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Eröffnung: Freitag, 19. Oktober 2007 ab 19:00 Uhr

Manfred Schneider (*1959 in München) studierte zunächst Architektur in München und war dann 1990 bis 1996 Schüler von Ilya Kabakov, Thomas Bayrle und Martin Kippenberger an der Frankfurter Städelschule. Er lebt und arbeitet in Berlin.

In der aktuellen Galerieausstellung 'Lines, Signs, Drops, and Dreams' werden eine Skulptur ('Bus Dripping', 2007) sowie Papierarbeiten in verschiedenen Formaten aus der Zeit von 2004 bis 2007 gezeigt.

Manfred Schneiders Zeichnungs-Malereien wirken rätselhaft und strahlen etwas Unheimliches aus. Es sind großformatige, leicht und flüssig entwickelte Tableaus, die sich mit dem politisch-künstlerischen Gedankengut der 60er, 70er und 80er Jahre auseinandersetzen und damit auch die biographische Vergangenheit des Künstlers streifen. Neben den dunklen, fast düsteren 'Waldbildern', die partiell lichtreiche Areale aufweisen, existiert eine zweite große Gruppe von Arbeiten, die überwiegend hell gehalten sind und wenige farbige Akzente enthalten.

Auf den 'Waldbildern' wie etwa 'Heideknaben' und 'Your Mental Erasure' lässt Schneider junge Männer mit langen Haaren als Gruppe posieren, die passiv und fast statisch dem Betrachter mit trotziger Herausforderung gegenüber tritt. Der Wald als Leitmotiv in der deutschen Kunst seit der Romantik, als Ort der Innerlichkeit, des Rückzugs und als Symbol für die Ursprünglichkeit der Natur wird von Schneider in Frage gestellt und ironisch gebrochen – so auch bei der Arbeit 'Hells Angels Walden' (2006, Kohle und Lack auf Papier, 147 x 200 cm). Auf den an den Bäumen angebrachten Bildern ist das 'Flammende Herz' zu erkennen, ein von den Mitgliedern der Hells Angels häufig gewähltes Tattoo. 'Walden' spielt auf eine Publikation des amerikanischen Schriftstellers Henri-David Thoreau (1817–1862) an, der über zwei Jahre lang in einer Blockhütte im Wald verbrachte, um eine alternative Lebensform zu erproben. Schneider thematisiert hier und auch in den anderen Arbeiten die Organisation des Individuums zu Gruppen und Mikrogesellschaften, als bewusster Gegenentwurf zu gängigen Lebenspraxen. Neben politisch eher unkritischen, rechts stehenden Banden wie den Hells Angels umfasst dieser Begriff vor allem die Kommunen der 70er Jahre in Deutschland und Österreich, politische Bewegungen wie die RAF, IRA etc., welche so wie der Wald im Gegensatz zum urbanen Terrain einen geschützten Ort darstellen. Bestimmte Ausdrücke, die auf bedeutungsträchtige Zusammenhänge anspielen wie 'Organic Mystery Theatre', 'Mental Eraser Hippie' oder 'Honigsee' verweisen auf eine inzwischen historisch gewordene Zeit der glühend verteidigten und teilweise gescheiterten Utopien und Modelle in Politik und Kunst. Auch die Frage nach der Glaubwürdigkeit und dem Einfluss von ebenso charismatischen wie demagogischen 'Ikonen' wie Beuys und Mühl wirft Schneider damit auf.

Der formal enge, betonte Zusammenschluss von einzelnen Personen zu einer Gruppe wird in den hellen Zeichnungen 'Camp' (2006, Bleistift und Lack auf Papier, 180 x 150 cm), 'Motherly Love' (2004, Kohle, Bleistift, Signierkreide auf Papier, 200 x 150 cm) und 'Holy, Holy, Holy' (2005, Bleistift auf Papier, 200 x 314 cm) deutlich gelockert. Hier sind einzelne Figuren in einem komplexen Bildraum mit mehreren Ebenen auf Hochstühlen sitzend bzw. frei stehend angeordnet, teilweise aufeinander bezogen, oft vereinzelt, mit seltsam alterlosen Gesichtern, die Puppen und Clowns ähneln, der Körper diffus, manchmal verzerrt. Das Setting der meist weiblichen Figuren wird durch kahle Baumgerippe, Hochsitze und -stühle, Zelte, Tischfragmente und Holzlatten konfiguriert. Dadurch artikuliert sich der menschliche Existenzraum als Provisorium, als sich stetig veränderndes Laboratoire in progress. Auch die immer wiederkehrenden überdimensionalen Tropfen wie auf 'Motherly Love', die den Übergang von einem Zustand zum nächsten veranschaulichen, deuten darauf hin. Auf diesen Arbeiten sind nur wenige farbige Setzungen auszumachen: chamoisfarbene Lackflächen, milchiges Weißblau, bleiches Giftgrün und ein intensiv leuchtendes Dunkelrot, das im Kontrast mit den grauen und schwarzen Grundwerten Assoziationen an Blut aufkommen lässt. 'Holy, Holy, Holy' ist von den drei genannten Werken dasjenige mit dem skizzenhaftesten Charakter und wurde von Manfred Schneider als Entwurf für eine potentiell realisierbare Installation konzipiert. Hier sind die Personen zu Paaren organisiert, die miteinander kämpfen – man weiß nicht, ob im Spaß oder im Ernst. Auch die Holzkeulen sind vielleicht ein weiterer Hinweis darauf, dass im Verfolgen der 'richtigen' Ideale der friedliche Kampfgeist übergangslos und schnell in Gewalt umschlagen kann. Wie kindliche Befehle wirken 'male gelb' und 'male rot', die man regelrecht im Geiste zu hören vermeint – die Umsetzung einer parodistischen Vorstellung vom Künstler in seiner Akademieklasse, der nach Patentrezept Bilder fabriziert.

Teil des Œuvres bilden auch die kleinformatigen DIN-A-4-Arbeiten in Öl auf Papier, die durch ihre Technik, den pastosen, blattfüllenden Farbauftrag und ihre im Vergleich zu den großen 'Skizzen' ausgeprägte Bundheit wie Malereien wirken. Sämtliche typischen Elemente des Gesamtwerks tauchen hier wieder auf – Tropfen, VW- und Peace-Logos, Schrift sowie das Waldthema – und werden ergänzt durch schwarzweiße Photofragmente, mit dem Ergebnis eines unorthodoxen, spielerischen, teilweise sehr prägnanten, signethaften Effekts.

'Bus Dripping' von 2007, die einzige dreidimensionale Arbeit der Ausstellung, ein aus Gips, Montageschaum, Pappe und Eisen nachgebauter VW-Bus mit den Maßen 240 x 215 x 98 cm, lenkt den Blick auf die bildhauerischen Anfänge des Künstlers, der in den ersten Jahren überwiegend Installationen und Skulpturen produzierte, um sich dann seit 2002 vermehrt der Zeichnung zuzuwenden. Durch seine neutralisierende weiße Farbe, die im unteren Teil wie abgerissene Konstruktion und ihren Übergang in langgezogene, tropfende Strukturen, die fast bis zum Boden reichen, oszilliert der 'Bus' zwischen Objekt und Skulptur, löst sich von seiner technisch-mechanischen Gegenstandsbestimmung und wird zu etwas Anderem, Organischem und Amorphem transformiert. 'Train Your Mental Eraser' – ein zwischen Befehl und Wunsch angesiedelter Gedanke an den befreienden Nullzustand im eigenen Kopf oder auch das zynische Statement angesichts jeder Art von Ideologie, die das selbständige Denken jenseits von Ja/Nein-Kategorien einer Gehirnwäsche unterzieht.

Gabriele Wurzel

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Manfred Schneider
LINES, SIGNS, DROPS, AND DREAMS