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Warum beharren die «Mächtigen» bzw. die einheimische Bevölkerung jedes europäischen Landes auf der stereotypen Interpretation des «Anderen» – der ImmigrantInnen? Warum steht dieses Verständnis der Ausländer auf der Kippe zu einer volkstümlichen Lesart? Wie könnte beispielsweise die Vorstellung der Mehrheit der KärntnerInnen von der tschetschenischen Minderheit aussehen, dieser kleinen Gruppe von 900 Menschen, die vor den Wirren des Krieges in ihrem Land geflüchtet sind? Greift man auf die folkloristische Interpretation zurück, wie könnte diese unbekannte und fremde Gruppe von Menschen von der Mehrheit der Kärntner BürgerInnen gesehen werden? Vermutlich gestatten sie es sich, privat und intuitiv, sich die Tschetschenen als Brauträuber oder Leute mit langen Schnurbärten und zusammengewachsenen Augenbrauen vorzustellen, was unvermeidlich in Angst resultiert (da die Fremden ihnen möglicherweise die Töchter rauben, auf ihrem Territorium Fußballspiele gewinnen oder vielleicht ihre Stellung in der Gesellschaft einnehmen). Als Konsequenz dieser Missbilligung und des Mangels an Akzeptanz sind die Ansichten und Handlungen der ImmigrantInnen völlig eingeengt durch die Position, die sie angeblich einnehmen müssen, die Position der Immigranten, der Sprachlosen und Blinden, derjenigen, die völlig anders sind. Die junge Generation von TschetschenInnen in Österreich spricht miteinander Deutsch, nicht Tschetschenisch. Diese jungen Buben und Mädchen sehen ihr Heimatland Tschetschenien durch die «Agenten» der Vergangenheit und der Gegenwart, aufgezeichnete Fotoreportagen über das Leiden während des Krieges; sie sehen die traditionellen Tänze auf Youtube, betrachten pixelige Porträts ihrer Vorfahren. Sie tanzen zu Musik, die ein Amalgam aus traditioneller tschetschenischer Musik und Techno Sound darstellt; sie leben in einer Welt der «cut and paste» Kultur, der Verschmelzungen, in der ein unauffindbares und «freies» Verständnis des Alten mit dem Neuen zusammenfließt. In wie weit könnten sie nur Tschetschenen sein, in anderen Worten, völlig fremd? 2007 sind 27 Tschetschenen über die Kärntner Grenze deportiert worden. Die ausgewiesenen Individuen werden als Repräsentanten einer Nation (in diesem Fall der tschetschenischen) betrachtet, der sie nicht mehr wirklich angehören. Im Akt der Vertreibung aus Kärnten wurden die tschetschenischen MigrantInnen ihrer eigenen, neu begründeten oder «mutierten» Identität entledigt. Stattdessen werden sie einzig als diejenigen gesehen, die «wild», grimmig, unbekannt, «uns» unähnlich sind. Durch diesen vorsätzlichen Akt, der den Prozess individueller Transformation der «einheimischen Ausländer» und ihrer potenziellen Assimilation/Integration in die neue Gesellschaft negiert, werden sie zu einem Rückschritt in den Zustand des bloßen Anders-Seins gezwungen. Leider ist das die einzige Weise, in der die «Ignoranten» sie sehen wollen: als anders als «wir» und daher nicht als Gleichwertige. Diese Ausstellung bietet einen Überblick über die Vorurteile, die typischerweise in der Beziehung zwischen MigrantInnen und der einheimischen Bevölkerung einer Gesellschaft auftreten, um damit den Kreislauf der Vorurteile zu unterbrechen, an dem wir alle gleichermaßen beteiligt sind. Dieses Projekt möchte die MigrantInnen auf das hinweisen, was sie möglicherweise selbst zu den stereotypen und etablierten Erwartungen der Mehrheit in ihrem neuen Aufenthaltsland beitragen. Vor allem zielt dieses Ausstellungsprojekt auf die Ermunterung des migrantischen Selbstverständnisses und möchte darüber eine Revision ihrer Stellung und Rolle in dieser Gesellschaft anregen und stärken. Nada Prlja

Nada Prlja wurde 1971 in Sarajevo geboren, sie zog 1982 nach Skopje und 1999 nach London. Sie graduierte an der National School of Fine Art und der Academy of Fine Arts, Skopje, und erhielt ein MPhil (Master of Philosophy) l research degree des Royal College of Arts, London. Sie lebt und arbeitet in London. Nada Prlja ist eine Künstlerin, deren Arbeit sich mit komplexen Situationen von Ungleichheit und Ungerechtigkeit in Gesellschaften beschäftigt – von politischen bis zu ökonomischen Problemen. Ihre Projekte, für die sie unterschiedliche Medien einsetzt, sind vielschichtig und «orts-, situations- oder bedingungsspezifisch».

Einzelausstellungen: Kortil Gallery, Rijeka, 2010; MC Gallery, Zagreb, 2009; The Museum of City of Ljubljana – Vzigalica, Ljubljana, 2009; Museum of Contemporary Art, Skopje, 2008; National Gallery of Macedonia, Skopje, 2007.

Gruppenausstellungen: Manifesta 8, Murcia, 2010; David Roberts Art Foundation, London, 2009; Skuc Gallery/ Ljubljana Biennale, Ljubljana, 2009; Tina B – Prague Contemporary Art Festival, Prag, 2008; Hong-Gah National Museum, Taipei, 2008; Vera List Center for Art and Politics, New School, New York, 2008; Zacheta National Gallery of Art, Warschau, 2008.