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In den traumartigen Bildwelten der Leiko Ikemura existieren im Wesentlichen zwei Dinge: Horizont und Mädchen. Die Konzentration, mit der sich Ikemura diesen beiden Elementen widmet, hat etwas Meditatives. Die immer wiederkehrenden Motive entstehen langsam während eines langwierigen Malprozesses aus unzähligen, sich transparent überlagernden Farbschichten. Man könnte dazu auch sagen: sie erscheinen.

In den Bildern Ikemuras ist der Horizont nicht nur eine Linie in der Ferne. Er ist vielschichtig, diffus, phosphoreszierend - eine vibrierende Sphäre, oder, wie es Elisabeth Bronfen in dem jüngst erschienen Katalog „Leiko Ikemura. Skulptur Malerei Zeichnung" ausführt: ein Niemandsort, eine Schwelle zwischen Tag und Nacht, zwischen Himmel und Erde, zwischen Diesseits und Jenseits. Das Sujet erinnert, vor allem in den noch dunkleren Bildern der 90er Jahre, an Caspar David Friedrichs „Mönch am Meer". Die Atmosphäre diffusen Zwielichts beschreibt einen inneren Zustand des Übergangs. Hier wie dort geht es um Introspektive, um das Sichtbarmachen tiefer Empfindung. Doch während in dem berühmten Gemälde C. D. Friedrichs Land und Himmel hell sind und der Horizont, wo Himmel und Meer sich berühren, in schwarz umwölkte Dunkelheit getaucht ist, hebt er sich in Ikemuras Bildern farbig und wie von innen erleuchtet vor einem dunklen Hintergrund ab. Und während der einsame Mönch sich winzig vor der Unendlichkeit des Horizonts verliert, ohne an ihn heran zu ragen, erheben sich Ikemuras kleine Mädchen riesenhaft über ihn. Der Kopf dieser schemenhaft schwebenden, durchleuchteten Gestalten ist oft vom oberen Bildrand abgeschnitten, Röckchen oder Beine, soweit sichtbar, verlaufen unten ins Leere, lösen sich auf im Horizont. Es ist, als wären sie aus diesem Horizont geboren und als könnten sie jederzeit wieder in ihn eintauchen und darin verschwinden. Der Horizont ist ihr Element. In der endlosen schwarzen Leere der Bilder ist er ihr Drahtseil, auf dem sie schwebend sitzen, schlafen oder landen.

Wer aber sind nun diese geisterhaften Mädchen? Sie tragen kurze, durchscheinende Röckchen, die an Tütüs oder Schuluniformen erinnern, grüne oder blaue Haare und helmartige Frisuren. Die Hände sind im Schoß gefaltet und der Blick ihrer schemenhaft dunklen Augen ist nach innen gekehrt und stets gesenkt. (Manchmal scheint es fast, als würden sie sich auf ihn stützen.) Sie wirken leicht melancholisch oder gar traurig, aber auch wiederum friedvoll und Eins mit ihrer Welt. Manchmal jedoch auch unheimlich - wie Geister eben. Und manchmal scheint es, als würde sich hinter der malerischen Transparenz ihrer Körper der unberechenbare Geist eines Anime, eines sexy Mangas oder kriegerischen Pokémon, verstecken. Zunächst waren die Mädchen allein, wie der einsame Mönch am Meer. Dann bekamen sie plötzlich Schatten und Spiegelungen ihrer selbst. Sie begannen, sich und ihren Horizont auf rätselhafte Weise zu verdoppeln und zu multiplizieren. Haben sie sich selbst vervielfacht, und sich ihre eigenen Gefährtinnen erschaffen? Verkörpern sie die grundsätzliche Pluralität menschlichen Daseins, oder allen Daseins überhaupt, in diesem transitorischen Schwellenraum?

Unübersehbar haben sich Ikemuras Mädchen in letzter Zeit weiter verwandelt, und ihr Universum sich mit ihnen. Die Farben sind heller, der Himmel und das Meer blauer, die kleinen Mädchen erwachsener geworden. Ihre Haare sind länger und blond, und die einst körperlosen Wesen haben nun kindlich-weibliche Bikinifiguren, die sie halb kokett, halb verschämt zur Schau stellen. Aus Geistern wurden beach girls. Es scheint, als hätten sie ihren schwebenden Zustand im Zwielicht verlassen und wären ins irdische Terrain der Badenden zurückgekehrt. Auch bevölkern sie den Horizont nun nicht mehr alleine, sondern haben Gesellschaft von Vögeln, Enten oder Ponys bekommen. Doch die Idylle ist trügerisch. Etwas beunruhigt spürbar in diesen Bildern - sei es in der verletzlichen, spärlich verhüllten Erotik der beach girls, in ihren verdunkelten Gesichtern, oder in den Kriegsschiffen, die Ikemura an den Horizont assoziiert. Die grundsätzliche Ambiguität manifestiert sich auch in der ebenfalls mit „Beach Girl" betitelten Bronzeskulptur - mit ihren bell-bottom Hosen und dem Katzenschwanz ähnelt sie jedoch eher einer chimärenhaften Kämpferin aus einem Sci-fi Comic. Das kindlich-zerbrechliche, und das geisterhaft-animalische sind Wesenszüge, die in den Mädchengestalten Leiko Ikemuras unzertrennlich sind.

Eva Scharrer Pressetext

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Leiko Ikemura “beach girls“