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"dicke Aura Heimat" und "Niederschlag von Volksreden" sind Arbeiten im Studio und im Stiegenhaus der Neuen Galerie, in denen Martin Gostner unter dem Generaltitel "All I See I Cover" zwei Systeme der Materialisierung von Vorstellungen zeigt. Ausgehend von der Überlegung, daß der Sehstrahl eines Menschen die Eigenschaft hätte, die Oberfläche aller Dinge, über die er streicht, zu verändern, daß also kein Gesehenes als Solches existiert, sondern erst durch den Betrachter realisiert und gleichzeitig interpretiert wird, erhalten konnotierte Begrifflichkeiten ein neues spezifisches Äußeres, paniert Gostner allgemein bekannte Gegenstände, erschafft sie neu, auratisiert sie und ironisiert den Begriff der Aura gleichzeitig.

Mit den von ihm ausgesuchten und gebackenen Tischen und Bänken wählt er in doppelter Weise eine Ästhetik, in der "der äußere Referent, d.h. ein gesellschaftlich anerkannter und nicht subjektiv verstandener Wert eine zentrale Rolle spielt"©ˆ. Gostner erkennt Aura als "unser eigenes, materialisiertes Echo, das uns in jener Gestalt erreicht, durch die es uns die Form des Dings zurückwirft." In diesem Fall ist es das Echo der Heimat, wie übrigens auch die erste, von den Alliierten sofort wieder verbotene Parteizeitung des VdU, hieß. Mit dieser Anmerkung verweist er bereits selbst auf den ihm wichtigen und allen seinen Arbeiten inhärenten gesellschaftspolitischen Diskurs, der über die Aura als interpretative Haut, als zweite Schicht, der Panier, das Darunterliegende erst benennt.

Der Brüchigkeit gewahr zu sein gleich dem Mißtrauen von nicht eingelösten Versprechungen der Geschichte gegenüber der Gegenwart sowie die Sinnentleerung und gleichzeitige Aufladung durch Überhöhung sind Themen, die in Gostners Arbeit Eingang finden. Die Linearität der Geschichte bezweifelnd und im Wissen, daß ihre Bedeutung im Wesen der Strukturen und nicht im Stil des Dekors liegt, verbindet er harte und weiche Materialien, werden Fakten mit Erinnerung und Vorstellung verbunden, die sowohl aufbrechen als auch eindringen. Heimat als Begriff, der, zerstört und mißbraucht durch die Nazizeit, seine eigene Interpretation stets sucht, wird, durch eine typisch steirische Spezialität, die Panier, in ein gängiges Klischee gepaßt um daraufhin neu untersucht werden zu können.

Heurigentische, die für österreichische Gemütlichkeit und Bierzeltmentalität aber auch für Problemlösungen der Österreicher mittels Feiern und Festen (spätestens seit dem Wiener Kongress) stehen, werden mit einem in der Kunst unüblichen Material verbrämt und vereinen Gostners Theorie mit seinem bildhauerischen Denken. Sagte Otto Mühl über seine Panierung eines Gesäßes 1964:"Die schöpferische Hemmungs- und Gewissenlosigkeit ermöglicht die Verwirklichung des Intrems. Ich zerreiße die Haut der Fläche und krieche darunter ins Intrem."©˜, so entfacht sie nun bei Gostner ein kalkuliertes Vexierspiel, das nicht als expressives Agieren, sondern als hintergründiges Konstrukt dem Beobachter gegenübersteht.

Dabei geht es ihm nicht um Makellosigkeit, wohl aber um Wahrhaftigkeit und Konsequenz, wobei er um das Scheitern, die Unmöglichkeit der einen Wahrheit weiß. Er zerstört Bedeutungen der normativen Welt nicht mehr unter Einsatz von Körperlichkeit, sondern legt in einem neuen Dekonstruktionsprozess gesellschaftliche, politische Spiele, die mit Versatzstücken, Floskeln, Zitaten und Verschleierungen agieren, frei, um daraus die Möglichkeit des Aufbaues einer neuen Wirklichkeit zu schöpfen. Über die "heimatlichen" Gedankenverbindungen zu Schnitzel oder Backhendl, die Panier kollektiv impliziert, hat Gostner selbst eine sinnliche Beziehung zu diesem in seinem Schaffen erstmals verwendeten Material. Daß er mit immer neuen Materialien arbeitet, suggeriert Identitätswechsel, einen Wechsel, dem jeder einzelne aber auch die Gesellschaft in ihrer Struktur unterliegt bzw. dem er sich selbst aussetzt. Gostner wählt und macht diesen Wechsel bewußt, indem er sich immer wieder von einer Morphologie verabschiedet, um in eine andere zu gehen. Damit löst er sich los, gewinnt Distanz, entwickelt Erinnerungsvermögen und nutzt dies als Ressource für weitere Entwicklungen.

Unterhaltung scheint zu einem Fetisch geworden zu sein, zu einer Matrix für alle Lebensformen. Diese Ausstellung versucht auch zu ergründen, was man nun von Las Vegas gelernt hat und wie sich das gesellschaftlich ausgewirkt haben könnte. Der Bereich zwischen Kunst und reiner Unterhaltung, egal auf welchem Niveau, ist so fließend, dass man ihn kaum mehr orten kann. Die Ausstellung wird somit sowohl Teil eines Casinos als auch Museums sein. Im tatsächlichen Las Vegas verhält es sich nicht anders. Venedig ist dort in den gleichen Dimensionen mit den gleichen Materialien teilweise nachgebaut und dient als Hotel. Das Resort und Casino "Bellagio" beherbergt eine Kunstsammlung mit Exponaten von El Greco bis Picasso, die beworben werden wie Frank Sinatra oder die Beach Boys. Die beiden Eckpunkte in der Diskussion sind mit Venturi, Scott Brown and Izenours Buch "Learning from Las Vegas" auf der einen Seite und Dave Hickeys und Libby Lumpkins Lehrtätigkeit an der University of Nevada in Las Vegas auf der anderen Seite gegeben.

Im zweiten Teil der Ausstellung ist das Vexierspiel zwischen Transparenz und Niederschlag im transparenten Medium, wobei das Auge als Analysestreifen dient, zwischen Einvernahme und Durchbruch zu sehen. Unter dem Titel "Niederschlag von Volksreden" wird "der Bezeichnungsvorgang hier abstrahiert, also vom bezeichneten Gegenstand gelöst, als sprachliche und phonetische Haut über den Träger gezogen. Durch diese Loslösung erscheint die Bezeichnung selbst als Gegenstand." (Martin Gostner)

Dieser Gegenstand, das Wort, wird direkt auf die Scheibe gehaucht, wie Reif erkennbar, der sich niederschlägt, aber auch die Eigenschaften des Gesprochenen werden, gleich dem Ergebnis aus einem Lackmuspapier-test analysiert und visualisiert, in diesem Fall das Ergenbnis eines Lackmus für Volksredner. Das Wort "Häute", akustisch nicht von "Heute" unterscheidbar, verweist auf das Leben beeinflussende Mißverständnisse und besetzt schablonisiert und in multipler Form alle Fenster, sodaß es den Raum in Form von serieller Poesie überzieht. Hervorgerufen wird der Niederschlag des Wortes durch einen Strahl, der von der Hofseite eindringt und "Häute" daher von innen spiegelverkehrt wiedergibt, den Raum durchdringt, die Fenster auf der Stiegenhausseite berührt, hier "richtig" gelesen werden kann, um ihn wieder zu verlassen.

Das Abbild des Wortes als Original wird durch den multiplen Auftrag auf beiden Fensterfronten in Abrede gestellt und in seiner Serialität gleichzeitig auratisiert. Durch gebetsmühlenartige Wiederholung verliert das Wort Sinn und Bedeutung, wird entmaterialisiert und ritualisiert, bezeichnet sich selbstreferentiell und übernimmt darüber hinaus die Funktion des Häutens. Der Akt des Durchdringens mittels Strahl akzentuiert wiederum die barocke Architektur, die als Träger der Arbeit fungiert. Das Wort kann ohne Empfänger nicht existieren und erscheint als Essenz, wird gleichzeitig in seiner eigenen Vielschichtigkeit gezeigt, um auf die unterschiedlichsten Rezeptionsarten der Adressaten zu verweisen. In skeptischem Bewußtsein der Manipulierbarkeit und Ideologisierung von Begriffen und Aussagen macht Gostner in dieser Arbeit mittels eines Wortes deutlich, daß Sprache mehr der Selbsttäuschung, der Verunklärung und bewußter Geschichtsfälschung dient, als daß sie aufklärend und befähigt wäre, Wahrheit zu übermitteln.

Mit dem handschriftlichen lasierenden Farbauftrag verweist er auf das Originäre, das Einmalige und Private, das aber durch die Multiplizität sofort massenmediale Bedeutung erhält. Der Widerspruch bleibt, der aus der Bedeutung des Wortes an sich und dessen Absurdität aus der seriellen Darstellung resultiert.

In diesem kippenden Verhältnis verweist er ironisch auf elektronische Medien, die die Charakteristika von Raum und Zeit insofern tiefgehend verändert haben, als sich alles an jedem Ort unter Interaktion ereignen kann. Die Widersprüchlichkeit und Gegensätzlichkeit, die Gostner nicht auflöst, sondern die er selbst in Material, Räumlichkeit, Sprache und Sinngebung betreibt, ist bezeichnend für unsere Welt und stellt sich einfachen Erklärungsmustern entgegen. Im Wissen um die den Menschen immer mehr umgebende Unsicherheit und die fragmentarische Natur der Realität visualisiert er nichtlineare Systeme.

Unter dem Titel "All I See I Cover" bricht Gostner die vordergründige Wirklichkeit auf, gibt den Blick auf das Dahinter frei bzw. führt uns in ein spannungsgeladenes Vakuum, aus dem allein heraus ein Erkennen möglich scheint. Dabei dringt er in das kollektive Gedächtnis ein, hinterfragt politische, soziale und kulturelle Phänomene und führt uns an unser eigenes Erinnern, um daraus neue Vorstellungen zu generieren.

Elisabeth Fiedler

1 Boris Groys in: Das leidende Bild, S. 102 aus: Das Bild nach dem letzten Bild, Köln 1991 2 Otto Mühl in: Wiener Aktionismus Wien 1960-1971, Klagenfurt 1989, S. 190

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Martin Gostner: ALL I SEE I COVER
Kuratorin: Elisabeth Fiedler
Ort: Neue Galerie Studio und Stiegenhaus