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Lethe ist der Strom des Vergessens. Er gehörte über Jahrhunderte als mythisches und poetisches Bild zur Ikonographie der Unterwelt. Es war Dante, der in der „Göttlichen Komödie“ den Fluß Lethe aus der Unterwelt ins irdische Paradies verlegte. Dort entspringt er derselben Quelle wie der Fluß Eunoë, der Strom des „guten Gedächtnisses“. Wer vom irdischen in das himmlische Paradies aufsteigt, muss beide Flüsse durchqueren. Harald Weinrich hat das ein „mnemotechnisches Kunststück“ genannt. Es steht am Beginn der neuzeitlichen Kunst.

Die Ausstellung Lethe.Archiv vereint zwei denkbar gegensätzliche künstlerische Oeuvres zweier verschiedener Generationen. Ebersbachs gestisch erregte Malereien in den oberen Räumen – autobiographische Reflexionen über Vergessen und Erinnern – treffen auf die nüchterne und höchst formstrenge Fotografie des Zyklus` „Depot_Bilder“ von Hesse, der im unteren Raum gezeigt wird.

Für den Leipziger Maler Hartwig Ebersbach (geb. 1940) ist das Thema lange vertraut. Ebersbach geht vom Kalligraphischen aus und treibt das Schrift-Medium der Erinnerung seines alter ego "Kaspar" hin zu figürlichen Formen. "Lethe" ist eine jüngst entstandene Gruppe von Bildern, die diesen Vorgang als Prozess des Vergessens versteht, vor allem als Selbstvergessen im Traum. Ebersbach malt die Riten des Vergessens, den Lethe-Strom in sich. Und was er in den obsessiven Traum-Protokollen zutage bringt, zeigt die Gegenwart des nie Gewesenen "Archiv" der eigenen Psyche.

Kai-Olaf Hesses (geb. 1966) fotografische Bilder konstatieren die (End-)Lager von Artefakten konservierter Erinnerung. Er hat in Museumsdepots, Lagern und Archiven Hunderte Aufnahmen gemacht. Dabei interessieren ihn nicht so sehr die räumliche Beschaffenheit dieser Orte oder die konkreten Materialien und Formen ihres Aufgehobenseins, sondern vielmehr der Vorgang des Aufhebens selbst. Und mit ihm seine Endlichkeit. Hesse fotografiert in Serien. Er zeigt, wie der einzelne Gegenstand in Depots und Archiven seine Individualität verliert. In gleichem Maße finden deren Bilder in einer sich beständig ausdehnenden "Unterwelt" von Fragmenten kollektiver Erinnerung zusammen. Das archivalische Gedächtnis als materiell-räumliche Struktur – so kann man die Bilder verstehen – gelangt irgendwann an die Grenzen seiner Aufnahmefähigkeit.

Vergessen ist nicht das Gegenteil von Erinnern, es ist dessen Voraussetzung: Nur das, was vergessen werden kann, steht der Erinnerung offen.

Pressetext

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Lethe.Archiv
Hartwig Ebersbach Malerei
Kai-Olaf Hesse Fotografie