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Ein kunstaspekte-Interview mit Marina Abramovic (2011)
anlässlich der Vorstellung des Projekts 'MACCOC - Marina Abramovic Community Center Obod Cetinje' auf der Biennale Venedig.
Das Interview führte Lothar Frangenberg
.

Anlässlich der 54. Biennale 2011 in Venedig hat Marina Abramovic Pläne für die Entwicklung des Marina Abramovic Community Center Obod Cetinje angekündigt. Das MACCO Cetinje in Montenegro soll eine neue Institution mit Produktions- und Ausstellungshallen für Freie Kunst, Tanz, Theater, Oper, Musik, Film, Performance werden. Es soll der Förderung des Interesses für Architektur, Wissenschaft und neue Technologien dienen. Konzipiert in Zusammenarbeit mit Branislav Micunovic, dem Minister für Kultur in Montenegro, wurde MACCOC als Teil des Biennale-Beitrags im Pavillon von Montenegro präsentiert.

Lothar Frangenberg: Wie kam es zur Wahl dieses Ortes in einer kleinen Stadt in Südosteuropa? Wenn schon im ehemaligen Jugoslawien, wäre nicht die serbische Hauptstadt Belgrad der brisantere Standort gewesen, der mehr Provokation und damit Wirkung auslöst?

Marina Abramovic: Zuallererst muss ich sagen, dass ich den Ort nicht ausgewählt habe. Er wurde mir übergeben und das beruht auf vielerlei Hintergründen. Da meine Mutter und mein Vater beide aus Montenegro kommen, bin ich mit dem Ort tief verbunden. Der Kultusminister von Montenegro hat mich mit der Kühlschrankfabrik, Obod, in Verbindung gebracht. Er hat mir angeboten, das Projekt mit meinem Namen zu versehen und ein Konzept für diesen wirklich einzigartigen Ort zu entwickeln. Ich fühlte mich sehr geehrt und nahm selbstverständlich das Angebot an.

L. F.: Müssen Sie in Cetinje nicht in Zukunft einen Strom von Badeurlaubern als Besucher - mit all ihrer Eile und Unaufmerksamkeit – fürchten? Politiker und Investoren sind gewiss daran interessiert, dass das Art Center auch ein Touristenmagnet im Sinne von Wirtschaftsförderung wird. Verwahren Sie sich gegen solche Ansprüche?

M. A.: Auf gar keinen Fall. Ich unterstütze das eigentlich. In Wirklichkeit ist es so, dass mit der Stilllegung von Obod 8000 Leute ihre Arbeit verloren, was zu einer hohen Arbeitslosenrate führte, und selbst heute sind 70% der Einwohner von Cetinje arbeitslos. Ich hoffe, dass sich durch die Errichtung eines kulturellen Zentrums von solchen Dimensionen etwas mit der gleichen Auswirkung ändern wird, wie es nach dem Bau des Guggenheim Museums in Bilbao der Fall war. Kunst gehört zu einem großen Teil der Öffentlichkeit.

L. F.: Sind Sie unmittelbar an politischen Veränderungen in ihrer alten europäischen Heimat interessiert. In einem Interview mit Klaus Biesenbach sagten Sie, Sie wären keine politische Künstlerin. (Phaidon Press Limited, London/New York 2008) Aber sie sind doch sicher ein politisch denkender Mensch? Gibt es eine Grenzziehung für Sie, bis wohin sich Künstler in politische und gesellschaftliche Fragen einmischen sollten?

M. A.: Ich glaube, es ist zunächst sehr wichtig zu sehen, wer du selbst bist. Ich habe mich entschieden, Künstlerin und nicht Politikerin zu werden, und meine Arbeit besteht aus verschiedenen Ebenen. Auf jeden Fall könnte eine Ebene die politische sein, aber dies ist nicht alles. Also konzentriere ich mich nicht auf eine Disziplin. Durch meine Arbeit versuche ich auf verschiedene Themen zu unterschiedlichen Zeiten aufmerksam zu machen.

L. F.: Würden sie uns beschreiben, welche Rolle Sie selber innerhalb des MACCOC übernehmen werden? Wird es ähnlich wie bei dem Theaterstück „The Life and Death of Marina Abramovic sein, wo sie im Unterschied zu Ihren Performances bewusst vieles in andere Hände legen und damit in einen Akt der Distanzierung Kontrolle abgeben?

M. A.: Nein, so wird es nicht sein. Ich würde mir wünschen, dass MACCOC verschiedene Funktionen erfüllt. Es nimmt einen so großen Raum ein, dass dort wirklich die Möglichkeit besteht, simultan viele Aktivitäten in unterschiedlichen Bereichen der darstellenden Künste zu veranstalten. Zum Beispiel wäre es sehr schön, wenn es Platz für ein vollständiges funktionierendes Filmstudio sowie eines für Postproduktionen gäbe. Der Indepedentfilm ist eine meiner großen Leidenschaften, und man kann ihn nicht in Hollywood am Leben erhalten. Abgesehen von der Filmindustrie, sollte es einen Ort für Theaterproben mit moderner Ausstattung geben, damit internationale Theatergruppen dort ihre Stücke einstudieren können. Weitere Bereiche wären eine Musikhalle, ein Kinosaal, Theater, Video, Räume, in denen verschiedene Aufführungen gezeigt und vor Ort produziert werden könnten. Davon abgesehen sollte es auch verschiedene Hörsäle geben, nicht nur für die Kunst, sondern auch für neue Wissenschaften und Technologien. Ich habe schließlich große Pläne. Außerdem wäre es schön, wenn es in dem Gebäudekomplex eine Schlittschuhhalle geben würde und Orte, wo sich junge Leute in der Öffentlichkeit treffen könnten, um an Seminaren und Vorträgen teilzunehmen oder um sich einfach dort aufzuhalten. Wir denken auch darüber nach, einen kleinen Teil der Fabrik noch für die Produktion aufrechtzuerhalten. Natürlich werde ich nicht in der Lage sein, jedes Detail zu regeln, aber die Vision ist die meine.

L. F.: Wie stellen Sie sich die neue Institution innerhalb der vorhandenen Fabrikgebäude vor? Sind die Gebäude als Aggregate vorstellbar, als nicht statische Handlungsräume? Es geht um die Frage, wie viel Festigkeit Ihre Vorstellungen vertragen? Wäre nicht eine nomadenhafte Existenz der Einrichtung in unterschiedlichen Räumen und an verschiedenen Orten, ein weltweites Vagabundieren, angemessener und würde Ihren künstlerischen Absichten mehr entsprechen, die immer wieder auf das Spirituelle, Immaterielle und Nicht-Objekthafte abheben?

M. A.: Ich habe viele Ideen, welche die Nutzung dieses Ortes betrifft, aber da ich keine Architektin bin, habe ich mir gedacht, es wäre sehr wichtig, jemanden einzuladen, den ich mit einer Vision betrauen kann, der auch einen Masterplan zu entwickeln vermag. Im Moment verhandle ich mit Rem Koolhaas und OMA, welche nach meiner Einschätzung die richtigen Leute sind, um ein multifunktionales Konzept entwickeln zu können, wie sie es auch schon in der Vergangenheit durchgeführt haben.

L. F.: Ist es richtig, dass Malerei und Skulptur als Kunstgattungen bei der Einrichtung des Art Centers keine Rolle spielen werden. Sie beschreiben die Malerei innerhalb Ihres künstlerischen Werdegangs als eine Durchgangsstation früher künstlerischer Erfahrung, um danach den Weg hin in offenere und größere künstlerische Gestaltungsräume zu gehen – viele KünstlerInnen beschreiben solche Erfahrungen, z.B. auch Jenny Holzer. Ist die Malerei für Sie als Medium zu traditionell, zu objekthaft und historisch zu belastet mit Konventionen aller Art?

M. A.: Zuallererst bin ich eine Performance-Künstlerin, die mit zeitgenössischen Medien arbeitet. Es ging um die Frage, ein Konzept für MACCOC zu entwickeln. Dies ist das Konzept, das ich vorschlage. Es würde sicherlich ein ganz anderes geben, wenn ein Maler oder Bildhauer eingeladen wäre, es umzusetzen.

L. F.: Sie verfügen offenbar über einen ausgeprägten und bewundernswerten Optimismus, was die Wirksamkeit von Kunst und ihren Einfluss angeht. Er beflügelt sicher das Vorantreiben solcher Projekte, bei denen die Betrachter aktiv mit eingebunden werden sollen. Steht Ihr Wunsch, Künste zusammenführen zu wollen, für das Streben nach einem neuen „Gesamtkunstwerk“, auch im Sinne gesellschaftlicher Utopien?

M. A.: Für mich gibt es zwei sehr inspirierende frühere Konzepte, Monte Verità und das Black Mountain College, wo sich die besten Denker, Künstler, Wissenschaftler und Autoren treffen und an einer neuen Sicht der Welt arbeiten. Das ist meine Art von Leitfaden und Idee. Das ist meine Inspiration. Ich glaube, dass die Gesellschaft jetzt diese Art von Optimismus braucht, und wir müssen ein Gefühl des Zusammenhalts unter den verschiedenen Disziplinen entwickeln, um jetzt etwas gesellschaftlich Neuartiges aufzubauen.

Übersetzung: Sophie Andersen

Projekt 'MACCOC - Marina Abramovic Community Center' in Cetinje

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