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DIE SCHIRN ZEIGT EINE AUSSTELLUNG ZUM THEMA AUSEINANDERSETZUNG MIT DEM NICHTS IN DER BILDENDEN KUNST SEIT DEN SECHZIGER JAHREN Stille, Leere, Schweigen – in der heutigen Bildergesellschaft gewinnt die Pause, die Lücke, die Auslassung an Bedeutung. Die Avantgardekünstler der 1960er und 1970er Jahre wie John Baldessari oder Art & Language reagieren mit gesteigerter Skepsis und Verweigerungsstrategien auf die Abbildbarkeit einer Wirklichkeit, die in ihrer Komplexität immer ungreifbarer wird. Den täglichen Mengen visueller Information antwortet die Kunst mit der Entleerung des Bildes. Heute transformieren Postminimalisten und Neokonzeptualisten wie Joëlle Tuerlinckx, Spencer Finch oder Martin Creed die Erfahrung von Leere in poetischer bis ironischer Weise in Installationen, Bildern oder Skulpturen. Die Zurückgenommenheit der Effekte und Sensationen erzeugt eine besondere Aufmerksamkeit gegenüber Dingen und Phänomenen, die auf den ersten Blick nicht sichtbar sind. So enthüllt der Blick ins Nichts das Periphere. Das Ephemere und das Latente eröffnen sich. Was bleibt, ist ein vielfältiges, schillerndes Nichts.

Max Hollein, Direktor der Schirn: „Die Ausstellung ‚Nichts‘ ist ein bewusster Drahtseilakt, der den erwartungsvollen Ausstellungsbesuchern einiges an Entgegenkommen abverlangen wird. Sie müssen sich einlassen auf die Auslassung, die Pause, auf ein Moment konzentrierter Reflexion. Angesichts der überbordenden Bildfülle unserer Gesellschaft kommt eben diesem Erfahrungsmoment aber auch kathartische Wirkung zu. An die Stelle der tagtäglichen Reizüberflutung tritt die punktuelle Sensibilisierung, die Schärfung einzelner Sinnesorgane für ganz konkrete, Konzentration und Stille abverlangende, ja Schweigen zulassende Werke.“

Dr. Martina Weinhart, Kuratorin der Ausstellung: „Dem Illusionismus der Massenmedien stehen heute in der aktuellen Kunst Versuche entgegen, sich der Wahrnehmung zu versichern. Der Blick in die Leere, der Blick ins Nichts, enthüllt in einem Sehen, wo nichts ist und nichts geschieht, eine Vielfalt hinter dem Nichts und entpuppt sich als Einwand gegen die augenscheinliche Bedeutung. Im Flüchtigen, dem Spiel mit der leeren Fläche, der Beschränkung entstehen Werke jenseits des Offensichtlichen mittels Reduktion, Einfachheit und Transparenz.“

Seit der Moderne, spätestens jedoch seit der Geburt der Konzeptkunst in den 1960er Jahren haben sich Künstler intensiv mit den Ideen des Nichts auseinander gesetzt. Fragt man nach dem Nichts in der Moderne, gelangt man zunächst sehr schnell zum Nichtdargestellten – zur Abstraktion als einer bildlichen Verweigerung in der nichtgegenständlichen Kunst. Väter dieser Haltung gibt es viele: Da ist zuallererst Kasimir Malewitsch mit seinem Schwarzen Quadrat als Mythos der Moderne und „Keim aller Möglichkeiten“ zugleich, das 1915 den Nullpunkt der Malerei markiert. Mit diesem monochromen Viereck in seiner Reduktion auf reine Farbe und pure Form scheint die Entleerung des Bildes vollkommen. Letzte Bilder werden seitdem viele gemacht. Sie entstehen bei Ad Reinhardt, der von 1960 bis zu seinem Tod – ausschließlich und geradezu obsessiv – gleichförmige, kaum unterscheidbare schwarze Bilder, „ultimate paintings“, malt. Immer wieder kolportiert wird das geflügelte Wort von Harold Rosenberg: „Newman schloss die Tür, Rothko zog den Rollladen herunter, und Reinhardt löschte das Licht.“

Auf die Idee der Negation folgt in den späten 1960er Jahren die Negation der Negation. Der Reichtum des Theorierahmens der Konzeptkünstler dieser Zeit – mit ihrem analytischen Blick auf die Koordinaten des Kunstwerks, der Kunstproduktion und des Kunstbetriebs sowie mit ihrer schier unermüdlichen Befragung von Materialität und Raum – wirkt in seiner Komplexität bis in die jüngste Generation der zeitgenössischen Kunst und ist heute noch in den unterschiedlichsten Strategien abzulesen. So schaffen Postminimalisten und Neokonzeptualisten poetische Installationen und Bilder einer radikal reduzierten Repräsentation, die häufig mit einer feinen Ironie verbunden sind. Die Zurückgenommenheit der Effekte und Sensationen erzeugt eine besondere Aufmerksamkeit gegenüber Dingen und Phänomenen, die auf den ersten Blick nicht sichtbar sind.

Botschaften wie diese vernimmt man häufig zu dieser Zeit. So bedient sich Joseph Kosuth ebenso wie John Baldessari in umfangreichen Serien der Sprache, um die Bedingungen der Kunst zu befragen. Baldessaris großformatige Leinwände stellen hintersinnige Reflexionen über das Bild und dessen Bezüge, seine Verfahrensweisen, Haltungen und Meinungen über Präsentation und Produktion dar. Everything is purged from this painting but art, no ideas have entered this work behauptet eine der Tafeln. Auf diese Weise entlässt Baldessari das Bild nicht allein aus einer konventionellen künstlerischen Artikulation – nicht er, sondern ein zur Kunstlosigkeit angehaltener Schildermaler fertigt diese Werke; er untergräbt darüber hinaus den Anspruch des Konzeptuellen.

Geht man davon aus, dass in der Konzeptkunst die künstlerische Artikulation vornehmlich aus der Idee besteht, bleibt nicht viel, wenn diese qua Sprachspiel wiederum entzogen wird. Dieser ironische Konzeptualismus hat die nachhaltigsten Folgen für die zeitgenössische Kunst. Martin Creed verdankt dieser Haltung einen Großteil seiner Strategie. Sie mündet in die lakonische Zurückhaltung einer Arbeit wie Work No. 401 (2005), die allein aus einer kleinen Lautsprecherbox mit Soundschleife besteht, auf der nur ein lapidares „Pffft“ zu hören ist. Das Geräusch stammt vom Künstler selbst, der sich in akustischer Verweigerung übt. Man denkt an ein achselzuckendes „Was kümmert’s mich?“. Ähnlich wie Baldessari scheint Creed mit dieser Arbeit einem unaufwändigen Minimalismus der Mittel zu folgen, womit er sich, wie Martin Kippenberger, Ceal Floyer oder Tom Friedman, nahtlos in eine ganze Reihe von Positionen in der zeitgenössischen Kunst einreiht. Friedman zeigt mit 1,000 Hours of Staring (1992–1997) ein Blatt Papier, das der Künstler tausend Stunden lang angestarrt hat, und markiert damit einen künstlerischen Prozess, der jenseits eines Konzepts der Augenblicklichkeit des genialischen Blitzes und der göttlichen Inspiration angesiedelt ist. Die Arbeit spiegelt die Mühseligkeit eines Beharrens, das im Nichts mündet. Wenn Friedman gefragt wird, ob er denn tatsächlich tausend Stunden auf das Papier gestarrt habe, und dann berichtet, dass er das wie eine Meditation betrieben habe, und man darüber hinaus erfährt, dass er sich die Zeiten auf einem Plan notierte, ist das schon fast zu explizit und konkret, die eigene Vorstellung beschneidend. Am Ende entpuppt sich das weiße Blatt Papier als Motor einer Reflexion über die Zeit. Diese jedoch delegiert der Künstler nahezu vollständig an den Betrachter. Nichts ist nur da, wo er nichts sieht.

Nur Sehen ist nicht genug: Während sich die jüngere Kunstgeschichte in weiten Teilen vom Sichtbaren verabschiedet, gehen Duchamps Erben in ihrem nihilistischen Impuls häufig einen Schritt weiter und lassen die Kunst als Objekt hinter sich. In diesem Sinn operiert Karin Sander mit ihrer Arbeit Zeigen (2006), die den Besucher mit dem bereits vorhandenen leeren Raum oder vielmehr den leeren Wänden der Galerie konfrontiert, die nur die zur Bezeichnung der ausgestellten Werke üblichen Labels tragen. Die Werke selbst jedoch fehlen oder sind lediglich nicht zu sehen. Ihre Präsenz wird durch einen anderen Sinn erfahrbar. Für die Arbeit Zeigen hat die Künstlerin eine ganze Reihe von Kollegen wie Sylvie Fleury, Hamish Fulton, Mona Hatoum oder Lawrence Weiner gebeten, eine eigene Arbeit auszuwählen und akustisch zu beschreiben. Auf diese Weise wird der Betrachter vom Augensinn befreit und auf eine alternative Wahrnehmungsebene verwiesen, die ihn vom konkreten, offensichtlichen, gewohnten und gelernten an ein imaginatives, vom Akustischen dominiertes ästhetisches Erleben heranführt. Ein Nichts kann in diesem Sinne nicht existieren – was immer bleibt, ist die Imagination, die Vorstellungskraft des Betrachters.

KÜNSTLERLISTE: Art & Language, John Baldessari, Robert Barry, Joseph Beuys, Stefan Brüggemann, James Lee Byars, Martin Creed, Spencer Finch, Ceal Floyer, Tom Friedman, Jeppe Hein, Martin Kippenberger, Joseph Kosuth, Imi Knoebel, Christine Kozlov, Nam June Paik, Karin Sander, Joëlle Tuerlinckx, Luc Tuymans, Remy Zaugg.

KATALOG: „Nichts“. Hg. von Martina Weinhart und Max Hollein. Mit einem Vorwort von Max Hollein und Essays von Mieke Bal, Ulrike Gehring und Martina Weinhart. Deutsch/englisch, 200 Seiten, 49 Abbildungen, Hatje Cantz Verlag, Ostfildern, ISBN-10: 3-7757-1816-8, ISBN-13: 978-3-7757-1816-5.

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NICHTS
Kuratorin: Martina Weinhart

mit Art & Language, John Baldessari, Robert Barry, Joseph Beuys, Stefan Brüggemann, James Lee Byars, Martin Creed, Spencer Finch, Ceal Floyer, Tom Friedman, Jeppe Hein, Martin Kippenberger, Joseph Kosuth, Imi Knoebel, Christine Kozlov, Nam June Paik, Karin Sander, Joëlle Tuerlinckx, Luc Tuymans, Rémy Zaugg