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Das Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum zeigt bis 27. Oktober eine umfangreiche Werkschau zu Lois Weinberger anlässlich seines 65. Geburtstags. Der renommierte Tiroler Künstler hat dafür über 50 seiner Werke von den späten 1970er Jahren bis heute ausgewählt, die in Tirol bislang nicht ausgestellt waren. Weinberger arbeitet auf unkonventionelle Weise mit dem Verhältnis zwischen Natur- und Zivilisationsraum. Er lenkt den Blick auf Randzonen unserer Gesellschaft und stellt Hierarchien in Frage. Seine Zeichnungen, Texte, Fotografien, Skulpturen und Marginalien eröffnen mitunter archaische und mystische Welten. In der Ausstellung zu sehen sind zentrale Arbeiten wie seine installative „Invasion“ von Baumschwämmen, seine „Wilde Cubes“ und Varianten seines „Green Man“. Als sichtbares Zeichen nach außen gestaltet Weinberger auf dem Balkon des Museums eine Installation mit Pflanzen.

„Nach fünf Jahren haben wir mit dieser Werkschau erstmals wieder eine großangelegte Ausstellung zu Lois Weinberger im deutschsprachigen Raum“, zeigt sich PD Dr. Wolfgang Meighörner, Direktor der Tiroler Landesmuseen, über die Personale „Lois Weinberger“ erfreut. „Der international arbeitende Künstler definiert mit seinem facettenreichen Werk die Rolle der Gegenwartskunst, indem er sie zum Impulsgeber für gesellschaftspolitische und kunsttheoretische Diskussionen macht“, so Meighörner weiter. „In Weinbergers Arbeiten wird sowohl die Symbiose, aber auch der Gegensatz von Mensch und Natur bzw. Natur und Kultur in seiner Vielschichtigkeit neu formuliert, erweitert und hinterfragt“, hält Dr. Günther Dankl, Kurator der Ausstellung und Kustos der Kunstgeschichtlichen Sammlungen ab 1900 & Graphischen Sammlungen der Tiroler Landesmuseen, fest.

Poetisch-politischer Feldarbeiter Prägend für das künstlerische Schaffen Weinbergers sind seine Kindheitserfahrungen mit Tieren und Pflanzen, mit Bräuchen und Riten auf dem elterlichen Bauernhof in Tirol. 1977 gibt Weinberger den erlernten Schlosserberuf auf und beginnt, sich auf unkonventionelle Weise mit dem Verhältnis zwischen Natur- und Zivilisationsraum auseinanderzusetzen. Zunächst sammelt er Objekte und Fundstücke aus seiner Umgebung und startet eine „fragmentarische Bestandsaufnahme“ seines Heimatorts, ohne damit ein Kunstwollen zu beabsichtigen. Bald erweitert er seinen Radius auf einen sich stets in Änderung befindlichen Handlungsraum und beschäftigt sich mit Motiven und Symbolen aus der Tier- und Pflanzenwelt.

Weinbergers Aufmerksamkeit gilt in erster Linie dem zumeist Unbeachteten, dem Marginalen und dem an den Rand der urbanen Existenz Gedrängten. Besonders interessieren den Künstler die Ruderalpflanzen, die gemeinhin als „Unkraut“ angesehen werden. Die Trümmerflora, die sich als Erstbewuchs auf Schutthalden und Brachen bildet, die durch den Menschen nicht gebändigte Natur, wird kennzeichnend für seine Arbeit. Mit den Ruderalpflanzen besetzt er symbolhaft ein weites Feld. Sie sind eine Metapher für den Widerstand gegen die vorherrschende Ordnung bzw. für Freiheit. Seine Arbeitsweise und sein künstlerisches Arbeitsfeld umreißt Weinberger mit dem Begriff „Ruderal Society“. Er distanziert sich damit von jeglicher Vereinnahmung durch die Ökologiebewegung unserer Zeit sowie das reglementierende Eingreifen in die Prozesse der Natur.

Unkraut als Metapher für das Wilde Anfang der 1990er Jahre entwirft Weinberger den „Wild Cube“ – eine Torstahl-Einfriedung, die der Beachtung von Spontanvegetation dient und ordnende Kräfte in Frage stellt. Gleichzeitig beginnt der Künstler mit den subversiven Pflanzentransfers im Stadt- und Landschaftsraum. Von 1988 bis 1999 bebaut er sein „Gartenarchiv“, ein Stück Land am Rande von Wien in der Nähe der Alten Donau. Das „Gebiet“ wird zum Reservoir von gefährdeten Pflanzen aus Osteuropa. Ab Mitte der 1990er Jahre verwandelt Weinberger alltägliche Transportmittel wie Einkaufstaschen in „transportable Gärten“. Sein mit aus Süd- und Südosteuropa stammenden Neophyten bepflanztes Bahngleis bei der documenta 1997 in Kassel, das als Metapher für die Migrationsprozesse unserer Zeit zu sehen ist, oder sein karger Dachgarten auf dem Watari Museum in Tokio sorgen für Furore. Das für die neue Sozial- und Wirtschafts-wissenschaftliche Fakultät der Universität Innsbruck 1999 geschaffene Kunst-am-Bau-Projekt „Garten – eine poetische Feldarbeit“ wird über mehrere Monate von Demonstrationen bekämpft und von der Politik verunglimpft.

Dokumentation durch Fotos Ein Großteil der Arbeiten von Weinberger ist einer ständigen, naturbedingten Veränderung unterworfen. Mit dem Medium der Fotografie dokumentiert der Künstler seine wachsenden, blühenden und verblühten Positionen. Seine Fotos erzählen von gesellschaftlichen Phänomenen wie Migration, Ausgrenzung, von Vergänglichkeit und Schönheit abseits von Ordnung und Struktur. Sie zeigen den Künstler inmitten seines Materials.

Assoziative Textgebäude Das geschriebene Wort hat bei Weinberger eine ebenso große Bedeutung wie seine zufällig erscheinenden Fundstücke, Notizen, Zeichnungen, Aquarelle, Collagen, Objekte, Fotos, Filme und Arbeiten im öffentlichen Raum. Seine Beschrei-bungen, Sätze und Texte handeln nicht über seine Kunst, sondern sie sind Teil davon. Oftmals wirken sie selbst wie grafische Arbeiten und Bilder, die nicht illustrieren oder interpretieren, sondern interpunktieren. „Brachen / Peripherien / Lücken im Urbanen / sind Orte, an denen sich die Grenzen als Weiterführendes – Bewegtes – Unsicheres zeigen“, steht z. B. am Beginn eines 1990 verfassten Textes.

Große Werkschau im Ferdinandeum Der mit zahlreichen Preisen ausgezeichnete Künstler präsentiert im Ferdinandeum über 50 seiner in Tirol bislang nicht ausgestellten Werke von den späten 1970er Jahren bis heute. Die Ausstellung, die wie ein Pfad durch das rund 40-jährige Schaffen Weinbergers angelegt ist, beginnt mit Exponaten, die noch in seinem Heimatort Stams entstanden sind, und endet mit aktuellen Arbeiten aus seinem Atelier in Gars am Kamp. So treffen die BesucherInnen am Eingang auf eine installative „Invasion“ von Baumschwämmen, die Weinberger stellvertretend für ein in der Natur vorkommendes Netzwerk des Nehmens und Gebens, des Eroberns und Unterwerfens sieht. Noch aus der Zeit in Stams stammt die Mitte der 1970er Jahre entstandene Arbeit „Roter Faden“, eine Assemblage von Naturmaterialien in Kombination mit einem unscheinbaren – und dennoch titelgebenden – roten Faden, eine bewusst gestaltete Symbiose von Natur und Kultur (roter Faden). In Anlehnung an kindliche Abzählreime, aber auch Sinnsprüche des bäuerlichen und religiösen Lebens in Tirol führt Weinberger in „I-weed“ eine ritualisierte Wortwieder-holung vor. In dem Wortspiel bringt er zugleich die Benennung von Pflanzen zum Ausdruck.

Archaisch-mystische Welten Ausgestellt sind ein Modell seines „Wilde Cube“ − sein Käfig für Wildwuchs − sowie sein „Wilde Cube Destroyed“ aus dem Jahr 2009, eine Ruderaleinfriedung nach ihrer Deformierung und allmählichen Zerstörung durch die Natur. Zu den zentralen Arbeiten der Ausstellung gehört die Skulptur „Pflanzen, die Gesichter machen“, ein Tisch mit in Papiersäckchen abgefüllten Samen des Stechapfels. Die Pflanze spielt als Rauschmittel, aber auch als medizinisches Heilmittel in allen Zeiten und Kulturen eine bedeutende Rolle. Weinberger zeichnet verzerrte Gesichter auf die Papiersäcke und bringt damit deren Inhalt in die Nähe ihrer ursprünglichen Bedeutung für Orakel, Krankheits- und Geisterbannung. Das durch die magische Weltsicht geprägte „wilde Denken“ spiegelt auch die 2012 für die Biennale in Benin/Westafrika geschaffene Arbeit „Botanica“ wider. In engem Zusammenhang damit ist Weinbergers Auseinandersetzung mit der Figur des „Grünen Mannes“ zu sehen, der in seiner Arbeit immer wieder auftaucht. Auf keltischen Wurzeln fußend, verbindet man mit ihm eine Art mystischen Archetypus bzw. eine Verkörperung der Natur. Durch einen spielerisch-ironischen Umgang mit Natur und Mystik verwandelt sich der Künstler in einen „Green Man“, indem er sein Gesicht mit grüner Farbe bestreicht. Aus Modellier-masse und Naturmaterial schafft er den „Gazi“, aus Kletten einen liegenden „Green Man“. Sie sind Zeichen für den unlenkbaren Geist des Lebenden und der Ursprünglichkeit.

Kunstimmanente Grenzverschiebung Als sichtbares Zeichen nach außen gestaltet Weinberger auf dem Balkon des Ferdinandeum eine Installation mit Pflanzen. Mit Erde befüllte gelbe Eimer, die zumeist nur auf Baustellen verwendet werden, setzt er Wind, Regen und der Sonne aus. Der Künstler hält damit der gerade in Tirol allerorts durchgeführten offiziellen Grünraumgestaltung und Balkonbepflanzung ein weithin sichtbares Zeichen entgegen. Zugleich bilden die gelben Baukübel auch einen Eingriff in die architektonische Fassadengestaltung des Museums. Bewusst lässt Weinberger die Heroen der Kunst- und Kultur-geschichte Tirols und profane Bauutensilien aufeinander prallen, die sich schlussendlich als ergänzendes Nebeneinander erweisen sollen. Der Künstler verfolgt damit eine Grenzverschiebung, die für sein Werk so typisch ist.

Neue Wege in der zeitgenössischen Kunst Weinberger hat mit seiner Arbeit die Debatte zu „Kunst und Natur“ in den 1990er Jahren bis heute maßgeblich mitbestimmt. Das eben in London erschienene Buch „Sculpture Now“ in der Reihe „World of Art“ zählt ihn international zu den bahnbrechenden Künstlern, die in der zeitgenössischen Kunst neue Wege beschreiten und Maßstäbe setzen. Der 1947 in Stams/Tirol geborene Weinberger wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, so u. a. mit dem Kunstpreis der Stadt Wien (1988), dem Würdigungspreis für Bildende Kunst des Bundeskanzleramts (2005) und dem Tiroler Landespreis für Kunst (2006). Von 2003 bis 2009 arbeitete er teilweise mit seiner Frau Franziska zusammen an Projekten im öffentlichen Raum. Weinberger ist bei bedeutenden internationalen Ausstellungen vertreten, wie z. B. 1991 bei der Biennale in Sao Paolo, 1997 bei der documenta X in Kassel oder 2009 im Österreichischen Pavillon bei der 53. Biennale di Venezia. Weinberger lebt und arbeitet in Wien und in Gars am Kamp.

BEGLEITPUBLIKATION Zur Ausstellung erscheint die Begleitpublikation „StudioHefte 14. Lois Weinberger“ mit einem Vorwort von Wolfgang Meighörner und einem Text von Günther Dankl. Sie dokumentiert die Werkschau mit über 30 Abbildungen (ISBN 978-3-900083-44-1, Preis € 5, online bestellbar unter www.tiroler-landesmuseen.at). Ebenfalls im Museumsshop der Tiroler Landesmuseen erhältlich ist die 2013 im Hatje Cantz Verlag erschienene, umfassende Monografie zu Lois Weinberger.