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Um 1890 wurden aus einem spekulativen Wahnsinn heraus in London und in ganz England riesige Viktorianische Pubs gebaut. Die Gebäude mit einer bis ins letzte Detail ausgearbeiteten Ornamentik, erwiesen sich letztlich aber als vollständige Fehlinvestitionen. Der erwartete Besucherstrom blieb aus. Die komplizierten Strukturen der verspiegelten Pubs mit ihren unterschiedlichen Kabinetten und Winkeln erinnern an die verzweigte Struktur des Internets. Auch zu den irrsinnigen IT-Finanz spekulationen in den 90er Jahren des 20sten Jahrhunderts, die mit der Hoffnung auf eine demokratischere Verbreitung von Informationen verbunden waren, scheint es Parallelen zu geben. Der damalige Boom der neuen Medien führte aber nicht nur zu Börsencrashs, sondern auch zu Systemen wie e-bay, wo ein erfolgreicher wirtschaftlicher Warenhandel stattfindet. Es stellt sich die Frage wie Dinge, wie z.B. einzelne Schrauben oder Dämpfer von bestimmten Automodellen, die für sich allein völlig wertlos sind, bei e-bay plötzlich einen Wert erhalten. Tiziana Terrranova formuliert es in dem Buch ‘Network Culture’ folgendermaßen: „There is nothing to stop every object from being given an internet address that makes it locatable in electronic space.“

In acht Leinwänden und vier Zeichnungen von Merlin Carpenter trifft man auf solche überdekorierte, bis ins kleinste Detail ziselierte Interieurs Viktorianischer Pubs. Die monochrom gehaltenen Bilder geben quasi impressionistische Gesamteindrücke des ornamentalen Reichtums dieser Räume wieder. Der Viktorianische Charakter der Bilder erscheint keineswegs verstaubt sondern besitzt eine merkwürdig anmutende Aktualität. Tatsächlich wirkt die gesamte Ausstellung von Carpenter in der Galerie Christian Nagel, Köln, wie eine Kneipe. Das liegt insbesondere an der Holzvertäfelung, mit der Carpenter den Galerieraum eingekleidet hat. Eigentlich handelt es sich dabei nur um Poster, die eine Intarsienarbeit imitieren. Entworfen wurden diese von Non-Format, London.

Neben diesen großformatigen Arbeiten zeigt Carpenter Kopien von Bildern Edgar Degas, dessen Wirkungszeit auch in das Ende des 19. Jahrhunderts fällt. Die von Carpenter in Antibes gefertigten Bilder verdeutlichen, was Carpenter an Degas, der unter den Impressionisten eine ausgesprochene Sonderrolle einnahm, interessiert. Schließlich hat Carpenter Degas’ Plastiken (Tänzerinnen und Pferde, wie man sie in jedem Museum für Moderne Kunst findet) auf vergrößerte Hotelzeichnungen von Martin Kippenberger gezeichnet. Kippenbergers aufgeblasene Zeichnungen stammen aus einem Katalog des Taschenverlags.

Als Referenz fügt Carpenter außerdem ein Werk Stephen Prinas in die Ausstellung ein, nämlich „Exquisite Corpse: The Complete Paintings of Manet, 140 of 556, Le Balcon I (The Balcony), 1868, Jeu de Paume, Louvre, Paris, April 7,“ (1991). Die Arbeit ist Teil von Prinas Projekt, sämtliche 556 Werke Eduard Manets zu rekonstruieren. Prinas Arbeit besteht aus zwei Teilen: aus einer Offset-Lithographie, die eine Übersicht aller Formate von Manets Arbeiten zeigt und aus einer Arbeit in der Originalgröße von „Le Balcon I, 1868“, die allerdings nur verwaschene Tuschespuren zeigt.

Prina erklärt sein Interesse an Manet folgendermaßen: „Manet is often considered the first modern artist. Michel Foucault said that he was the first museum artist, meaning that Manet’s work takes as a point of departure that it is always already inscribed in the museum, that its placement within it is preordained, and Manet has rendered this condition explicit in his work.“ (nach: Ken Gewertz, Harvard News Office, www.news.harvard.edu/gazette/2004/12.09/03-prina.html)

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Merlin Carpenter