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verlängert bis 30.05.21

MONICA BONVICINI. LOVER'S MATERIAL
(10. OKTOBER 2020 - 17. JANUAR 2021)

Die Kunsthalle Bielefeld freut sich, mit der Einzelausstellung «LOVER’S MATERIAL» von Monica Bonvicini die erste große Ausstellung von Christina Végh in dem von Philip Johnson gebauten und 1968 eröffneten Museumsbau zu präsentieren.

«LOVER’S MATERIAL» erstreckt sich über das gesamte erste Obergeschoss der Kunsthalle und umfasst die neuesten Arbeiten der Künstlerin, von denen einige speziell für die Ausstellung in Bielefeld geschaffen wurden.

Der Titel der Ausstellung bezieht sich auf die Biographie Philip Johnsons, den Architekten der Kunsthalle Bielefeld, und dabei im Besonderen auf die Beziehung Johnsons zu seinem damaligen Partner Jon Stroup. Franz Schulze, der Autor der Biographie, beschreibt Stroup als «unfehlbar zugetan, angenehm passiv und ewig dankbar für die materielle Großzügigkeit seines Liebhabers.» Diese nuancierte Beschreibung des unausgewogenen Machtgefüges zwischen den beiden Liebenden hat Bonvicini dazu animiert, in ihren Arbeiten für die Ausstellung zahlreiche private und öffentliche, politische und wirtschaftliche Abhängigkeiten, sowohl innerhalb als auch außerhalb von Ausstellungsräumen, zu untersuchen. Mit pointierter Kritik und dem ihr eigenen Humor reflektiert sie aktuelle Themen, die im Jahr 2020 zentral geworden sind: Die Räume, in denen wir leben, und die wir uns angeeignet haben, und die Fürsorge denen gegenüber, sowohl privat wie gesamtgesellschaftlich, mit denen wir diese Räume teilen.

Die Ausstellungsräume präsentieren eine Vielzahl an Narrativen und Choreographien aus Bildern, skulpturalen Werken und architektonischen Interventionen. Sie sind in Paaren und größeren Kompositionen arrangiert, als ob jeder Raum ein anderes Kapitel einer übergeordneten Geschichte darstellt. Die Gesamtheit der Ausstellung wird durch Sounds und Licht zusammengehalten, die durch die eher starre Architektur des modernistischen Ausstellungsraumes wandern. Dadurch wird zugleich der Effekt einer Annäherung an die und Détournemet von der Narration erzeugt.

Im Hauptraum der Ausstellung bedeckt Monica Bonvicini mit der Arbeit «Breach of Decor», einer großformatigen Komposition aus Teppichen, fast den gesamten Fußboden. Die Arbeit versammelt Bilder einer photographischen Serie, die von der Künstlerin über einen langen Zeitraum aufgenommen wurden. Die Fotografien verdoppeln den Blickpunkt der Betrachter*innen von oben. Sie zeigen Fragmente unterschiedlicher Bodenbeläge mit darauf liegenden Kleidungsstücken. Beim Laufen über die Arbeit erkunden die Besucherinnen Szenen, die aus dem eigenen Alltag bekannt erscheinen. Das Publikum findet sich in einem ambivalenten Schwindel von visuellen Perspektiven und ironischer Subversion wieder.

Die Wandinstallation «Never Tire» im angrenzenden Raum besteht aus Malereien, die Monica Bonvicini während der Zeit des Lockdowns geschaffen hat. Die Installation kreiert eine nebulöse schwarze, dunkelgraue und pinkfarbene Landschaft, aus der Maschendraht, Ketten und Textzeilen hervortreten. Die Textzeilen heben sich leuchtend vom undefinierten Hintergrund ab. Es handelt sich um Zitate aus Schriften von Roland Barthes, Judith Butler, Natalie Diaz, Soraya Chemaly und Andrea Dworkin. Die Textpassagen sind in sich verdreht, gekürzt und verändert und erlangen so eine neue, poetische Dimension: «Weep Me Crude», «Power Joy Humor & Resistance», «I Never Tire». Die Papierarbeiten sind auf vertikalen Aluminiumpanelen mit sichtbaren Metallrändern befestigt und erinnern dadurch an politische Protestschilder, in denen sich die Vielstimmigkeit von Forderungen, Aussagen und Inhalten manifestiert. Die unmittelbaren Assoziationen, die durch das Werk aufgerufen werden, sind zugleich persönlich, politisch und aktuell.

Weitere neue Arbeiten in der Ausstellung sind eine Videoarbeit und eine ortsspezifische Installation. Das Video «I See a White Building, Pink and Blue» ist eine abstrakte Verbildlichung der Fahrt der Künstlerin zum Atelier im Frühling während des Lockdowns. Die abstrakte, laute Sequenz voller Lichtblitze erfasst die Betrachterinnen körperlich und führt beinahe zu halluzinatorischen Effekten. Die ortsspezifische Installation «Be Your Mirror» besteht aus einer Aluminiumwand, die zum Teil zu einer spiegelnden Oberfläche poliert wurde und die während der Laufzeit der Ausstellung durch Mitarbeiterinnen des Museums aktiviert wird. Die Aluminiumoberfläche wird jeden Tag poliert, um den Unterschied zwischen der klar spiegelnden und der matten Oberfläche zu erhalten. Die eine Fläche wirkt wie ein gleißender Spiegel, während die andere die Betrachter*innen mit einer geisterhaft verschwommenen Fläche konfrontiert. «Be Your Mirror» stellt auf metaphorischer Ebene die Idee des Reinigens in psychologischen und gesellschaftlichen Kontexten zur Diskussion.

Die ausgestellten Werke unterscheiden sich stark in ihrer Größe, kleinere skulpturale Interventionen verschmelzen fast mit dem Innern des Museums. Die Ausstellungsräume erfahren durch die Künstlerin eine Domestizierung und die klare, makellose Anmutung des Museums wird ästhetisch dekonstruiert durch verschiedene Objekte von ungewöhnlichem, nahezu abjekthaftem Dekor.

Auf diese Weise befragt «LOVER’S MATERIAL» die Räume des Komforts und der Isolation, an die wir uns in diesem Jahr gewöhnt haben. Die Aussagen, die die Künstlerin durch ihre Installationen eloquent kommuniziert, unterminieren die gegenwärtige gesellschaftliche Benommenheit gegenüber drängenden und oft schockierenden, globalen Ereignissen.

Monica Bonvicini (*1965, lebt in Berlin) wurde international mit renommierten Preisen ausgezeichnet. Unter anderem gewann sie den Goldenen Löwen der Venedig Biennale (1999), den Preis der Nationalgalerie, Berlin (2005) und in jüngster Zeit den Oskar-Kokoschka- Preis (2020). Ihre Werke wurden vielfach auf der Venedig- und Berlin- Biennale gezeigt und werden in diesem Herbst auf der Quadriennale in Rom, der Busan Biennale und im Kunstmuseum Stuttgart zu sehen sein. Neben ihren zahlreichen nationalen und internationalen Gruppenausstellungsbeteiligungen zeigte sie jüngst umfassend Werke im BALTIC Centre for Contemporary Art (2016), auf der 15ten Istanbul Biennale (2017), im Belvedere 21, Wien, und im OGR (Officine Grandi Riparazioni), Turin (2019). Eine Einzelausstellung im Kunst Museum Winterthur wird im Januar 2021 eröffnen.