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Presse Mirjam Thomann

Ausgangspunkt für die Arbeiten der in Berlin lebenden Künstlerin Mirjam Thomann (*1978) ist die Beschäftigung mit den strukturellen, institutionellen und räumlichen Rahmenbedingungen des Ausstellens und Produzierens. Mit vielen ihrer Objekte und räumlichen Einbauten greift Thomann vorgefundene Elemente auf, denen innerhalb der Institution Kunst eine spezifische Bedeutung zukommt. Durch die Neuverortung und marginalen Veränderungen von beispielsweise Sockeln, Bodenabsperrungen und Stellwänden wird auf ästhetischer und referenzieller Ebene eine Verstrickung zwischen Objekt, Kontext und Betrachter erzeugt. Solchermaßen werden die repräsentativen Funktionen von (Ausstellungs-)Räumen ebenso wie Blick- und Wahrnehmungskonzeptionen untersucht. In ihrer ersten Einzelausstellung in der Galerie Christian Nagel nimmt Mirjam Thomann ein folkloristisches Handwerk auf, mit dem in Teilen Südamerikas traditionell in einem simplen, aber langwierigen Arbeitsprozeß Dekorationen hergestellt werden. Mit „Debüt“ (2008), einem ca. 40 m langen Vorhang aus aufgefädeltem Popcorn wird in der Galerie sowohl neuer Raum generiert, als auch die bestehende Architektur markiert. In mitten dieser Installation stehen drei Sockel, die, mit Scharnieren versehen, in unterschiedliche Positionen gebracht werden können und so zwischen ihrer ursprünglichen Funktion als Display und Raumteilern changieren. Einer der Sockel bleibt leer, auf dem zweiten liegt ein Stapel Einladungskarten, die die Abfotografie einer anderen, vorgefundenen Einladungskarte zeigen, auf dem dritten werden in Silber gegossene Maiskörner ausgestellt. Diese beim Herstellungsprozess übrig geblieben Körner werden in der Popcorn-Branche als „old maids“ bezeichnet – ein überflüssiger Rest, der hier durch die Übertragung in ein hochwertiges Material eine Veredelung erfährt. Dem in ausgedehnter Fülle installierten Popcorn steht die „ausgebliebene Explosion“ gegenüber, und öffnet so einen Raum, der zwischen Wirklichkeit und Potential verharrt.


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Corn Futures Notizen zu einer Ausstellung von Mirjam Thomann in der Galerie Christian Nagel, Köln, im August 2008 von Marina Vishmidt

Wenn die Rohstoffpreise explodieren, eine Spekulationsblase die durch die Kreditkrise verschuldeten Kursverluste korrigiert und dabei einen globalen Nahrungsmittelnotstand auslöst — auf den ein BBC-News-Beitrag mit dem Rat antwortet, die Isolation durch Armut mit der sozialen Aktivität des Gemüseanbaus zu bekämpfen —, sind Nahrungsmittel und Termingeschäfte unausweichlich in einer semantischen Kette aus Hunger, Finanzwesen und heißer Luft verbunden. Mit anspielungsreicher und spielerischer Klarheit lässt Mirjam Thomann in der Galerie Nagel die Spekulation wuchern, indem sie die fetischistischen

Räume brasilianischer Volksrituale mit der kommerziellen Galerie, Popcorn-Maschinen und Kunstmärkte, Pop und Minimalismus und die Künstlerin als erschwinglichen Snack miteinander verkuppelt. Festliche Phalangen von verwirklichtem Potential (aus Popcorn-Schnüren gefertigte Vorhänge) und opulent verpacktem Abfall (silberne Abgüsse von Körnern, die als limitierte Edition verkauft werden) werden dazu in Stellung gebracht. Das Phänomen des fiktiven Kapitals, das durch Investitionen in Kunst als letztem sicheren Hafen in stürmischen wirtschaftlichen Zeiten gewaschen wird, führt hier mit einer schrapnell-scharfen Allegorie, die das Kunstsystem als Popcorn-Maschine vorstellt, zum Sprung auf eine weitere schwindelerregende Sprosse. Während Georges Bataille in der „negativen Verausgabung“ ein Mittel sah, einen Strich durch die Kosten-Nutzen-Analysen puritanischer westlicher Wirtschaftsformen zu machen, und er auf die Nutzlosigkeit und den Abfall setzte, um eine nach dem Saldo ausgerichtete Gesellschaft zu überschreiten, ist hier sogar die Keuschheit „alter Jungfern“ (der Fachbegriff für Körner, die den Prozess des Aufpuffens unverändert überstanden haben) in obszönem Luxus gekleidet und markiert so eine verlorene Begegnung zwischen der Überflüssigkeit der „allgemeinen Wirtschaft“ und einer Welt, die lediglich die Zauberformel aussprechen kann, mit der Überflüssigkeit in Knappheit verwandelt wird. Gegen Potential ist ja nichts einzuwenden, solange es das Potential ist, konsumiert zu werden – dies ist es, was Händler von Kunst, Terminkontrakten und Popcorn einander zu sagen haben.

Indes nimmt Thomann auch das zweifelhafte Vermächtnis der Appropriation für zeitgenössische kritische und feministische Strategien aufs Korn, indem sie den Akt der Appropriation in vivo einfängt; die Einladungskarte zu ihrer ersten Einzelausstellung zeigt den Schatten ihrer Hand beim Refotografieren einer anderen Einladung eines Künstlers, „New Work“ zu betrachten. Diese mise-en-abyme wird um eine weitere Ebene aufgestockt, wenn ein Stapel dieser Einladungen auf einem verspiegelten Sockel ausgestellt wird, der die Hand des Besuchers bei der „Appropriation“ dieser Palette von Diebstählen und Geschenken gemeinsam mit allem, was sie umgibt, erfasst und so gleichermaßen die unerschöpfliche Differenz in den vielen kleinen Wiederholungen wie den Fetischismus der Geste reflektiert, in der jeder Lichtstrahl, der sich an dem minimalistischen Objekt bricht, der Ausruf „Kontext ist Inhalt“ verbreitet. Wenn die Anstrengungen der Generation von Bilddieben aus den 1980ern darauf abzielten, das Vor-Konsumierte gegen den leichten Konsum aufzubieten, um einen Spalt zu öffnen, durch den Verweigerung und Komplizenschaft ein neues Verhältnis eingehen konnten, so gab es auch die Gender-Dimension, dass appropriierte Bilder den Akt der Reifikation auf den Blick des Objekts zurück übertragen würden, die Künstlerin ihre eigene Eignung des Konsumiertwerdens vereitelte. Zusammen mit Thomanns Vorliebe für die verschwindende Geste, die vorhandene Elemente in einem Raum neu zusammensetzt, entsteht die Möglichkeit eines Affekts, der seine Intensität anhand der kritischen Distanz misst, die er einnimmt, einnimmt, einnimmt – und kollabieren lässt.

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Mirjam Thomann
New Works