press release only in german

In der globalisierten Welt scheinen sich Grenzen zu verflüssigen und kulturelle Traditionen zu verschwinden. Das geheimnisvolle Zusammenspiel von Licht und Schwarz ist jedoch seit dem 19. Jahrhundert ein Phänomen der französischen Kunst, das sich – so die Hypothese der Ausstellung „Lumière Noire. Neue Kunst aus Frankreich“ – in der aktuellen Kunst überraschend Geltung verschafft.

Ausgangspunkt für die Idee der Ausstellung waren die Gemälde des jüngsten Künstlers der Ausstellung, des 1982 geborenen Guillaume Bresson. Seine Darstellungen von Schlägereien in Tiefgaragen und Hochhaussiedlungen der Pariser Banlieues haben in der französischen Kunstlandschaft Aufsehen erregt. Seine Kompositionen erinnern an Historiengemälde von Raffael, Poussin oder Caravaggio. Jedoch überführt er das antike Szenario einer „Schlacht um Troja“ oder des „Raubes der Sabinerinnen“ in die Vorstädte. Eine stillere Dramatik spiegeln Dove Allouches menschenleere, nahezu im Schwarz versinkende Zeichnungen von verbrannten Wäldern, Schächten der Pariser Kanalisation oder Berggipfeln wider. Sie entstehen auf der Grundlage von Fotografien, die der Künstler zwar detailgenau überträgt, jedoch verdüstert und atmosphärisch auflädt. Er taucht seine Motive in eine befremdliche, Unheil suggerierende Lichtarmut. Durch das eng begrenzte Tonspektrum seiner silbrig schimmernden Bleistiftzeichnungen nimmt Allouche eine Veränderung des fotografischen Ausgangsmaterials vor, die beim Betrachter Zweifel am Realitätsgehalt des Dargestellten verursacht.

Die in Schwarz wiedergegebene Welt von Allouche findet im Video „Orientations“ von Ismaïl Bahri eine filmische Entsprechung. Bei einem Spaziergang durch Tunis fängt der Künstler die ihn umgebenden Eindrücke als Spiegelung in einem Becher schwarzer Tusche ein. Die Kamera ist dabei auf das Gefäß in seiner Hand gerichtet, das wie ein Kompass den Weg durch die Straßen der Stadt weist. Worte und Gesprächsfetzen, Straßenlärm und Alltagsgeräusche dringen an unser Ohr, verweisen auf eine laute und pulsierende Stadt. Der Künstler verwendet das klassische Zeichenmedium islamischer Kalligrafie in seiner Arbeit als Bildträger, als Projektionsfläche und Augenlinse. Diese gibt uns lediglich ein durch das Objektiv der Kamera gefiltertes, indirektes Bild der umgebenden Wirklichkeit – reflektiert im Schwarz – wieder.

Bahris filmische Arbeit steht in Korrespondenz zu Vincent Tavennes konvex gebogener, schwarzer Scheibe. Wie ein vertikal gekippter, riesiger Tuschebecher fängt auch sie die Umgebung in ihrer spiegelnden Oberfläche ein und übt eine magische Anziehungskraft auf den Betrachter aus. Der Künstler beschäftigt sich mit kosmologischen Konzepten und der Subjektivität unserer Wahrnehmung. Die Arbeiten setzen dabei immer eine aktive Beteiligung des Betrachters voraus, sind Erkundungs- und Erlebnisraum, der unsere Vorstellung von Innen und Außen, von unserem Körper und seinem Verhältnis zur Umgebung in Frage stellt.

Die verborgenen Schichten unter dem absorbierenden Schwarz sind auch Thema der Arbeiten von Benjamin Swaim. Seine „Images surpeintes“, mit schwarzer Tusche übermalte Druckseiten aus alten Bildbänden, legen in ihrer Anordnung einen fortlaufenden Handlungsstrang nahe, verweigern sich letztendlich aber jeglicher Narration. Einer Collage vergleichbar erfahren die Darstellungen durch Fragmentierung und Überlagerung eine bisweilen groteske Verfremdung. Swaims Vorgehen changiert zwischen der Betonung für ihn reizvoller Bilddetails und der fast vollständigen Übermalung der Seiten, die nur noch ein briefmarkengroßes Fenster offen lässt.

Yann Toma hingegen versteht sich als Leiter auf Lebenszeit einer Firma, die ungewöhnliche und mysteriös erscheinende Produkte anbietet. Als metaphorischer Rahmen für seine vielfältigen Werke, Projekte, Fotografien, Filme und Performances dient das ehemalige Energieunternehmen „Ouest-Lumière“, dessen Namensrechte er erwarb und Aktien umwandelte, nachdem Anfang der 1990er die Archive der bankrott gegangenen Firma wieder entdeckt wurden. Tomas Unternehmen beschäftigt sich mit dem Speichern und der Verbreitung von Energien. Anstelle von elektrischer Energie produziert er künstlerische Energie. In seiner Produktpalette finden sich auch die „Crimes sur commande“, ein an den Film Noir erinnerndes Angebot an den Kunden, seinen eigenen Tod zu planen, der in der Folge vom Künstler inszeniert und vielfältig dokumentiert wird.

Die mitunter surrealen Aspekte der „Images surpeintes“ von Swaim und der „Crimes sur commande“ von Toma werden von Nick Devereux’ „Surrogates“ flankiert. Seine in Kohle und Öl ausgeführten Bilder entstehen auf der Grundlage von Assemblagen, für die er Tierfelle, Puppenteile oder Porzellanscherben verwendet. Diese in Anlehnung an die surrealistische Tradition des „objet trouvé“ zusammengefügten Kleinskulpturen dienen in der Folge als Modell. Die farbliche Reduktion auf Schwarz-, Grau- und Weiß-Töne steigert die Befremdlichkeit der „Surrogates“, die sich über das einheitliche Kolorit zu einem organischen Ganzen zusammenbinden lassen.

Bleibt Devereux‘ Bildsprache in einem an das Unterbewusstsein appellierenden Zwischenreich des Traumhaften, so mutieren Damien Deroubaix‘ Zwitterfiguren zu bedrohlichen Todesengeln. „World Downfall“ oder „Gott mit uns“ heißen seine apokalyptische Szenarien, in denen das Schwarz als Symbol für Tod, Zerstörung und Verfall steht. Seine Quellen sind die düstere Musik des Grincore, des Death Metal und des Hardcore Punk sowie Holzschnitte von Dürer und Holbein. Die riesigen, im Collageprinzip erstellten und mit Acrylfarbe überarbeiteten Holzschnitte sind moderne Allegorien des Untergangs und des menschlichen Verfalls. Sie vereinen Versatzstücke mittelalterlicher Totentänze mit den heutigen Schrecken atomarer und terroristischer Bedrohung.

Nicolas Chardon hingegen bedient sich einer konstruktiv-konkreten Bildsprache. Seine verfremdeten Zitate der abstrakten Malerei des 20. Jahrhunderts von Kasimir Malewitsch bis zu Frank Stella entstehen auf der Grundlage einer strengen und zugleich absurden Systematik. Die leicht aus dem rechten Winkel gekippten schwarzen Quadrate, Kreuze und Streifen sind nicht mit dem Lineal gezogen, sondern folgen dem Raster der mit Vichykaro bedruckten Stoffe, die er als Malgrund benutzt.

Auch der durch seine Teilnahme an der letzten Documenta bekannt gewordene Künstler Saâdane Afif überführt bestehende künstlerische Positionen in einen neuen Kontext. Sein minimalistischer, aus mehreren Segmenten zusammengesetzter Stab „Black Spirit“ etwa spielt auf die „Barres de bois rond“ des rumänischen Künstlers André Cadere an, die aus farbig bemalten Zylindern nach streng mathematischen Vorgaben zusammengesetzt sind. Afifs Variante des Cadere-Stabes ist jedoch absichtlich geschwärzt und um einen gleichnamigen düsteren Text der französischen Künstlerin Lili Reynaud-Dewar ergänzt, der in einem weitergehenden Schritt von Tujiko Noriko & Portradium vertont wurde. Der Minimalismus im Werk der in Berlin lebenden Künstlerin Sophie Bueno-Boutellier äußert sich nicht nur in der Form ihrer Werke, vielmehr bestimmt er entscheidend ihren Schaffensprozess. Das Wandrelief „Cosmic Time n°006: Travelling in a Circular Path“ zählt zu einer Reihe von Fadenskulpturen, die durch das Verspannen von Wollfäden zwischen in die Wand eingeschlagenen Nägeln entstehen. Die vertikal geführten hellen Fäden werfen einen Schatten auf die dahinter liegende Wand, wodurch die filigrane Raumzeichnung durch ein immaterielles, schwarzes Pendant verdoppelt wird.

Den spektakulären Abschluss bildet eine Skulptur von Vincent Ganivet, die den Aspekt der Grisaille, der Graumalerei, auf ungewöhnliche Weise aufnimmt. Der Künstler entwickelte durch das langjährige Arbeiten mit Hohlblocksteinen aus Beton eine Ästhetik der Baustoffe. Denn die können je nach Anbieter und Region in unzähligen Grauschattierungen variieren. Nach dem Prinzip von Gewölbekonstruktionen errichtet er überdimensionale, fragil anmutende Bogenskulpturen, die ohne verbindenden Mörtel auskommen. Die sechs Meter hohe Skulptur wurde im Hinblick auf die besondere Architektur der Karlsruher Rotunde eigens vom Künstler entwickelt und in einer zweiwöchigen Bauphase errichtet.

Mit „Lumière Noire“ führt die Kunsthalle ihr Profil als Sammlungs- und Ausstellungsinstitution für französische Kunst in die Zeitgenossenschaft fort. Die Ausstellung knüpft an erfolgreiche Projekte zur französischen Kunst des 18. und 19. Jahrhunderts an, die in den letzten Jahren realisiert wurden. Hierzu zählen u. a. die großen Landesausstellungen zu Chardin, Delacroix und Vuillard sowie zur französischen Plastik der Moderne. Die von Alexander Eiling kuratierte Ausstellung steht unter der Schirmherrschaft des Botschafters der französischen Republik.

Zur Ausstellung erscheint ein zweisprachiger Katalog (deutsch/englisch) im Verlag Walther König mit Beiträgen von Pia Müller-Tamm, Alexander Eiling, Dorit Schäfer, Katja Baudin, Céderic Aurelle und Jens Emil Sennewald sowie einem Interview mit dem französischen Kunstkritiker und Kurator Nicolas Bourriaud.

only in german

Lumière Noire
Neue Kunst aus Frankreich
Kurator: Alexander Eiling

Künstler: Saadane Afif, Dove Allouche, Ismail Bahri, Guillaume Bresson, Sophie Bueno-Boutellier, Nicolas Chardon, Damien Deroubaix, Nick Devereux, Vincent Ganivet, Benjamin Swaim, Vincent Tavenne, Yann Toma