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„Eine Lehrerin, die einen Schüler abfragt, informiert sich nicht; ebenso wenig informiert sie sich, wenn sie eine Grammatik- oder Rechen-Regel lehrt. Sie‚ unterweist’, sie gibt Anordnungen, sie kommandiert.“ (Gilles Deleuze und Félix Guattari, Tausend Plateaus. Kapitalismus und Schizophrenie, Merve Verlag, Berlin, 2005, S. 106)

Bildung, Erziehung oder einfach nur Lernen – der Erwerb und die Weitergabe von Wissen werden stets auf verschiedenen Ebenen durch Macht strukturiert. Einerseits wirkt diese mittels Ein- und Ausschlussmechanismen direkt auf gelernte wie auf zu lernende Inhalte, andererseits wirken Machtverhältnisse auch auf die Art und Weise, wie Wissen vermittelt wird. Der Begriff „Lernen“ ist in diesem Zusammenhang nicht nur im einschränkenden Sinn von Vermittlung schulischen Wissens zu verstehen, sondern als weitaus offeneres und sich permanent wiederholendes Trainieren von subjektiven Lebensrealitäten.

Die Ausstellung Lebenslanges Lernen (Wiederholung II, Wissen) zeigt acht Positionen zeitgenössischer Kunst, die das Konzept des „Lebenslangen Lernens“ auf seine Machtverhältnisse hin überprüft. Ausgehend von der Idee einer Endlosschleife aus kommunikativen, medialen und gesellschaftlichen Zusammenhängen richten die Arbeiten den Blick sowohl auf die Funktion der Sprache im Bildungsprozess als auch auf die performative Dimension von Wissensvermittlung und -aneignung. Ökonomische und gesellschaftspolitisch relevante Parameter wie Wettbewerbsfähigkeit, Anpassungskompetenz und biografische Planungsfreiheit werden ebenso beleuchtet wie das soziale Engagement von Individuen. In einer kulturenübergreifenden Netz- und Wissensgesellschaft steht das Schlagwort „Lebenslanges Lernen“ nicht länger für einen den Bildungsinstitutionen unterworfenen Aspekt der Erziehung, sondern ist zum Hauptkriterium für die Versorgung gesellschaftlicher Ressourcen geworden.

Die Wiederholung als zentrale Methode für die Strukturierung von Lernprozessen dient den beteiligten KünstlerInnen als Ausgangspunkt um, wie bei Gerhard Dirmosers Verben im KONTEXT: Die Kunst der Handlung, die komplexen Verknüpfungen zwischen mehr als 10.000 gängigen Verben auf einen Blick zu zeigen. Einem ähnlich gelagerten Sammeln und Erstellen von Bezügen als Grundlage für Wissensaneignung bedient sich Michael Kargl mit seiner Installation configurations of knowledge [blackboards], indem er unterschiedlich genormte Leinwand- und Bildschirmformate abstrahiert. Vor dem Hintergrund relationaler Annäherungen an die Themen „Wiederholung“ und „Wissen“ setzt sich Jochen Höller mit prozessanalyse 1-3 auseinander, einer Serie von Zeichnungen, die das selbstreflexive Moment des Nach-Denkens als zirkuläre Bewegung abbildet.

Kathi Hofer hinterfragt mit der Installation Figur 1 die Beziehung zwischen Wissen und Affekt, indem sie in die Kausalverhältnisse von Subjekt, Bild und Wirklichkeit im fortwährenden Kreislauf der Bild(re-) produktion eingreift. Die Reaktion auf wiederkehrende Informationseinheiten in einem veränderten Kontext untersucht Karo Szmit mit ihrer Performace Remember Me, wenn sie sich während einer Performance den BesucherInnen sprichwörtlich ins Gedächtnis einschreibt. Die Macht der repetitiven Handlung steht im Mittelpunkt sowohl von Santiago Sierras 11 Personas Remuneradas para Aprender una Frase (11 Leute, die dafür bezahlt werden, dass sie einen Satz lernen) als auch von Anna Witts push. Sierra operiert mit der Sinn entleerten Imitation von Sprachlauten, Witt mit der Nachahmung stereotyper Gesten machtvoller behördlicher Instanzen. Daniel Hafner fokussiert schließlich in Education Archetype das Wiederholen immergleicher Kontexte, indem er die Funktionsweise konventioneller Bildungsmethoden als interaktiv gestaltetes Modell abbildet.

Der Prozess der Wissensvermittlung und der Wissensaneignung wird in der Ausstellung Lebenslanges Lernen (Wiederholung II, Wissen) in unterschiedlichen Kontexten und über das bloße Anhäufen von Informationen hinaus hinterfragt. Die gezeigten Kunstwerke rücken vielmehr den Erwerb von unterschiedlichen Kommunikationsformen in das Zentrum der Wahrnehmung: sich der Macht beugen, die Macht ausüben, immer und immer wieder – mit dem Blick stets auf die anderen und auf sich selbst.

KünstlerInneninfos:

Gerhard Dirmoser Verben im KONTEXT: Die Kunst der Handlung (2004) 4-teiliges Plakat, à A0, C-Print auf Papier

Menschliches Handeln durch und mit Sprache steht im Zentrum der großformatiger Plakatinstallation Verben im KONTEXT: Die Kunst der Handlung. Gerhard Dirmoser präsentiert, nach inhaltlichen Gesichtspunkten geordnet und anhand einzelner Bedeutungscluster zu einem semantischen Netz verflochten, eine grafische Darstellung von rund 10.000 Verben. Ein mehrdimensionales Kategoriensystem unterschiedlicher Verbtypen ermöglicht vielschichtige Lesarten aus sozialpolitischen, ökonomischen oder machttheoretischen Perspektiven, die sich auf Zustände, Beziehungen und Verhaltensweisen beziehen. Dirmoser, der sich als Systemanalytiker versteht, hinterfragt das Vermögen, sprachliches Wissen in seiner scheinbaren Vollständigkeit und Komplexität zu begreifen, das, in Form des Diagramms, primär als Bild denn als Text erfasst werden kann. Aus der pragmatischen Sicht der Sprachverwendung wird nicht nur die Beziehung zwischen den sprachlichen Zeichen und ihren BenutzerInnen erforscht, sondern auch das Sprachsystem als übergeordnete Instanz.

Daniel Hafner Education Archetype (2010) Installation, Schalter, Kabel, Relais, Alarmhorn, Lampen, Klebebuchstaben

Daniel Hafner überträgt in Education Archetype die Funktionsweise konventioneller Unterrichts- und Lehrmethoden in einen mechanisch-technisch gesteuerten Prozess und visualisiert diesen als interaktive Installation. Die Beschriftung der einzelnen Bestandteile der mittels Schaltkreis gesteuerten Installation steht synonym für die stereotypen Schritte der Wissensvermittlung, wie sie der Großteil der BetrachterInnen aus der eigenen Schulzeit kennt: „rules” für den Lerninhalt, „options” für die Wissensabfrage, „processor” für die Beurteilung, „authoritative element” für die autoritäre Macht einzelner Lehrkörper, „result” für das Notenergebnis und „operating power” schließlich für die Geld gebende und kontrollierende staatliche Instanz. Das gängige Schulnotensystem auf den Punkt gebracht, gibt es entweder die Möglichkeit zu bestehen oder auch nicht, schwarz oder weiß, Null oder Eins – trotz beschränkter Optionen: „well trivialized“.

Kathi Hofer Figur 1 (2009) Installation, S/w-Kopien (gefaltet und kaschiert), Spiegel

Mit der Installation Figur 1 inszeniert Kathi Hofer einen zentralen Befund gegenwärtiger Bildkultur: die Krise der Repräsentation, in der es durch mediale Globalisierung und digitale Reproduzierbarkeit – und somit Wiederholbarkeit – von Information zu einer Umkehrung des Kausalverhältnisses von Subjekt, Bild und Wirklichkeit kommt. „Subjekte stellen heute nicht mehr die reale Welt in Bildern dar, sondern Bilder stellen virtuelle Welten her, auf die Subjekte in der Wirklichkeit reagieren“, schreibt die Künstlerin. Dieser Zeitdiagnose begegnet Hofer, indem sie auf das 1886 in seiner Schrift Die Analyse der Empfindungen und das Verhältnis des Physischen zum Psychischen veröffentlichte Selbstporträt des österreichischen Physikers Ernst Mach Bezug nimmt. Ins Zentrum ihrer Beobachtung stellt sie dabei das Moment der Selbstreflexion des wahrnehmenden – und wenn man so möchte: lernenden – Subjekts sowie die Problematisierung des „Selbst“ in einem fortwährenden Kreislauf aus Bildproduktion und Reproduktion, aus Bezeichnendem und Bezeichneten.

Jochen Höller prozessanalyse 1-3 (2011) 3 Zeichnungen, à 30 x 40 cm, gerahmt

Nur in wenigen Fällen sind Prozesse Einheiten, die linear von einem Ausgangspunkt und einer Problemstellung zu einem Ziel und einer Lösung des Problems führen. Prozesse jeglicher Natur – von globalen Ereignissen bis hin zu den kleinsten Einheiten des persönlichen Nachdenkens und sinnlichen Erfahrens – gestalten sich meist als zirkuläre Bewegungen, denen ein selbstreflexives Moment innewohnen muss, um sich überhaupt entfalten zu können. Jochen Höllers zeichnerische Serie prozessanalyse 1-3 bildet komplexe Prozesse ab, die für die BetrachterInnen als Anstoß für weitere Prozesse – eigene Denkprozesse – gelesen werden können. Der Künstler lässt offen, welche Entwicklungsverläufe er seiner Analyse unterworfen hat, die in Form von sich überlagernden Linien, Kreisen und Pfeilen dargestellt sind. In mehreren Strängen angeordnet, als eine sich trichterförmig nach unten hin verjüngende Endlosschleife oder in konzentrischen Kreisen werden hier Abläufe visualisiert und führen dazu, über den Prozess zu reflektieren und letztlich über das Lernen selbst zu lernen.

Michael Kargl configurations of knowledge [blackboards] (2011) Installation, 5 MDF-Tafeln, Tafellack, Aluminiumrahmen, variable Installationsgröße

Versteht man den Begriff „Wissen“ als Strategie um kulturelle Ressourcen einer Gesellschaft zu gewinnen und damit das soziale System aufrecht zu erhalten, so liegt es auf der Hand, dass das Wissen ebenso kulturell geprägt ist wie es die Kultur prägt. An der Schnittstelle dieses Gegensatzpaares, zwischen Passivität und Aktivität, setzt Michael Kargl mit configurations of knowledge [blackboards] an. Er führt BetrachterInnen Alltagswissen vor, das in gleichem Maße normative Kontexte vorgibt wie neue Bedeutung aus ebendiesen Kontexten generiert. Im Zentrum der als mehrteilige Serie konzipierten Arbeit stehen die Relationen einfacher Wissenseinheiten zueinander: So treffen etwa historische wie aktuelle Film- und Computerdisplays, internationale Papierformate oder die uns täglich umgebenden Parameter für Raumvermessungen aufeinander. Kategorisierungen, Klassifizierungen und die Verhältnisse zwischen den normativen Größen führen unweigerlich zur Frage danach, wer sich für die Produktion von Wissen verantwortlich zeichnet und bei wem die Macht, Wissen zu definieren, liegt.

Santiago Sierra 11 Personas Remuneradas para Aprender una Frase (11 Leute, die dafür bezahlt werden, dass sie einen Satz lernen, 2001) Video, 12 Min., geloopt Courtesy of the artist and Lisson Gallery (London)

„Ich werde dafür bezahlt, etwas zu sagen, von dem ich nicht weiß, was es bedeutet.“ Um diesen Satz auf Spanisch zu lernen („Estoy siendo remunerado para decir algo cuyo significado ignoro“), brachte Santiago Sierra elf Frauen vom Stamm der Tzotzil, ein indigenes Volk im Mexikanischen Bundesstaat Chiapas, zusammen und bezahlte sie dafür mit je zwei Dollar. Die Wiederholung einer für die handelnden Personen bedeutungslosen Lautfolge – jenes absurde Moment des Fremdsprachenerwerbs, in dem sich der Sinn der Sprache zugunsten ihres Lautmaterials und ihrer Form aufzulösen scheint – setzt der Künstler mit gesellschaftlichen Zusammenhängen in Verbindung. Mit seinem konzeptuellen Eingriff instrumentalisiert er Mitglieder der Sprachgemeinschaft der Tzotzil, einer der noch am vitalsten existierenden Maya-Sprachen, und vergegenwärtigt die globalen Machtverhältnisse und Abhängigkeit der so genannten „Dritten“ von der „Ersten Welt“ sowie die von Geldflüssen geprägte sprachliche Kolonialisierung durch die spanische Sprache, die sich neben dem Englischen zu einer der wichtigsten Verkehrssprachen kapitalistischer Systeme entwickelt hat.

Karo Szmit Remember Me (2011) Performance, Stempel

Ausgehend von einer Sammlung an Schaltflächen, die häufig beim Einloggen auf Webseiten erscheinen um sich deren Inhalte zu einem späteren Zeitpunkt anzusehen, zu lesen oder mit ihnen zu interagieren, reflektiert Karo Szmit in ihrer Performance Remember Me die Anonymität im virtuellen Raum. „Abgesehen von der praktischen Bedeutung“, so die Künstlerin, „erinnerte mich diese Phrase an ein verzweifeltes Flehen, nicht vergessen zu werden. Die einfache Möglichkeit, erinnert zu werden, erscheint wie ein Zaubertrick in der anonymen Online-Welt. Ich habe mich gefragt, was oder wen man mit dieser Aufforderung ansprechen könnte?“ Szmit nutzt Kunstveranstaltungen um, als vermeintliche Türsteherin, BesucherInnen mit einem Stempel zu versehen und sich mit den Worten „remember me“ auf fremden Körpern einzuschreiben. Die zeitlich entgegen gesetzten Bewegungen von Erinnerung und Wiederholung werden mit dieser sanften, wenngleich nicht weniger autoritären Praxis für einen Moment ausgehebelt und zum Stillstand gebracht.

Anna Witt push (2006) Video, 6:14 Min., geloopt

Die Verhaftung als alltägliches Motiv auf den Straßen von Los Angeles und als klassisches Motiv der dort ansässigen Filmproduktionsindustrie: mit festem Griff im Genick und den Arm schmerzvoll nach hinten verrenkt wird ein Mensch niedergedrückt, um ihn in seiner Handlungsfähigkeit einzuschränken und für die folgenden polizeilichen Maßnahmen ruhig zu stellen. Für die Performance push bat die Künstlerin Anna Witt PassantInnen in der Nähe der für Freizeitaktivitäten genutzten Strandpromenade von Venice Beach, sie auf die Motorhaube eines parkenden Autos niederzudrücken. Im Gegenzug mussten die PassantInnen einwilligen, dass der gleiche Akt körperlicher Gewalt an ihnen vollzogen wird. In der sich fortwährend wiederholenden Prozedur eines inszenierten Rollenspiels wird Machtausübung und Machtlosigkeit am eigenen Leib erfahrbar gemacht. Die Partizipation unbehelligter PassantInnen trägt zur Sichtbarmachung kultureller Stereotypen und der Positionierung von Subjekten innerhalb gesellschaftlicher Strukturen bei.

Unterstützt von: BM:UKK Stadt Wien - Kulturabteilung MA 7

Mit freundliche Teilunterstützung von: cyberlab - Digitale Entwicklungen GmbH

In Zusammenarbeit mit "Coded Cultures: City as Interface", ein Festival mit Fokus auf den zweiten Bezirk in Wien

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Lebenslanges Lernen (Wiederholung II, Wissen)
Kuratoren: CONT3XT.NET - Birgit Rinagl, Franz Thalmair

Künstler: Gerhard Dirmoser, Daniel Hafner, Kathi Hofer, Jochen Höller, Michael Kargl, Santiago Sierra, Karo Szmit, Anna Witt