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Bereits 1995 haben die südafrikanische Künstlerin Marlene Dumas und die niederländische Künstlerin Marijke van Warmerdam gemeinsam mit Maria Roosen im holländischen Pavillon auf der Biennale di Venezia ausgestellt. Nun präsentieren die beiden Künstlerinnen vom 10. September bis 6. November 2004 unter dem Titel Hin und weiter in der BAWAG FOUNDATION das Ergebnis einer weiteren Zusammenarbeit. Im Mittelpunkt der Ausstellung steht das Interesse der beiden Künstlerinnen an den Themen Zeit und Bewegung in und zwischen spirituellen Räumen. Ein weiterer Themenaspekt, der in den Arbeiten behandelt wird, ist die Bewegung von einem geographischen Raum zu einem anderen. Erstmals gemeinsam mit den Themen beschäftigt haben sich Dumas und van Warmerdam im Rahmen der Präsentation "Con vista al celestiale" in einem Kloster in Syrakus. In Wien wird nun die Ausstellung in adaptierter Form zu sehen sein.

Ausgangspunkt ist das Gemälde "Das Begräbnis der heiligen Lucia" von Caravaggio aus dem Jahr 1608. Die Legende erzählt, dass der heiligen Lucia, der Schutzheiligen des Lichtes und des Sehens, vor ihrer Enthauptung die Augen ausgestochen wurden. Diese Legende greift Marlene Dumas in den in der BAWAG FOUNDATION präsentierten Gemälden auf und spannt den Bogen vom Martyrium der heiligen Lucia bis zu den heute in den Medien allgegenwärtigen Bildern von Terror, Gewalt und Leiden politischer und religiöser Opfer (RAF, Tschetschenien, Irak). Die Fotografien, die sie als Quellen für ihre Malerei verwendet, sind schockierend gewalttätig und zeugen von der brutalen Realität. Den Opfern gemeinsam ist, dass sie durch die Medien zu Objekten der Sicht der anderen geworden sind. Für oder gegen, Eindringling oder Opfer, Märtyrer oder Terrorist - die Wahl ist eine Frage von Leben und Tod. In ihren neuen Arbeiten greift Dumas diese Fragen auf, ohne direkt Antwort zu geben - sie lädt den Betrachter vielmehr zu einer Reflexion über zeitlose existenzielle Themen ein: Terror und Gewalt, Leiden und Transzendenz, Schuld und Verantwortung.

Seit 2002 setzt sich Marlene Dumas - angeregt durch bekannte Todesdarstellungen von Hans Holbein, Goya, David und Géricault und in Zeitungen abgebildeten Fotografien von Gewalttaten an Krisenherden in der Welt - verstärkt mit dem Thema Tod auseinander. So basiert z. B. "Death through Mistaken Identity" (2002) auf dem Foto eines Palästinensers, der von den Israelis erschossen wurde. Das Pendant "Death by Association" (2002) weist den Toten durch den abgebildeten Koran als Mitglied einer religiösen Gemeinschaft aus, der seine politischen Ideen mit dem Tod bezahlen musste. Die Serie "Blindfolds" (2002) zeigt Porträts von Palästinensern, denen die Augen verbunden wurden.

Die Gemälde "Lucia", "Stern" und "Alfa" (2004) zeigen Märtyrerinnen der Geschichte. Jede der großformatigen Arbeiten stellt einen Kopf dar, der abgetrennt oder durch die Komposition beschnitten wurde. Die Werke lassen zunächst an das kleine Gemälde denken, das Théodore Géricault von einem geköpften Gefangenen machte (Art Institute Chicago). Das erste Bild zeigt die heilige Lucia. Der Titel des zweiten Bildes gibt uns einen Hinweis auf die Quelle. Das Foto wurde der 1977 erschienenen Ausgabe der deutschen Zeitschrift "Stern" entnommen und zeigt die Terroristin Ulrike Meinhof, die sich 1976 im Hochsicherheitstrakt von Stuttgart-Stammheim das Leben nahm. "Alfa" ist das Porträt einer jungen Frau aus Tschetschenien, die ermordet wurde, weil sie die Ideale ihres Volkes vertrat. "Alfa" war auch der Name einer russischen Spezialeinheit, die hauptsächlich gegen Tschetschenen eingesetzt wurde - zuletzt bei dem berüchtigten Einsatz anlässlich einer Geiselnahme in einem Moskauer Theater, bei dem Hunderte Menschen durch ein Spezialgas getötet wurden. Dumas operiert mit der Vergegenwärtigung des Ungleichzeitigen und führt drei Personen zusammen, eine Italienerin, eine Deutsche und eine Russin. Die drei Frauen verbindet miteinander, dass sie alle Opfer eines religiösen oder politischen Systems sind.

Ein weiteres zentrales Thema Dumas' ist die Frage nach der durch mediale Bilder transportierten Wahrheit. In einem Schlüsseltext drückt Dumas ihre Skepsis und kritische Haltung dazu aus: "Looking at images does not lead us to the truth. It leads us into temptation. It's not that a medium dies. It's that all media have become suspect. It's not the artists' subject matter that's under fire but their motivation that's on trial. Now that we know that images can mean whatever whoever wants them to mean, we don't trust anybody anymore, especially ourselves." (Marlene Dumas in "Suspect", Fondazione Bevilacqua, Venedig 2003) In den Arbeiten Marijke van Warmerdams wird die heilige Lucia zur Metapher für ein anderes Sehen, das unserer Wahrnehmung Zwischenräume öffnet und Grenzüberschreitungen ermöglicht. Im Mittelpunkt der Auseinandersetzung mit Wirklichkeit steht für die niederländische Künstlerin die Überprüfung unserer Wahrnehmung und die Reflexion unserer Seherfahrung. Die Arbeiten van Warmerdams bewegen sich an der Grenze zwischen dem Wirklichen und unseren Projektionen und Wünschen. Für das Erzeugen von Bildern (Wirklichkeiten) setzt van Warmerdam in ihren Filmen, Fotografien und Installationen zwei zentrale Elemente ein: "Stillstand" und "Nachvornesehen".

Ein zentrales Gestaltungsmittel in Marijke van Warmerdams Filmarbeiten ist der Loop. Durch den Einsatz dieses Mittels unterläuft van Warmerdam die klassische Erwartungshaltung gegenüber dem Film und das Bedürfnis nach Handlung und Erzählung. Die Künstlerin enthält dem Zuseher bewusst literarische, narrative Aspekte zugunsten einer Poetisierung der Oberfläche vor.

Der 16-mm-Filmloop "Passage" (1992) zeigt ein schwarzes kleines Viereck, das langsam aus der Mitte eines weißen Hintergrundes auftaucht und allmählich den gesamten Bildschirm ausfüllt. Ist dieser Bewegungsablauf beendet, beginnt er wieder von vorne. "Passage" spielt mit der optischen Täuschung unserer Augen und Gedanken. Durch die Endlosbewegung entstehen beim Betrachter Bilder im Kopf, aus denen sich Geschichten entwickeln können."'Passage' is a work which troubles my eye and my thoughts. I have the feeling that the phenomenon film has been stripped to the bone, but still someone is pulling my leg. In the meantime, my eye is very much attracted by its movements in black and white. It could be a tunnel, it could be an elevator, it could be the beginning of a story. In fact, it is no more than what it is. Or isn't it?" (Marijke van Warmerdam) In dem Filmloop "Met losse handen" ("Hands Free", 2004) nimmt der Zuschauer eine Landschaft aus der Perspektive eines Radfahrers wahr, der freihändig fährt. Der Radfahrer hebt ab, und beim Zuseher entsteht der Eindruck, dass er fliegt. Danach kehrt der Radfahrer wieder zum Boden zurück.

Am Beispiel des Filmloops "The Fuck" (2004) wird deutlich, wie Marijke van Warmerdam in unseren Köpfen Bilder entstehen lässt. "The Fuck" arbeitet abwechselnd mit langsamen und abrupt wilden Bewegungen, die beim Zuseher Assoziationen an einen Geschlechtsakt hervorrufen. Zu sehen sind aber Kirschblüten in unterschiedlichen Bewegungsintensitäten. Die von van Warmerdam präsentierten Fotografien zeigen Landschaften, die beim Betrachter Assoziationen und vieldeutige Erinnerungen auslösen. Die Fotografie "In thought" (2002) zeigt einen von Gras überwachsenen grünen Teich, auf dem vier surreale Luftblasen schweben. Mit dieser Fotoarbeit versucht Marijke van Warmerdam, die Entstehung von Gedanken zu visualisieren, ihren Ursprung zu erkunden.

"Tomorrow" ( 2002) ist die Beschreibung reiner ungerichteter Antizipation. Die Fotografie zeigt die Profilansicht eines Menschen vor dem Hintergrund eines blauen Himmels mit einem Grashalm zwischen den Lippen - eine direkte Antizipation der Zukunft und des Wachsens.

In der Fotoserie "Soon" (2002), "Now" (2002) und "Coming up Soon" (2002) beschäftigt sich Marijke van Warmerdam mit dem Thema Anfang und Ende und unternimmt den künstlerischen Versuch, mit Hilfe der Parameter Rahmen und Bildkomposition eine vermeintlich abgeschlossene Geschichte neu zu erzählen. "Soon" zeigt einen blühenden Magnolienzweig, der von einer Frauenhand vor einen hellen rechteckigen Hintergrund gehalten wird. In "Now" steht der Zweig in voller Blüte vor einem rechteckigen Hintergrund, der von einer dahinter stehenden Person gehalten wird. In "Coming Up Soon" liegen verblühte Blüten auf einem weißen Rechteck am Boden. "'Soon,' 'Now,' and 'Coming Up Soon' has a chronological order of a beginning and an end, but I experience an end never as a final end. There is always a 'next.' Last year, I have hung the three pieces in a different order: 'Coming up Soon,' 'Now,' and 'Soon.' I find this a very exciting order, because it makes suddenly everything so optimistic and open-minded. Only my eye has discovered this. Not my skepticism, not my criticism. This is what interests me highly. A logical order is disturbed and at once everything opens up." (Marijke van Warmerdam)

"My God" (2004) ist eine direkte Bezugnahme auf die Legende der heiligen Lucia, die in einen goldenen Lichtstrahl "Luciaaaa" verwandelt wird. Die Arbeit ist ein Inkjetdruck. Der Text darauf besteht aus Goldblatt und steht auf dem Kopf. Das Werk erinnert nicht nur an eine ältere Arbeit von Bruce Nauman - "My name as though it were written on the surface of the moon" aus dem Jahr 1968 -, sondern ist auch ein ironischer Verweis auf den Beatles-Song "Lucie in the Sky". Pressetext

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