranschaulichen ein Lebenswerk, in dessen Zentrum die südlich arkadische Landschaft steht, die er selber nie gesehen hat. Berchems Werk umfasst zudem religiöse, mythologische und allegorische Darstellungen, mediterrane Häfen, Winter- und Nachtbilder. Seine brillant phantastischen Figurengruppen gehören zu den wichtigsten Vorstufen der irrealen Gesellschaftsspiele des Rokokos.

Vor zwei Jahren zeigte das Kunsthaus Zürich die erste Ausstellung von Pieter Claesz, der die Stilleben-Malerei massgeblich prägte. Nicolaes Berchem war der Sohn von Pieter Claesz und hat den Pinsel ebenso meisterhaft geführt wie sein Vater. Doch statt die geheime Geometrie von wenigen, sorgfältig gruppierten Weingläsern, Silberbechern, Zinntellern und ihre Reflexe zu erforschen, hat Berchem im dunstig wolkenverhängten Holland eine ferne, nie gesehene Ideallandschaft imaginiert: heitere blaue Himmel, golden strahlende Sonne, eine Natur, die keiner Bearbeitung bedarf und den frei umherziehenden Hirten und Herden das Nötige spendet. Wie konnte Berchem, der Südeuropa nie gesehen hat, damit erfolgreich sein?

VOM ALTEN TESTAMENT ZUR WELTLICHEN IDYLLE Vorstellungskraft allein reicht nicht aus, um Gemälde zu schaffen, die den Betrachter in südliche Lande entrücken. Zunächst muss ein solches Phantasieland im kulturellen Horizont einer Epoche existieren. Vertrauter als das Arkadien der antiken und zeitgenössischen Poeten war den Holländern die Hirtenwelt des Alten Testaments. Berchem lernte, ausdrucksvolle Figurengruppen zu gestalten: und was er in seinen religiösen und mythologischen Gemälden einsetzte, brachte er auch in die Staffage der Landschaften: Hirten und Reisende beleben Hügel und Auen und ziehen den Betrachter in ihr menschenfreundliches Universum. Ebenso lebendig komponiert Berchem die Tiere: offensichtlich kannte er die Werke Pieter van Laers, des Begründers der römisch-niederländischen Genremalerei, der in den Jahren von Berchems Ausbildung nach Haarlem zurückkehrte. Dessen Grafik bildete den Ausgangspunkt von Berchems eigenen Radierungen, die er ab 1644 schuf und die bald zu den berühmtesten und bis ins 19. Jahrhundert am meisten benutzten Darstellungen von Vieh avancierten.

LERNEN VON DEN KOLLEGEN Berchem ist ein Meister im Aneignen und Steigern von traditionellen Elementen und Erfindungen von Maler-Kollegen. Als er begann, hatte die erste Generation der holländischen Landschaftsmaler die tonale Vereinheitlichung des Raumes in schlichten, natürlich wirkenden Diagonalkompositionen erreicht. Doch diese flüssig-rasch gemalten Flussufer und Lichtungen hatten ihre schwebende Stimmung durch den Verzicht auf klare Farben, Sonnenlicht und plastische Präsenz erkauft. Berchem, der selbst nie in Italien war, lernte die wärmere Atmosphäre und dichtere malerische Behandlung kennen, wie sie kurz zuvor Claude Lorrain und seine Kollegen in Rom entwickelt hatten. Die panoramahaften weiten Blicke über die Campagna in den eigenen Werken verdankt er dem Malerkollegen Jan Asselijn, der 1647 aus Europas Süden nach Amsterdam kam. Gleichzeitig befreundet er sich mit Jacob van Ruisdael, in dessen Landschaften er gelegentlich Staffagefiguren malte.

VORLÄUFER DES ROKOKOS: HAFENBILDER UND HÖFISCHER EXZESS Am extremsten entfaltete sich Berchems Phantasie und die Kühnheit seiner Gestaltungskraft in den späten Hafenbildern. Mit ihnen knüpft er an Jan Baptist Weenix’ radikale Neuformulierung des Themas an. Es sind reine Phantasiekompositionen, sogenannte Capricci, in denen märchenhafte Orientalen, theatralisch aufgemachte Spielleute, Damen und Kavaliere im letzten modischen Schrei sich vor italienisch mediterraner Kulisse ein höchst unwahrscheinliches Stelldichein geben. Das Traumland Arkadien wird in einen moderneren, aktuelleren Aggregatszustand transformiert. Damit lieferte Berchem eine der wichtigsten Vorstufen für die irrealen Gesellschaftsspiele des französischen Rokokos, die träumerischen Fêtes-galantes Watteaus und die sinnlicheren Tête-à-têtes von François Boucher.

ENDE DER BLÜTEZEIT DER HOLLÄNDISCHEN MALEREI Diese von Berchem glatt und schönfarbig durchgemalten, mit edlen Dingen und klassizistischen Architekturen gezierten Gemälde bilden den Auftakt zur letzten Phase der holländischen Malerei in ihrer Blütezeit, die sich vom realistischen Abbilden dem idealistischen Erfinden zuwandte. Doch bei ihm lebt die Malerei noch in jedem frischen Pinselzug, in der kraftvoll akzentuierten Lichtführung und vor allem in der bruchlos dichten Stimmung, die die Werke seiner Generation zu einem der Höhepunkte der Kunstgeschichte macht und die sich nach seinem Tode bald verliert.

AUSSTELLUNG UND PUBLIKATION Die Ausstellung wird in den historischen Sammlungsräumen präsentiert und von Kunsthaus-Konservator Christian Klemm betreut. Sie entstand in Zusammenarbeit mit dem Frans Hals Museum in Haarlem und wurde dort von Pieter Biesboer, dem Leiter der Abteilung Alter Meister und einem der besten Kenner der holländischen Malerei des 17. Jahrhunderts konzipiert. Anschliessend wird sie in dem ebenfalls mitwirkenden Staatlichen Museum Schwerin gezeigt, wo sie vom 1. September bis zum 2. Dezember 2007 zu sehen sein wird. Der Katalog (176 Seiten, 150 Abbildungen) ist im Kunsthaus-Shop oder auf Bestellung erhältlich.

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Nicolaes Berchem
Im Licht Italiens

Stationen:
16.12.06 - 16.04.07 Frans Hals Museum, Haarlem
27.04.07 - 19.08.07 Kunsthaus Zürich
01.09.07 - 03.12.07 Staatliches Museum Schwerin