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Für seine erste Einzelausstellung in Berlin verwandelt Markus Zimmermann (*1978) die Galerie Birgit Ostermeier in eine Wunderkammer.

Während Kuriositätenkabinette des XVI. Jahrhunderts mit kostbaren und exotischen Objekten wie Rhinozeroshörnern, roten Korallen und magischen Kristallen gefüllt waren, entstehen die Arbeiten von Markus Zimmermann aus dem Nichts - und das Nichts ist gleichzeitig nichts und alles. „Nichts“ - weil die verwendeten Materialien reduziert und einfach sind und weil sie auf der Straße oder an abseitigen Orten in des Künstlers Auge sprangen: es handelt sich um Überreste von Kartonagen, Styropore, Verpackungen - Materialien, die ihre Aufgabe verloren haben. Überflüssig gewordene Objekte, die keinen Menschen mehr interessieren. „Alles“ - weil die entstehenden Objekte eine Welt der Erinnerung, der Intimität, des Verlangens und des Verlustes evozieren. Eine erster Gedanke geht zu Kurt Schwitters, der in den Kriegsruinen nach Spuren einer vernichteten, unter Trümmern begrabenen Vergangenheit forschte, um diesen Trouvaillen eine neue Bedeutung zu schenken und sie in Collagen zu versammeln. Eine andere Geistesverwandtschaft besteht mit den Arbeiten von Claes Oldenburg, der sich in «The Store» Reproduktionen von Alltagsgegenständen aus Pappmaché bediente um die amerikanische Konsumgesellschaft in satirischer Form zu kommentieren. Der Ausgangspunkt von Markus Zimmermann, der wie Kurt Schwitters aus Hannover stammt, ist gleichwohl ein anderer. Er bringt die Wunderkammer neu ins Spiel.

Die Kunst der Rekontextualisierung und Wiederverwertung von dem Untergang geweihten (Abfall-)Objekten nahm ihren Anfang vor gut einem Jahrhundert bei den Kubisten und Dadaisten. Vielerorts wurden diese Materialien in abstrakte oder surrealistische Skulpturen oder Bilder umgewandelt (die 1936 für das Werk Le Déjeuner en fourrure (Frühstück im Pelz) geschaffene Felltasse von Meret Oppenheim sei hier genannt) oder in ihrer bestehenden Form als solche verwandt, als ready-made, rearrangiert, gestapelt, geordnet oder mit eigenen Gesetzen in einem geordneten Chaos reorganisiert. In dieser Kunstgattung werden die Materialien durch den kreativen Schöpfungsakt zu etwas anderem, bieten aufgrund ihrer Ansammlung eine Neukomposition des bestehenden, bleiben dabei jedoch identifizierbar. In der Arbeit von Markus Zimmermann manifestiert sich hingegen eine echte Verwandlung dergestalt, dass die Ausgangsmaterialien ihrer ursprünglichen Bestimmung nicht mehr zugeordnet werden können, ihr Charakter nicht mehr erkennbar ist; zum Beispiel in den kleine Skulpturen aus Styropor, die wie kristalline Steine oder kleine, primitive Organismen aussehen. Sie werden als etwas Neuartiges, anderes wahrgenommen und verstanden. Eine optische, eine physische Operation findet statt, ohne dass Fäden und Narben der Umwandlung zurückbleiben. Allein die äußere Gestalt der Guckkästen lässt manchmal ihre frühere Verwendung, lässt Spuren der chirurgischen, plastischen Operation vermuten. Die benutzten Materialien können als körperliche Einzelteile wahrgenommen werden, die Arbeitsoberfläche ist wie ein Operationstisch, der Künstler ein Chirurg-Alchimist. Und der Ausstellungsraum wird sein Laboratorium, ein Ort der Experimente, in dem die Objekte aus dem Nichts entstehen und den Betrachter in einen unerwarteten, vielleicht auch vergessenen oder geträumten und intimen Ort entführen.

Die Guckkästen öffnen dabei ein neues Raum-Zeit-Fenster. Man nehme einen zur Hand und platziere die Öffnung vor seinem Auge. Der Einblick nimmt uns gleichsam körperlich mit hinein, wir werden an einen neuen Ort eingesogen. Der Ort der Betrachtung wird zum Standpunkt, es gibt keine Distanz mehr zwischen dem, was man sieht und dem Ort, an dem man sich befindet – plötzlich ist man woanders. Keine Tür ist zu durchschreiten, keine Treppe führt dorthin. Man ist mittendrin, in der Tiefe des Raumes, allein in einer kleinen verschlossenen Welt. Dort in dieser anderen Welt entstehen die Bilder im Auge des Betrachters von allein. Erinnerungen kommen zurück, da diese ruhigen und unbewegten Räume Projektionsräume sind, in denen Raum wahrgenommen, gelebt werden kann. Die Realität löst sich in der Vorstellung auf. Ein Blick und eine Geschichte kann ihren Anfang nehmen, jedes Mal eine andere aufs Neue, da jeder Guckkasten dem Betrachter einen neuen Ort vorstellt: teils klein, leer, bedrückend, erstickend, wo allein ein Lichtschirm die Atmosphäre bestimmt. Andere hingegen eröffnen trotz ihrer Reduziertheit die Idee eines gewaltigen Raumes, unendlich nahezu, schwindelerregend mit ihren Spiegelwänden; Räume, die surrealistischen Wüstenlandschaften nachempfunden sind; Räume, die Angst machen, alptraumhaft, beklemmend; Eine leere minimalistische Theaterbühne, in spannungsvoller Erwartung der Darsteller; Festliche Räume, Einschlussräume; sinnliche und erotische Räume. Organische Räume, deren Unbeseeltheit belebt wirkt.

Auf diese Weise entfalten die Guckkästen eine Poesie des Raumes, welcher beim Betrachter verflüchtigte, verborgene Bilder wiedererweckt, aus der Kindheit, der Historie, aus Träumen, Emotionen, der Ängstlichkeit oder des Glücks.

Mit seiner minimalistischne Wunderkammer voller Skulpturen, Guckkästen und Collagen entfaltet die Ausstellung eine facettenreiche Welt: Man kommt an einen Punkt, wo sich die Unterscheidung von Traum und Realität, von Vergangenheit und Gegenwart, von Raum und Zeit, zwischen Sprache und Bild auflöst. Vielfältig, mit Humor und eklektisch offerieren die Objekte der Installation verschiedene Sichtweisen, Betrachtungswinkel und Empfindungen. Aber anders als im Falle der klassischen Wunderkammer ist hier der Sammler der Schöpfer, der aus dem Nichts ein ganzes eigenes Universum erschafft.

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Markus Zimmermann
ROT UND SCHWARZ