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„Mich interessiert alles, was aus dem heraustritt, was als gesellschaftliche Norm empfunden wird, sei dies bewusst oder unbewusst. Das können Obdachlose, demonstrierende Nazis oder Hooligans, absolut exzentrische und eigenwillige Personen sein, aber auch Menschen auf einer Fan-Meile oder Parade, wo es eigentlich akzeptiert ist, das man sich verkleidet oder extrem benimmt. Es gibt diese Situationen, die für meine Motive ganz wichtig sind – da fallen Personen oder Dinge aus ihrer Rolle oder stecken umgekehrt zu sehr in ihrer Rolle. Sie sind zu verkleidet, zu monströs, zu hart, ekstatisch oder militant. Für einen Augenblick wird aus einer Maskierung oder einem kollektiven Ritual oder einer Comic-Figur plötzlich etwas wirklich Fremdes, Leeres oder Undurchschaubares (...)“.
Marc Brandenburg im Gespräch mit Oliver Koerner von Gustorf, 2011

MARC BRANDENBURG

Marc Brandenburg, 1965 in Berlin geboren und in den USA und Deutschland aufgewachsen, zählt zu den wichtigsten Protagonisten seiner Künstlergeneration. Dabei beruht sein künstlerisches Vorgehen auf einem für die aktuelle Zeit ungewöhnlichen und fast anachronistischen Verfahren: In oft monatelanger Arbeit zeichnet Brandenburg seine Motive mit dem Bleistift auf Papier. Die motivischen Vorlagen – Situationen im öffentlichen und privaten Raum, rituelle Verhaltensmuster von Menschen oder skurrile Gegenstände – hat er zuvor mit der Kamera seines Smartphones festgehalten oder aus Magazinen gesampelt. Mit einem einfachen Kopierer unterzieht er seine Vorlagen einem Verfremdungsprozess, der die Schwarz-Weißwerte umkehrt und die Kontraste verstärkt. Sein anschließendes langwieriges Nachzeichnen auf kleinformatige Blätter taucht die Motive in ein „Säurebad der Abstraktion“ (Harald Fricke) und macht sie zu schillernden Metaphern unserer Zeit.

In seinem Schaffen führt Brandenburg Glamour und Reflexion, Selbstinszenierung und subversive Strategien in einer Bildwelt zusammen, die unsere Zeit treffend kommentiert.

Die Bildthemen, die Marc Brandenburg wählt, umgeben ihn unmittelbar – die urbane Kultur Berlins, die Medien und die Konsumwelt mit ihrer ausufernden Flut an Überflüssigem. Mit einer ähnlichen Strategie wie Andy Warhol in den 1960er Jahren in seinen Siebdruck-Serien Menschen des öffentlichen Lebens in schemenhafte, bunte Ikonen verwandelte, nähert sich Brandenburg aktuellen gesellschaftlichen Phänomenen und reflektiert sie in seinen Zeichnungen. Die Pop Art der Nachkriegsjahre zeigte die kulturelle Bedeutung kommerzieller Massenkultur. Das scheinbar Alltägliche und Triviale rückt auch bei Brandenburg in den Fokus der Kunst und provoziert eine kritische Auseinandersetzung.

In den 1980er Jahren – einer Zeit, in der auch die künstlerische Prägung des Autodidakten Brandenburgs begann – griffen eine Reihe junger Künstler erstmals auf die Pop Art zurück. Brandenburg teilt mit ihnen sein Sujet, aber anders als die Produktionsstätten von Künstlern wie Jeff Koons oder Takashi Murakami, welche die handwerkliche Arbeit Anderen überlassen, geht es Brandenburg immer auch um das Zeichnen als solches. Er verhandelt gesellschaftliche Themen, wählt mit seiner elaborierten Verwendung des zeichnerischen Mediums jedoch einen unkonventionellen Weg. Die Zeichnung, die sich einer Monumentalisierung und der großen, schnellen Geste entzieht, hat einen kontemplativen und fast schon privaten Charakter. Gerade dieses Spannungsfeld zu den extrovertierten Sujets macht die besondere Qualität von Brandenburgs Schaffen aus.

Brandenburgs Zeichnungen und seine künstlerische Haltung, die eine individualistische Exzentrik ebenso sucht wie die Offenheit und Nähe zum Betrachter, treffen den Nerv unserer Zeit. Das Museum für Moderne Kunst in Frankfurt, die Hamburger Kunsthalle und die Städtische Galerie in Wolfsburg haben Brandenburg in den letzten Jahren Einzelausstellungen gewidmet. Auch werden seine Arbeiten zunehmend in internationalen Ausstellungen wie beispielsweise 2010 im Denver Art Museum gezeigt. Im Kunsthaus Stade wird Brandenburg auf drei Etagen verschiedene Werkgruppen präsentieren, darunter zahlreiche neue Zeichnungen, die erstmals zu sehen sein werden. Die Ausstellung wird von Luisa Pauline Fink kuratiert und entsteht in enger Zusammenarbeit mit dem Künstler.

Marc Brandenburg, Tattoo-Bogen, Berghain, 2011 © Marc Brandenburg Noch nie im Museum gezeigt wurde zudem ein Kiosk, den Brandenburg zum 10-jährigen Bestehen des berühmten Berliner Technoclubs Berghain entwickelte. Der Kiosk war dort 2014 wenige Wochen platziert und nimmt unmittelbar auf das Clubgeschehen Bezug. An die Gäste wurden temporäre Tattoos verteilt, die aus Brandenburgs Zeichnungen entstanden sind. Sie zeigen Details des Gebäudes und Überreste der durchtanzten Nächte – all das, was übrig bleibt, wenn die Verausgabung und der Exzess ein Ende haben. Auf die Haut appliziert, bedienen die Tattoos als modische Accessoires die Lust, den eigenen Körper zu schmücken und erinnern zugleich mahnend an die Vergänglichkeit selbst der schönsten Partys. Für die Ausstellung im Kunsthaus Stade wird der Kiosk erstmals wieder aufgebaut und mit seiner mythosbehafteten Vergangenheit, aber auch mit seinen skulpturalen und performativen Qualitäten erlebbar.

Seit 2003 experimentiert Brandenburg mit dem Medium des Tattoos, das in seinem Werk vielfache Formen annimmt und hier zum direkt auf der Haut getragenen Multiple wird, einer Edition, die das Kunstwerk als Unikat in Frage stellt und möglichst viele Menschen zu erreichen sucht. Für die Ausstellung im Kunsthaus Stade wird Brandenburg ferner aus seinem stetig wachsenden Archivmaterial eine temporäre Wandinstallation entstehen lassen.

Zur Ausstellung erscheint ein Katalog mit einem Künstler-Interview und Texten. Speziell für die Ausstellung fertigt Brandenburg eine Tattoo-Edition.