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Die raumgreifenden Skulpturen von Michael Beutler entstehen zumeist direkt vor Ort in Reaktion auf die vorliegenden architektonischen Anordnungen. In einem experimentellen Prozess, der mehr auf die logische Abfolge von sich bedingenden Entscheidungen als auf eine vorkonzipierte Planung setzt, entwickelt Beutler aus herkömmlichen Bausubstanzen - wie Holz, Gips oder Glas - Strukturen und Formen, die Standardisierungen hinterfragen. Seine Methoden reichen von do-it-yourself Strategien über die Erstellung von (spielerischen) Handlungsregeln bis zur Fabrikation von Maschinen, die zu Verformungen beitragen. Im Zentrum steht immer wieder das Interesse, die Eigenschaften unterschiedlicher Herstellungsprozesse und Materialstrukturen zu konzeptualisieren, so dass vor die materiell-funktionale Besetzung der Materialien und Interventionen eine inhaltliche tritt.

In seinem Projekt für die Secession geht Michael Beutler von der Platzierung des Grafischen Kabinetts innerhalb der Secession sowie der Charakteristik des Raums aus. Zentrale Elemente sind hierbei der Weg zum Grafischen Kabinett - die enge Treppe hinauf - und sein architektonisches Format: ein nahezu quadratischer, sehr niedriger Raum mit einem langgezogenen, schmalen Fenster, das aber im Raum selbst keinen architektonischen Widerhall findet.

Diese Beobachtungen in Kombination mit der sehr filigranen und transparenten Deckenkonstruktion der Secession setzt Michael Beutler in Beziehung zur Tradition der Glaspavillons in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, die einerseits transparente Innenlandschaften und anderseits standardisierte Ausstellungsarchitekturen schaffen wollten.

Das Interesse von Michael Beutler konzentriert sich vor allem auf einen der Höhepunkte dieser Bau-weise: den Kibble Palace (Crystal Palace) im Botanischen Garten in Glasgow, der 1872 von dem Ingenieur und Architekten John Kibble konstruiert wurde und den Michael Beutler während seines Aufenthalts in Glasgow mehrere Male besuchte. Der Kibble Palace ging nicht nur als Meisterwerk einer Glas-Eisenkonstruktion in die Geschichte ein, sondern steht auch heute noch für die Radikalisierung einer Standardisierung in der industriellen Bauproduktion.

"Es wird zugleich .... der Stand der bürgerlichen Produktivkräfte insgesamt demonstriert: Naturbeherrschung und Aneignung durch Anwendung industrieller Verfahren auf der Grundlage naturwissenschaftlicher Methodik." (aus: Georg Kohlmaier / Barna von Saratory, Das Glashaus, München, 1981). Diese Überlegungen waren u.a. Auslöser für Michael Beutler sich mit den Methoden der Glasbauweise auseinander zu setzen und führten zu der Entscheidung, vor Ort im Grafischen Kabinett eine gläserne, kuppelförmige Skulptur zu fertigen. Wie in früheren Arbeiten ist der experimentelle Konstruktionsprozess geleitet von dem Interesse, Normierungsverfahren - z.B. in der Glas- bzw. Glashausproduktion - zu hinterfragen sowie neue Formen und methodische Zufälle einfließen zu lassen, so dass in der skulpturalen Raumintervention auch immer zugleich der Spaß an der Ornamentik präsent ist.

Die gläserne Skulptur ist als raumgreifende Arbeit konzipiert, so dass die BesucherInnen nicht einer modellhaften Betrachtung gegenüberstehen, sondern Teil der räumlichen Anordnungen sind. Die Erfahrung differierender Bauweisen führt historische Versuche alternativer und utopischer Architekturen und damit Lebensformen in Erinnerung, während sie durch die Details zu thematischen Komponenten werden.

In den letzten Jahren war Michael Beutler u.a. mit seinen Arbeiten in der Ausstellung New Heimat im Kunstverein Frankfurt (2001) vertreten, wo er vor den Eingang des Gebäudes eine Zickzackbrücke aus Europaletten baute, als deren Vorlage die chinesischen Brücken zwischen Festland und Tempelinsel dienten, die böse Geister von den heiligen Stätten abhalten. Im September dieses Jahres erarbeitete er zusammen mit Henning Bohl ein Projekt für den Kölner offspace Kjubh. Unter dem Titel Florenz dekonstruierte er ein herkömmliches Partyzelt, in dem er die vier runden, metallischen Seitenstangen in eine ornamentale Oberfläche "verbog", so dass sich die Statik des Zeltes änderte, was zu weiteren Eingriffen, bis zum Zerschneiden des Daches in eine laubartige Fläche, führte.

PUBLIKATION: MICHAEL BEUTLER, 24 Seiten, 3 s/w Fotos, 3 Farbabbildungen, Texte: Matthias Herrmann, Gregory Williams, Stefanie Kleefeld, Secession 2002

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Michael Beutler