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Im Zentrum der Arbeiten von Anny und Sibel Öztürk (Jg. 1970 und 1975) steht das Spiel mit kultureller Identität. Die aus der Türkei stammenden, in Offenbach lebenden Künstlerinnen untersuchen in ihren Arbeiten Einflüsse und Strukturen kultureller Hintergründe, die sie mehr als einer nationalen Kultur, mehr als einem geographischen Ort verdanken. Sie betonen die Vielfalt der Kulturen und zeigen die Vordergründigkeiten stereotyper Projektionen auf. Ihre Arbeiten, Zeichnungen, Objekte, Filme und Installationen haben einen stark erzählerischen Charakter.

In der Kunsthalle zeigen die Künstlerinnen eine zweiteilige Installation mit dem Titel „Lido“. Eröffnet wird die Ausstellung von zum Teil mehrteiligen Zeichnungen, in denen Bild- und Texterzählung einander ergänzen. In verschiedenen Einzelgeschichten berichten die Künstlerinnen von Kindheitserinnerungen, in denen die Geschichten ihrer Eltern von der Türkei zu einer von der gesamten Familie geteilten Gegenwelt zum Alltag in der Bundesrepublik entwickelt werden. Dabei berichten die Eltern zunächst im Eberbach und dann im Offenbach der 70er Jahre von einer Türkei aus der Zeit vor ihrer Migration nach Deutschland, das heißt, von einer Türkei der 50er und 60er Jahre. Diese Gegenwelt läßt sich in Ferienaufhalten bei Großeltern und Tanten aufsuchen und entfaltet in all ihrer Andersartigkeit von Wahrnehmungen, Gebräuchen und Gerüchen, aber auch anderen sozialen Traditionen und vermittelten Wertevorstellungen, ihre eigene, für die Künstlerinnen prägende Faszination.

Der Parcours der Zeichnungen führt zu einer Tür, über der ein Leuchtschriftzug „Lido“ prangt und neben der ein Text ein weiteres Erinnerungsszenario eines Ortes beschreibt. Der Text spricht von türkischen Süßspeiselokalen am Wasser, von Eiscreme, Filmprojektionen im Freien, der Hand des Großvaters, vom Kindsein im Sommer. All dies weist den in der Installation beschriebenen Ort als eine bildhafte Nacherzählung individueller Erinnerungen aus. Diese Informationen nehmen die BetrachterInnen mit in den Raum hinein und können der Subjektivität dieser Erinnerungen nachspüren. Hinter der Tür ist es dunkel, warm und riecht nach Sommer. Ein von niedrigen Ballonleuchten im Stil der späten 50er Jahre beleuchteter Weg schlängelt sich durchs Grüne, an einem Teegarten vorbei, zu einem See mit einer Holzplattform. Über dem Wasser steht der Mond, Zikaden zirpen, fremde Gerüche erfüllen die Luft, Lampions leuchten in frohen Farben und in der Ferne erklingen alte türkische Schlager der 50er und 60er Jahre. Die BesucherInnen treffen auf die Bezeichnungen einer Vielzahl spezifischer kultureller Determinanten, die einen bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit zu markieren scheinen. Doch verliert sich die Installation keineswegs in der Illustrierung von Privatem. In Zitaten und Assoziationen von filmischen Bildern, Szenen etwa aus den Hollywoodfilmen „Roman Holiday“ oder „Houseboat“, erfährt die Gestaltung des Ortes eine Verallgemeinerung.

Die Tradition türkischer Gastfreundschaft, die Anny und Sibel Öztürk in ihren Bilderzählungen als einen der wichtigsten Aspekte der von den Eltern vermittelten türkischen Kultur betonen, kommt in der Installation in mehrfacher Hinsicht zum Tragen. Zahlreiche KünstlerInnen sind eingeladen, ihre Filme, Performances, Klangarbeiten in der Ausstellung vorzustellen, u.a. Ayse Erkmen, Sandra Mann und Takagi Masakatsu. Anläßlich der Finissage, am 27.11.2005, werden die BesucherInnen von den Künstlerinnen persönlich als Gäste empfangen mit selbst zubereiteten türkischen Nachspeisespezialitäten und türkischer Live-Musik. (Rafael von Uslar)

Begleitprogramm zur Ausstellung

Samstag, 12. November 2005, 20 Uhr, Eröffnung ab 22 Uhr Musik: Klangkombinat „motif mash“

Ein Netz aus Klang-Ereignissen und Bildmanipulationen – subjektive Abstraktionen des Identitätsbegriffs – in Echtzeit geknüpft von Michael Junck (Bewegtbild & Elektronik) und Stefan Greiner (Saiteninstrumente & Klangeffekte).

Sonntag, 13. November 2005, 15 Uhr Filmvorführung: Fatih Akin „Crossing the Bridge – The Sound of Istanbul“ Deutschland 2005, 90 min.

Alexander Hacke, seit über 20 Jahren Mitglied der Band EINSTÜRZENDE NEUBAUTEN, lernte im Zusammenhang mit der Musikproduktion für Fatih Akins Film GEGEN DIE WAND das musikalische Leben in der türkischen Metropole Istanbul kennen. In seinem Film begleitet Fatih Akin Alexander Hacke mit der Kamera und porträtiert Istanbuls lebendige Musikszene, deren Musik überall in der Stadt präsent ist und die von ihren Einwohnern heiß geliebt wird. In Anwesenheit von Andreas Thiel, Filmproduzent und künstlerischer Mitarbeiter von Fatih Akin.

Freitag, 18. November 2005, 19 Uhr Gespräch: „Blondies and Brownies. Was ist deutsch?“ Rassismus, Integrationsunfähigkeit und Kunst, ein Streitgespräch.

Mit Prof. Adrian Rifkin (London) und Rafael von Uslar (Köln). In englischer Sprache.

Samstag, 19. November und Samstag, 26. November 2005, 17 − 19 Uhr Filmprogramm: U.a. mit: Paola Anziche, Aysun Bademsoy, Christoph Blum, Sunah Choi, Ayse Erkmen, Shahram Entekhabi, Jeanne Faust, Masaki Fujihata, Rainer Ganahl, Tamara Grcic, Wiebke Groesch/Frank Metzger, Özlem Günyol/Mustafa Kunt, Laura Horelli, Marko Lehanka, Sandra Mann, Takagi Masakatsu, Ayse Polat, Barak Reiser, Adrian Williams, Jun Yang.

Sonntag, 20. November 2005, 16 Uhr Soundperformance: Christoph Blum „Bird Cage Variant“

John Cage’s Bird Cage (12 tapes to be distributed by a single performer in a space in which people are free to move and birds to fly), für vier Tonbandabspielgeräte und vier Lautsprecher, aufgeführt unter Verwendung von Tonbändern mit ausschließlich Vogelstimmen. Dauer: 26 min.

Donnerstag, 24. November 2005, 20 Uhr (Achtung! Geänderte Anfangszeit!) Erzählabend: Konstantin Adamopoulos und Sefa Inci Suvak „Das heimatliche Fremde“

Ein Erzählabend mit den Künstlerinnen Anny und Sibel Öztürk, dem Kurator Konstantin Adamopoulos und der Journalistin Sefa Inci Suvak (WDR/Migration-Audio-Archiv) über Kindheitserinnerungen an das vertraute Fremde auf den Reisen zwischen den Kulturen. Es geht um die Perspektive derer, die als Kinder das Fremde als etwas Vertrauenswürdiges erlebten. Besucher können ihre Erinnerungsstücke, Fotos, Videos und Super8-Filme von Familienurlauben mitbringen und von ihren frühen Kultureindrücken erzählen.

Freitag, 25. November 2005, 17 Uhr Livestream-Vortrag: Sascha Büttner „Von der Notwendigkeit, sich nachhaltig über den grünen Klee loben zu müssen.“ Ein Serverhappening an zwei Orten.

Sonntag, 27. November 2005, 18 Uhr, Finissage Anny und Sibel Öztürk backen „Lokma“, eine türkische Süßspeise, untermalt von klassischer türkischer Musik. ab 20 Uhr Musik: Love is here Johannes Leis (Saxophon/Piccoloflöte), Lennart Nevrin (Piano) und Peter Thoms (Schlagzeug), Jazz-Standards

Pressetext

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Lido
Ein Projekt von Anny & Sibel Öztürk,
Im Rahmen von "Der neue Orient" (www.der-neue-orient.de)

Begleitprogramm mit Konstantin Adamopoulos, Fatih Akin, Paola Anziche, Aysun Bademsoy, Christoph Blum, Sascha Büttner, Sunah Choi, Shahram Entekhabi, Ayse Erkmen, Jeanne Faust, Masaki Fujihata, Rainer Ganahl, Tamara Grcic, Wiebke Grösch / Frank Metzger, Özlem Günyol / Mustafa Kunt, Laura Horelli, Klangkombinat , Marko Lehanka, Sandra Mann, Takagi Masakatsu, Ayse Polat, Barak Reiser, Adrian Williams, Jun Yang, u.a.