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Eröffnung am 16.02., 19 bis 22 Uhr

Die Berliner Künstlerin Mirjam Thomann greift mit vielen ihrer Arbeiten vorgefundene Elemente auf, denen innerhalb der Institution Kunst eine spezifische Bedeutung zukommt. Durch die Neuverortung von und durch subtile Veränderungen an beispielsweise Sockeln, Bodenabsperrungen und Stellwänden wird auf ästhetischer und referenzieller Ebene eine Verstrickung zwischen Objekt, Kontext und Betrachter erzeugt. Thomanns besondere Aufmerksamkeit gilt dabei architektonischen Zwischenräumen: Konventionellerweise eher unbeachtet bleibende Räume – vielleicht sollte man eher von klassischen „Schwellen“ sprechen – wie Durch-, Ein- und Ausgänge werden mithilfe flexibler Objekte ins Zentrum der Beobachtung gerückt. Dass dabei die räumlichen und strukturellen Bedingungen/Möglichkeiten des Ausstellens und der Kunstproduktion akzentuiert und gleichfalls in Frage gestellt werden, ergibt sich im Ausstellungszusammenhang gewissermaßen im Übertreten oben genannter Schwellen zwischen Innen und Außen, Oben und Unten, Hier und Dort etc.. Mit der Übertretung, der Grenzüberschreitung, geht stets auch ein Aufbrechen von gängigen Hierarchien einher. Solchermaßen adressieren Thomanns Arbeiten die repräsentativen Funktionen von (Ausstellungs-) Räumen ebenso wie sie Blick- und Wahrnehmungskonzeptionen untersuchen.

Die Vorstellung einer als linear zu betrachtenden Grenzlinie an oben genannten Übergängen wird dabei – wie der Begriff der Schwelle schon suggeriert – von Thomann abgelehnt. Zwischen Innen und Außen befindet sich ein Dazwischen – eben jene Übergangssituation -, das seinerseits ein gewöhnlich unterdrücktes, wenig beachtetes Potential für das Unkalkulierbare in sich birgt. So wenden sich Thomanns durchaus postminimalistisch zu nennende Arbeiten auch gegen Hermetik und die traditionelle Vorstellung von Ganzheitlichkeit und einer übergeordneten, privilegierten Perspektive. Stattdessen machen sie Platz für Ambivalenz und Differenz. Letzterer Begriff kann dabei durchaus im Sinne der dekonstruktivistischen Theorie gedeutet werden, d.h. der mithin normative Charakter, den Interpretationen in der Rezeptionsgeschichte in sich tragen, erfährt eine harte Kritik: Sowohl auf der formalen als auch auf der inhaltlichen Ebene wird der Zwang zum Nachweis von Geschlossenheit, Zusammenhang und Einheit verabschiedet. Umgekehrt geht es darum, scheinbar fest gefügte Konstruktionen auf ihre Offenheit hin zu überprüfen, ihre „Konstruiertheit“ deutlich werden zu lassen und so auf das „Differente“, die Differenz im Sinne von Vielfalt, hinzuweisen. Auf diese Weise kann gewissermaßen das im Werk Ungesagte aufgespürt werden. Bedeutungen werden verschoben, Vieldeutigkeit, Spiel und Grenzübertretung fokussiert.

Trotz der weiterhin angenommenen Autonomität des Kunstwerks entfalten sich solche Bedeutungsverschiebungen in aller Konsequenz natürlich nicht von selbst, sondern sind auch auf den „Prozess der Erfahrung“ (W. Iser) des Rezipienten angewiesen. Das Werk konstituiert sich gerade erst im Akt der Anschauung und Auseinandersetzung. Wer nichts sehen will, wird nichts sehen. Alles ästhetische und inhaltliche Potential kann vollends erst mithilfe des Betrachters zum Tragen kommen. Dieser muss sich auf Spiel, Vielperspektivität und Mehrdeutigkeit einlassen und versuchen, nicht nach dem Offensichtlichen zu suchen, sondern Leerstellen und Möglichkeiten aufzuspüren. Der Betrachter ist somit fester Bestandteil des eingangs erwähnten Dreigestirns von Objekt, Kontext und Betrachter, ihm kommt die Rolle des Zeichensuchers und –deuters zu.

Thomanns erste Einzelausstellung wird die letzte Ausstellung in den Räumen an der Rothenbaumchaussee 73 sein. Im März 2008 - während der noch bis Ende des Monats laufenden Ausstellung in den alten Rothenbäumischen Räumen - wird die Durstewitz Sapre Galerie ihren Standort wechseln. (An einen, wie man wohl sagen darf, historisch aufgeladenen, in der Systemkritik versierten und für seine „fähige Atmosphäre“ (SoundS, 12/1979) bekannten Ort, dessen symbolischer Mehrwert als einer der ehemals ersten Punkläden Deutschlands der Galerie durchaus angenehm ist. Doch dazu zu gegebener Zeit mehr…) The System grows to meet requirements. Die jetzigen Galerieräume werden nach dem Umzug wieder ihrer vorherigen Bestimmung als Büroräume zugeführt. Somit werden Ausstellungsräume und Ausstellung doppelt miteinander verknüpft: Die Thematik der Schwelle/des Übergangs betrifft sowohl die einen als auch die andere, die Galerie selbst befindet sich in einem Zwischenraum zwischen Hier und Dort, während in einer weiteren Dopplung auch die Räume in der Konstellation Büro-Galerie-Büro ein Dazwischen markieren. Ihre (Re-) Präsentationsfunktion befindet sich quasi schon in der Auflösung.

In Anlehnung daran flieht Mirjam Thomanns Arbeit in der Durstewitz Sapre Galerie geradezu das Zentrum der Ereignisse. Mit einer aus verschiedenen Elementen bestehenden Installation, in deren Mittelpunkt ein industriell gefertigtes Objekt aus dem Bereich des Ausstellungsdesigns steht, wird in diesem Fall eine Zwischenzone sowohl im übertragenen als auch im buchstäblichen Sinn markiert. Das Ready-Made – eine typischer- und in diesem Fall bezeichnenderweise für Wanderausstellungen benutzte Ausstellungswand - wird als industriell gefertigtes Produkt mit einem manuellen, flexiblen Nachbau kontrastiert, der wiederum an einem Übergang befestigt ist, der während vergangener Ausstellungen stets verschlossen blieb. Dieser Nachbau stellt gewissermaßen das Zentrum der Ambivalenz dar: In der Bewegung erfahren Ausstellung, Ausstellungsräume und Ausstellungsbesucher (Abermals: Objekt-Kontext-Betrachter) einen ständigen Wahrnehmungs- und Perspektivenwechsel, ein Effekt, der über die schwarze Bodenbemalung noch verstärkt wird. Eigentlicher Ausstellungsraum ist der Flur der Galerie, dessen schwarze Markierung jedoch über die Übergänge zu den Galerieräumen und den Büroräumen im hinteren Teil hinausweist.

Was das Hinausweisen, das Hinüberlappen eines Bereiches in den anderen, betrifft, so spiegelt sich dieses auch in den im galerieeigenen Postkartenständer befindlichen Karten zur Ausstellung wieder. Der auf ihnen gedruckte Satz samt seiner Umkehrung korrespondiert wiederum mit der eigentlichen Einladung auf dem Briefpapier der Galerie. Beide Sätze, Titel der Ausstellung und der Postkarte, dienten ursprünglich Werbezwecken im Katalog eines Herstellers für Raumteiler und Stellwände.

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Mirjam Thomann
The System Grows to Meet Requirements