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16.10.2022 – 22.01.2023
Eröffnung: 16.10.2022, 12–18 Uhr

Mikołaj Sobczak. Leibeigene

In seinen Malereien, Filmen und Performances wie auch in seinen Zeichnungen und Keramiken beschäftigt sich Mikołaj Sobczak mit der Darstellung geschichtlicher Ereignisse. Drei Jahre nach seinem Abschluss an der Kunstakademie Münster zeigt die Kunsthalle Münster mit Leibeigene die erste institutionelle Einzelausstellung des Künstlers außerhalb Polens und präsentiert die unterschiedlichen Facetten seines künstlerischen Schaffens.

In der Kunsthalle werden mehrere Werkgruppen des Künstlers, die in den vergangenen Jahren entstanden sind, zu sehen sein. Neben der Serie der Metamorphosen (2021) – einer Reihe von Cut Outs, die frei im Raum stehen – wird sein Film Upior (2022) gezeigt, umgeben von mehreren Malereien, die Bezug auf die polnisch-ukrainische Geschichte sowie die Unterdrückung der Ukraine durch Polen nehmen. Erstmals ist auch Sobczaks neuer Film Up in the Attic (2022) sowie sein monumentales Gemälde Die Vision (2022) zu sehen, das eigens für die Ausstellung entstanden ist. Ausgangspunkt des Werks ist die sozioökonomische Lage des frühen 16. Jahrhunderts, in der sich in einer langen Reihe europäischer Aufstände und Widerstandsaktionen neue Modelle für ein Zusammenleben herausbildeten.

In seinen Werken wirft Sobczak Fragen nach einer neuen kollektiven Identitäts- und Erinnerungskultur auf. Im Rückgriff auf historische Ereignisse, aber auch fiktive Narrative wie Märchen, Sagen und Mythen erweitert er die Erzählmuster tradierter, kanonisierter und instrumentalisierter Geschichte um Momente der Emanzipation. Als Künstler sieht er die dringende Notwendigkeit, die Historiografie durch eine permanente Reformulierung zu befragen. Sobczak schafft zeitgenössische Historienbilder mit Darstellungen herausragender Protagonisten des LGBTQI+-Aktivismus, queerer und emanzipatorischer gegenkultureller Milieus und Widerstandsbewegungen, in fantasievoller Gesellschaft mit fantastischen Charakteren und Kreaturen, die die Vision einer grenzüberschreitenden Utopie repräsentieren.

In Zeiten politischer Radikalisierungen lädt seine Kunst dazu ein, sich mit der Konstruktion von Geschichte auseinanderzusetzen. Er möchte diese nicht den Populisten überlassen, die ihre Erzählungen mit einem vermeintlich wahren Blick in die Historie zu legitimieren versuchen, mit dem Ziel bestehende Ängste anzufeuern. In seinen Malereien spielt er mit der Konvention des klassischen Historienbildes, indem er die ureigenen Qualitäten des Genres für seine Werke nutzt. Seine verdichteten Darstellungen basieren oftmals auf Kompositionen ikonischer Gemälde, die Zitate werden collageartig zusammengebracht und in neue Zusammenhänge überführt, nicht zuletzt indem sie etwa mit Motiven einer Counterculture oder Populärkultur konfrontiert werden. Seine Figuren stammen aus unterschiedlichen Kontexten, jede Person, jeder Ort, jeder Gegenstand hat eine Geschichte, sodass sich die Werke Sobczaks durch eine komplexe Ikonografie auszeichnen. Die Collage als gewählte künstlerische Form legt Fragmente der Geschichte offen, erlaubt es Geschichte(n) in ihrer Vielfalt zu erzählen und dadurch mit einer historischen Vereinfachung von Ereignissen zu brechen. Geschichte scheint hier keineswegs auserzählt, vielmehr lässt sich an das Gesehene anknüpfen. Sobczak bricht mit bekannten Erzählmustern und widmet sich Geschichten jenseits ideologischer Darstellungen einer offiziellen Historiografie. In seinem Fokus stehen vor allem die aus der Geschichtsschreibung verdrängten, marginalisierten Persönlichkeiten.

Kuratorin: Merle Radtke
Assistenz: Constanze Venjakob

Mikołaj Sobczak (geb. 1989 in Poznań, Polen) arbeitet als Künstler mit Video, Malerei und Keramik, oft auch mit performativen Aktionen. Er kooperiert regelmäßig mit dem Künstler Nicholas Grafia. Nach seinem Studium an der Akademie der Bildenden Künste Warschau (2011–2016) und einem Stipendium an der Universität der Künste Berlin (2014–2015), absolvierte er 2019 sein Studium als Meisterschüler von Aernout Mik an der Kunstakademie Münster. Seit 2021 ist er Artist-in-Residence an der Rijksakadmie van beeldende kunsten in Amsterdam. Seine Werke waren in Einzel- und Gruppenausstellungen in zahlreichen Institutionen zu sehen: Kunsthalle Düsseldorf (2017), Museum of Modern Art, Warschau (2018), Dortmunder Kunstverein (2019), Museum Ludwig, Köln (2019), Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen, Düsseldorf (2019), Maison Populaire, Paris (2020), Ujazdowski Castle Centre for Contemporary Art, Warschau (2020), VII Moscow International Biennale for Young Art (2020), steirischer Herbst, Graz (2021), MUDAM, Luxemburg (2021) und dem Haus der Kulturen der Welt, Berlin (2021). 2021 wurde er mit dem wichtigsten Preis für junge Kunst in Polen – Spojrzenia – ausgezeichnet. 2022 zeigt die Galeria Bielska BWA, Bielsko-Biala eine Einzelausstellung des Künstlers. Sobczak lebt und arbeitet in Warschau und Amsterdam.